<b>Ein Reisebericht von Josef Bertignoll</b><BR /><BR />Wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen drängen sich unzählige Scooter-Fahrer durch die Straßen – vorbei an Autos, Radfahrern und Fußgängern, die ebenso nach einer Lücke im Getümmel suchen. Mittendrin balancieren fliegende Händler auf ihren klapprigen Fahrrädern Körbe voll mit Mangos und Bananen, während an den Straßenküchen die Wok-Pfannen über dem Feuer geschwenkt werden. Unbeeindruckt vom Trubel sitzen die Anwohner auf ihren winzigen Plastikhockern und beobachten das pulsierende Leben auf den Straßen von Hanoi: Willkommen in Vietnams lebendiger Hauptstadt. <BR /><BR />Die Millionenmetropole am Ufer des Roten Flusses ist mit rund acht Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes und idealer Ausgangspunkt für eine Entdeckungstour durch Vietnam, das mit einer beeindruckenden Naturvielfalt und einer bewegten Geschichte fasziniert.<BR /><BR /> Über Jahrhunderte hinweg prägten verschiedene Dynastien das Schicksal dieser Region, bis die Franzosen das Gebiet – zusammen mit Kambodscha und Laos – zur Kolonie Indochina vereinigten und schließlich der blutige Krieg und der Kommunismus Einzug ins Land hielten. <h3> Eine Stadt mit vielen Gesichtern</h3>In Hanoi zeigt sich die historische Vielfalt auf engstem Raum – besonders in der Architektur. Hier treffen kommunistische Betonbauten und französische Kolonialbauten aufeinander. Letztere finden sich in der Altstadt, dem französischen Viertel. Einheimische wie Touristen genießen dort Bánh Mì, Pho und andere vietnamesische Speisen direkt am Straßenrand, auf dem auch gekocht und gearbeitet wird. <BR /><BR />Auf den schmalen Gehwegen dampfen die Suppentöpfe der Straßenküchen, daneben hocken Mechaniker mit ölverschmierten Händen und schrauben an zerbeulten Mopeds herum, während gegenüber unter freiem Himmel der Barbier auf einem zerrissenen Friseurstuhl seine Kundschaft empfängt. Das Leben wird auf den Straßen zelebriert – und nicht zuletzt auf den Gleisen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158627_image" /></div> <BR />Mehrmals täglich rauscht der Zug mitten durch die Stadt, nur wenige Meter entfernt von den Hausfassaden der Anwohner. Auch Mai Lan ist auf der Train Street aufgewachsen. Heute betreibt sie im Erdgeschoss ihres Hauses ein kleines Café. „Fast alle hier machen das“, erzählt sie. „So können die Touristen den Zug aus nächster Nähe vorbeifahren sehen.“ Damit verdient sie sich den Lebensunterhalt. Europäische Sicherheitsstandards sucht man entlang der Train Street vergebens.<BR /><BR /> Einzig eine Glocke ertönt wenige Minuten, bevor der tonnenschwere Koloss heranrauscht. Schnell ziehen die Anwohner ihre Markisen ein, schieben die Tische beiseite und fordern die Touristen auf, ihre Stühle bis an die Hausmauer zu rücken und sich unbedingt an die gelbe Linie zu halten. Dann kommt er: der „Reunification Express“, der Hanoi im Norden und Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden miteinander verbindet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158630_image" /></div> <BR /><BR />Fast surreal wirkt der Moment, in dem man aus dem lärmenden Gewimmel plötzlich an den Hoan-Kiem-See inmitten der Altstadt tritt. Während ringsum der Verkehr tobt, herrscht am Ufer Stille. Inmitten des Sees ruht der Ngoc-Son-Tempel, am Ufer säumen mächtige Laubbäume die Promenade. Darunter verweilen die Stadtbewohner, plaudern oder finden sich zum Gruppentanz zusammen. Ähnlich ruhig geht es im Literaturtempel zu, einst königliche Akademie und Vietnams älteste Universität. Heute schlendern Besucher durch kunstvoll verzierte Tore von Garten zu Garten, vorbei an Koi, Bonsai-Bäumen und steinernen Stelen, auf denen die Namen einstiger Gelehrter verewigt sind. <h3>Die Bucht des herabfallenden Drachens</h3>Etwa drei Stunden Autofahrt von Hanoi entfernt entfaltet sich die Halong-Bucht – UNESCO-Welterbe und Arbeitsplatz von Tony, einem Guide eines lokalen Touranbieters. Alle zwei Tage sticht er mit seinem Team aus Koch und Kapitän in See, um die „Bucht des herabsteigenden Drachens“ mit Besuchern aus aller Welt zu erkunden. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158633_image" /></div> <BR />„Der Legende nach riss ein feuerspeiender Drache tiefe Spalten in die Erde, die sich später mit Wasser füllten“, erklärt Tony. Heute ragen nur noch die Spitzen der Kalksteinfelsen aus dem türkisfarbenen Wasser empor, was der Landschaft ihr unverwechselbares Erscheinungsbild verleiht. Ausgerüstet mit Kajaks führt Tony die Gäste mit auf eine Tour, hindurch durch geheimnisvolle Höhlen, hinein in verborgene Lagunen, auf einsame Inseln und paradiesische Sandstrände.<BR /><BR />Ähnlich wie die Halong-Bucht zeigt sich auch die Region rund um Ninh Binh. Doch statt der weiten Wasserflächen sind es hier grüne Reisfelder und dichte Wälder, die die Ebenen zwischen den majestätischen Kalksteinfelsen ausfüllen. Besonders eindrucksvoll ist der Cúc-Phuong-Nationalpark, ein Paradies für Naturfreunde. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158636_image" /></div> <h3> Die Stadt der bunten Lampions</h3>Mit dem Nachtbus geht es zwölf Stunden südwärts nach Hoi An, die Stadt der Laternenbauer. Auch im kleinen Laden von Thùy Tâm dreht sich alles um das traditionelle Handwerk: Seit Jahrzehnten fertigt ihre Familie Lampions von Hand an. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158639_image" /></div> <BR /><BR />„Seit immer mehr Touristen die Laternen als Souvenir mitnehmen wollen, bieten wir auch faltbare Modelle an“, erzählt sie. Täglich entstehen im Hinterhof ihres Hauses Dutzende bunte Kunstwerke. Welchen Zauber sie haben, entfaltet sich am Abend, wenn Tausende Laternen wie schwebende Sterne die Altstadt in ein Meer aus Farben verwandeln. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158642_image" /></div> <h3> Zwischen Kokosnüssen und Mangroven</h3>An der Südspitze Vietnams mündet der mächtige Mekong ins Meer. Das Mekong-Delta mit seinen verzweigten Wasserwegen, Mangroven und weiten Feldern zählt zu den fruchtbarsten Regionen der Welt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158645_image" /></div> <BR /> Mittendrin betreibt Bauer Thuan auf etwa einem Hektar eine Kokosnussfarm. Seit über fünf Jahren empfängt er auch Reisende aus aller Welt. „Ich bin stolz darauf, meine Heimat zu zeigen“, erzählt Thuan. Umgeben von Kokospalmen ernten er und seine Familie die Kokosnüsse, sobald sie reif sind. <BR /><BR />Die Verarbeitung erfolgt direkt neben dem Hof des Onkels. „Zunächst befreien wir die Kokosnüsse mit Macheten von der grünen Schale, dann schneiden wir sie in Stücke. Das Fruchtfleisch wird weiterverarbeitet, um Kokosmilch und Kokosöl herzustellen“, erklärt Thuan. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158648_image" /></div> <BR /><BR />Nach der Arbeit geht es mit dem Boot hinaus auf den Mekong, tief hinein in die Mangrovenwälder, wo sich einst die Vietcong und die Amerikaner heftige Gefechte lieferten. „Die Bevölkerung des Deltas litt stark unter dem Krieg“, sagt Thuan nachdenklich. <BR /><BR />Auch wenn er den Krieg nicht direkt erlebt hat, spürt man die Folgen bis heute. „Viele Menschen kämpfen noch immer mit den Auswirkungen dieser Zeit.“