Heute legt Sr. Gudrun Leitgeb im Mutterhaus der Tertiarschwestern in Brixen das Versprechen ab, dieser Gemeinschaft für den Rest des Lebens anzugehören (Ewige Profess). 9 Jahre lang hat sich die junge Akademikerin aus dem Pustertal auf diese Lebensentscheidung vorbereitet. Dabei war es vor über 10 Jahren eher purer Zufall, dass sie zum Ordensleben kam. <BR /><BR /><b>Als junge Frau stünde Ihnen sozusagen die Welt offen: vielleicht Karriere, Familie, Reisen, Shopping, Freiheit und vieles mehr. Was hat die Ordensgemeinschaft Besseres zu bieten?</b><BR />Sr. Gudrun Leitgeb: Es geht hier nicht um Besseres oder Schlechteres. Für mich bietet die Gemeinschaft etwas Anderes. Es ist – so glaube ich – der Ort, wo ich mich persönlich am besten entfalten kann. <BR /><BR /><b>„Ins Kloster gehen“ klingt nicht gerade nach Entfaltung, sondern eher nach Tür zu, Freiheit weg.</b><BR />Sr. Gudrun: Nein, auch ich hatte einmal diese Vorstellung. Aber sie ist falsch. Ich habe relativ schnell gespürt, dass in der Ordensgemeinschaft ein Leben in der ganzen Fülle, in der vollen Bandbreite möglich ist. Und das fasziniert mich. Wenn ich im Herz-Jesu-Institut in Mühlbach unterrichte, dann sind junge Leute da, dann kann es laut zugehen. Am Nachmittag komme ich ins Mutterhaus in Brixen, da ist vielleicht eine ältere Schwester, der es nicht mehr gut geht oder die sogar im Sterben liegt – also sich über eine Nachtwache freut. Da ist es dann sehr leise. Diese Extreme gehören zum Leben dazu, und in der Ordensgemeinschaft sind sie alle zu finden. Hier erlebe ich auch eine gewisse geistige Freiheit, die ich sehr liebe. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="803027_image" /></div> <BR /><b>Sie versprechen auch Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit für den Rest des Lebens: Schränkt das Ihre Freiheit nicht unglaublich ein?</b><BR />Sr. Gudrun: Im ersten Moment sind das schon sehr große Versprechen. Aber wir leben alle in Situationen, in denen gerade an diesen Punkten keineswegs die volle Freiheit da ist. Viele Menschen müssen bescheiden leben, sie können sich nicht alles leisten – eine Form von Armut. Oder der Gehorsam: Wenn ich Partnerschaft und Familie habe, dann bin ich auch gebunden und kann nicht alles tun, was mir gerade in den Kopf schießt. <BR /><BR /><b>Dann wäre noch die Keuschheit...</b><BR />Sr. Gudrun: Sicher entscheide ich mich damit gegen eine exklusive Partnerschaft und gegen Kinder. Aber auch in einer Beziehung entscheide ich mich dafür, dass viele andere Partnerinnen oder Partner für mich nicht mehr in Frage kommen.<BR /><BR /><b>Ganz ehrlich: Welches Gelübde ist für Sie das Schwierigste?</b><BR />Sr. Gudrun: (lacht). Alle sind manchmal schwierig, und alle sind manchmal leicht. Ich denke, das hängt auch von der persönlichen Entwicklung und den verschiedenen Lebensphasen ab. <BR /><BR /><b>Wann ist ihnen klar geworden, dass Sie Ordensfrau werden könnten?</b><BR />Sr. Gudrun: Also mir ist jedenfalls kein Engel erschienen, der mir das ans Herz gelegt hat. Es war ein langsames Hineinwachsen. Begonnen hat alles mit einem zufälligen Kontakt. Vor mehr als 10 Jahren habe ich einen Kurs als Systemadministratorin besucht, der zufällig im Haus der Tertiarschwestern in Brixen abgehalten wurde. Dabei knüpfte ich Kontakte mit Ordensschwestern und irgendwann habe ich mir gedacht: Warum nicht ins Kloster gehen?<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="803030_image" /></div> <BR /><BR /><b>Waren Ihnen die Ordensschwestern denn so sympathisch?</b><BR />Sr. Gudrun: Sympathisch ist vielleicht nicht die richtige Bezeichnung. Einige sind durchaus nicht so zugänglich, es ist auch im Kloster nicht alles eitel Sonnenschein. Ich würde sagen, dass mich die Ausstrahlung der Schwestern fasziniert, sie haben eine gewisse Anziehungskraft. Dahinter steht wohl, wie sie sich bemühen, ihr ganzes Leben nach christlichen Werten zu gestalten. <BR /><BR /><b>Sicher würden sich auch andere Ordensgemeinschaft um Sie reißen. Was ist das Besondere an den Tertiarschwestern?</b><BR />Leitgeb: Sie leben in der Spiritualität des Franz von Assisi. Ich erlebe diese Gemeinschaft als bodenständig und im besten Sinne des Wortes als sehr einfach. Es gibt zudem wenige starre Traditionen. <BR /><BR /><b>Wie erklären Sie, dass heute immer weniger Frauen und Männer eine geistliche Berufung erleben? Ist die Kirche nicht attraktiv genug, glauben und beten wir zu wenig...</b><BR />Sr. Gudrun: Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Einmal ist es die demographische Veränderung, es gibt viel weniger Kinder. Hier haben wir Schwestern mit 10 oder mehr Geschwistern, bei mir zuhause sind wir zwei. Dann war es früher oft die einzige Möglichkeit, zu einem Beruf zu kommen – ob als Priester oder Ordensfrau. Schließlich ist die Kirche viel weniger präsent als vor 50 oder 100 Jahren. Auch ich bin – wie gesagt – recht zufällig auf die Möglichkeit eines geistlichen Berufs gestoßen. Andere junge Leute haben nicht dieses Glück, auch wenn sie vielleicht nach einem anderen Weg abseits der Leistungsgesellschaft suchen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55708784_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Viele Frauen kritisieren heute die Kirche und fordern mehr Gleichberechtigung, etwa beim Zugang zu Ämtern. Wie geht es Ihnen damit?</b><BR />Sr. Gudrun: Ich bin keine Theologin, aber ich wünsche mir schon, dass wirklich alle Leute für ein Amt in der Kirche in Frage kommen. Der Priesterberuf hat viele schöne Seiten, dieser Dienst ist für die Menschen sehr wichtig und wertvoll. Daher sollten eben auch Frauen die Möglichkeit haben, diesen Beruf auszuüben. Das wird sicher nicht von heute auf morgen möglich sein, denn die Weltkirche ist groß und Neuerungen brauchen ihre Zeit. Aber wir müssen immer wieder darauf aufmerksam machen. <BR /><BR /><b>Wo werden Sie nach dem Ordensversprechen anzutreffen sein?</b><BR />Sr. Gudrun: Ab Herbst werde ich etwa die Hälfte der Woche in Bozen sein, und zwar als Erzieherin in der Marienschule. Die restliche Zeit verbringe ich in Brixen, im Mutterhaus. Dort braucht es immer wieder jemanden, der zupackt und hilft. Wahrscheinlich arbeite ich auch im Vinzentinum, als Assistentin im Unterricht und in der Lernhilfe. Aber das ist noch nicht ganz fix. Nicht zuletzt muss ich noch die Masterarbeit abschließen. <BR /><BR /><b>Welches Thema haben Sie gewählt?</b><BR />Sr. Gudrun: Es geht um Kinder, Computer und Sprache. Genauer gesagt um Online-Tutoren für Kinder, die auf der Basis Künstlicher Intelligenz arbeiten. <BR /><BR /><b>Werden Sie immer im Ordenskleid, im Habit, unterwegs sein?</b><BR />Sr. Gudrun: Ja, die Ordensgemeinschaft hat das so beschlossen. Es gibt einige Ausnahmen, zum Beispiel beim Sport oder bei Arbeiten, bei denen der Habit hinderlich ist. Aber sonst tragen wir ihn. Und ich muss sagen, für mich ist das keine Belastung. Ich hatte nie eine besondere Freude mit dem Kleider-Shopping, das war für mich eher lästig. Und es ist eine Erleichterung, in der Früh zu wissen, was ich heute anziehe. <BR /><BR /><BR /><BR />KURZ ZUM LEBEN<BR /><BR />geboren 1987 in Bruneck, aufgewachsen in Antholz<BR />eine jüngere Schwester (Vera), beide Eltern Grundschullehrer<BR />Klassisches Gymnasium in Bruneck<BR /><BR />2 Jahre Medizinstudium in Innsbruck, Wechsel zum Übersetzen und Dolmetschen<BR />Bachelor der Translationswissenschaften in Innsbruck<BR />Lehrgang Systemadministratorin und -technikerin in Brixen<BR />Masterstudium Angewandte Sprachwissenschaften in Brixen<BR /><BR />seit 2013 bei den Tertiarschwestern in Brixen: <BR />Beginn des Noviziates September 2013, erste Profess Jänner 2016, Ewige Profess August 2022<BR /><BR />seit 2013 Arbeit im Mutterhaus Brixen und im Herz Jesu-Institut Mühlbach (als Erzieherin und Lehrerin)<BR />