„Natürlich würde ich wieder hingehen“, versichert Igor Romanenko ein Jahr nach dem Beginn der Umwälzungen in der Ukraine. Der Regisseur meint die erste Demonstration auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, an der er am 21. November vergangenen Jahres teilnahm.Nur wenige hundert Menschen kamen zu der Demo gegen die Abwendung des damaligen Staatschefs Viktor Janukowitsch von der Europäischen Union. Doch sie brachten eine Entwicklung ins Rollen, die in die größte Krise zwischen Russland und dem Westen seit dem Zerfall der Sowjetunion mündete.Aus hunderten werden tausende DemonstrantenZunächst ging im vergangenen Jahr alles seinen vorgesehenen Gang. Ende November sollte in Litauen ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet werden.Vorher stand lediglich noch die bereits vorbereitete Freilassung der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko aus, die Brüssel forderte.Doch dann reiste Janukowitsch zu einer Unterredung mit Russlands Staatschef Wladimir Putin nach Moskau – und die Lage änderte sich schlagartig.Der Staatschef stoppte das Abkommen, die Gesetzentwürfe zum Fall Timoschenko fielen im Parlament durch, die EU reagierte gereizt, Putin dementierte jegliche Einmischung. „Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Janukowitsch in vier Monaten nicht mehr im Land sein würde, hätte ich es nicht geglaubt“, sagt Romanenko über den Beginn der folgenden Proteste.Doch in Kiew schwoll die Zahl der Demonstranten gegen den prorussischen Präsidenten binnen Tagen auf zehntausende Menschen an.Tränengas und Schlagstöcke richten wenig gegen die Protestanten ausAuf dem Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, errichteten die Proeuropäer ein Zeltlager, Tag und Nacht wurde demonstriert, und Janukowitsch gelang es auch mit Schlagstöcken und Tränengas nicht, die Menge aufzulösen.Als Sicherheitskräfte schließlich Mitte Februar mehr als hundert Menschen töteten, zerfiel Janukowitschs Machtapparat. Zwar suchte er noch einen Ausweg, indem er ein Friedensabkommen mit der Opposition schloss, kurz darauf floh er jedoch nach Russland.Putin seinerseits machte rasch klar, dass Russland sich nicht länger in der bis dahin proklamierten Beobachterrolle sah. Vom Parlament ließ er sich zu einem Militäreinsatz in dem Nachbarland ermächtigen – mit der Begründung, dort möglicherweise ethnische Russen schützen zu müssen.Offiziell gab es zwar nie einen Einmarsch, auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim und in der Ostukraine wurde aber bald deutlich, dass die dortigen Separatisten Unterstützung aus Russland erhielten.Mittlerweile mehrere tausend ToteAuf der Krim organisierten sie rasch ein Referendum zur Abspaltung von der Ukraine, bereits im März verkündete Putin die Annexion. Im Osten der Ukraine wird seither gekämpft, mehr als 4000 Menschen wurden getötet.Die Ereignisse auf dem Unabhängigkeitsplatz seien für Putin nur „ein Vorwand“, ist Romanenko überzeugt. „Zu sagen, dass der Maidan der Grund für dem Krieg ist, ist ebenso unwahr wie die Behauptung, dass der Mord an Franz Ferdinand den Ersten Weltkrieg verursacht hat“, sagt er.Zum Jahrestag des politischen Umsturzes ist die Ukraine gespalten wie nie seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991. Zwar wurde das Abkommen über eine Annäherung an die EU inzwischen unterzeichnet. Ob das derzeitige Staatsgebiet in Gänze erhalten bleibt, ist angesichts der Gefechte im Osten jedoch ungewiss.Der neue Präsident Petro Poroschenko und seine prowestliche Führung lehnen jegliche Verhandlungen mit den dortigen Separatisten strikt ab, Putin unterstützt sie weiter.Lisa Tatarinowa, die ebenso wie Romanenko den ersten Protesttag auf dem Maidan miterlebte, sieht das zurückliegende Jahr trotzdem positiv. „Natürlich stehen wir wirtschaftlich schlecht da, und wir leben auch schlechter als vorher“, sagt die Fernsehproduzentin und fügt hinzu: „Wenn wir aber von unserem Land als solchem sprechen, als Staat und als Identität, dann hat es sich nicht nur zum Besseren entwickelt, sondern ist geradezu erst gegründet worden.“apa/afp