Anruf bei Leo Hilpold, Direktor des Landesamtes für Natur. Das Thema Glühwürmchen, sagt dieser, sei für ihn, „wie wohl für viele, ein emotionales, an die Kindheit erinnerndes Thema.“ In der Talsohle des Bozner Talkessels, wo er aufwuchs, seien noch vor 30- bis 40 Jahren an lauen Sommerabenden zwischen den hochstämmigen Apfelkulturen zehntausende dieser geheimnisvollen Leuchtpünktchen herumgeschwirrt, sagt Hilpold. „Und heute: Nichts mehr!“ <BR /><BR />Dieser Verlust hänge mit mangelndem Naturschutz zusammen, erklärt Amtsdirektor Hilpold. „Es geht um Artenvielfalt bzw. um das Verschwinden von Lebewesen.“ <BR /><BR />Weil ich also nicht einfach losziehen kann, um Glühwürmchen bei ihrem nächtlichen Tanz zu bewundern, sitze ich am nächsten Tag mit Hilpold in seinem Amtszimmer in der Rittnerstraße in Bozen. Die afrikanische Hitzewelle hat die Landeshauptstadt fest im Griff, in den Platanen neben dem Bahnhof sägen die Zikaden. Hier im Raum herrschen vergleichsweise angenehme Temperaturen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="784652_image" /></div> <BR />Das Glühwürmchen, Lampyris noctiluca, sei gar kein Würmchen, sondern ein Käfer, erfahre ich vom Amtsdirektor. Es heiße so, weil das Weibchen an einen Wurm erinnere. „Genau genommen ist es ein leuchtender Käfer. Davon gibt es weltweit etwa 2000 Arten. In Mitteleuropa kommen drei verschiedene Arten vor.“ Die Frage, die wir uns stellen müssten, laute: Warum ist das Glühwürmchen – und das ist nur die Spitze des Eisberges! – fast verschwunden? <h3> Wenn ein Kreislauf nicht mehr funktioniert</h3>Etwa eine halbe Million Insektenarten - Käfer gehören zur Klasse der Insekten – seien seit Beginn der Industrialisierung ausgestorben, sagt Hilpold. „Erinnerst du dich an früher, als man mit dem Auto an die Adria fuhr – und die Frontscheibe mit Mücken vollgeklebt war? Heute ist dort höchstens Vogeldreck“. Dabei spielten Insekten für das Leben auf der Erde eine herausragende Rolle. Man denke nur an die Bestäubung. Die allermeisten Blütenpflanzen und ein Großteil der Nutzpflanzen werden von Insekten bestäubt. „Was ist, wenn dieser Kreislauf nicht mehr funktioniert?“<BR /><BR />Eine Hauptursache für das Verschwinden bilde die Zerstörung der Lebensräume, sagt Hilpold. Durch die Ausbreitung von Monokulturen, damit einhergehend den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel, gingen biologisch wertvolle Lebensräume verloren. Sümpfe, Auen, Naturwiesen, Weiden und Streuobstwiesen sind der Intensivierung zum Opfer gefallen. „Der Bauer im Tal baute bei uns früher nicht nur Obst an. Er hatte Vieh, also Weideflächen und Heuwiesen, es gab Hecken, Trockenmauern, Bewässerungskanäle, die Talsohle war ein bunter Flickenteppich an Lebensräumen.“<BR /><BR /> Wo hochstämmige Bäume wuchsen, Wiesen mit langhalmigen Gras bestehen blieb mit feuchten grünen Rändern, dort fühle sich das Glühwürmchen wohl. „Wo findet es diese Bedingungen noch? In der Talsohle blieben nur die Flussdämme vor der Intensivierung verschont“. Wenig Chancen für das Glühwürmchen also. Feuchtwiesen mit langhalmigen Gras sind eine Seltenheit geworden – weil gedüngt, entwässert und jahreszeitlich früher gemäht wird. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="784655_image" /></div> <BR />Natürlich helfe es nicht, die Schuldigen zu suchen. „Wir als Gesellschaft müssen fragend verhandeln, was uns eine ökologische Landwirtschaft wert ist“, sagt Hilpold. Wo gibt es die artenreichen Feuchtwiesen, die Pufferrandstreifen, die stehenden Gewässer, Hecken, Raine, Feldgehölze, Trockenmauern – all diese, die Nachhaltigkeit fördernden Lebensräume? „Auf dieses bunte Mosaik an Lebensräumen werden wir als Gesellschaft den Fokus setzen müssen, um den Erhalt der Artenvielfalt zu proklamieren“, erklärt der Amtsdirektor. <BR /><BR />Der zweite Hauptgrund für den Niedergang des Glühwürmchens sei die Lichtverschmutzung. „Leider ist in diesem Zusammenhang hauptsächlich von Energieeinsparung die Rede, weniger jedoch von den Bedürfnissen unserer Mitlebewesen auf dem Planeten, sprich vom „Massensterben der Insekten„ durch Lichtverschmutzung.“ <BR />Glühwürmchen leuchten nicht zum Spaß oder für uns. Es gehe um Fortpflanzung, sagt Hilpold, darum, einen Partner anzulocken und diesen auch zu finden. Wenn es zu hell ist, finden sie einander nicht – mit fatalen Folgen für die Nachkommenschaft! „Für Insekten ist Kunstlicht die tödliche Falle: Sie umkreisen die Lampen bis zur Erschöpfung und verbrennen.“<BR /><BR />Beide Faktoren, Intensivierung und Lichtverschmutzung hätten über Jahrzehnte zu einen 60% Mengenverlust an Insekten beigetragen, erfahre ich vom Amtsdirektor. „Das bedeutet letztlich: fehlende Biomasse für die Nahrungskette. Mit anderen Worten Vögel und Insektenfresser haben nichts mehr am Teller und müssen sich anderorts umschauen um zu überleben.“ <h3> Verschlungene Lichtschlangen</h3>Mein Treffen mit Amtsdirektor Hilpold liegt etwa eine Woche zurück. An einem Samstagabend Ende Juni gehe ich am Marlinger Berg vom Gasthaus Eggerhof hinauf zum Parkplatz. Es ist schon finster. Ich habe die Worte von Leo Hilpold über die Glühwürmchen noch im Ohr. Ich komme gar nicht dazu, mir bewusst zu machen, dass hier alles passt: eine Böschung mit hüfthohem Gras, Brennnessel, dahinter Büsche und Wald - da sehe ich sie schon, es sind Dutzende, die, wie einander verschlungene Lichtschlangen, durch die pechschwarze Nacht fackeln. <BR /><BR />Es war ein lustiger Abend, zusammen mit meiner Frau und einem anderen Paar. Jetzt sind wir aufgekratzt, kommen ins Schwärmen, als sähen wir lauter Sternschnuppen. Am liebsten spränge ich los, um nach den leuchtenden Pünktchen zu haschen. Was mich zurückhält? Die Vernunft, das Kontrollbedürfnis – mich vor den anderen zum Affen machen!? Andererseits: Als Nicht-Führungskraft, als kein Entscheidungsträger hätten Leute wie ich einen großen Vorteil: Eine Freilizenz zur Kindischkeit. Nicht immer ist die Vernunft der goldene Ratgeber. Lob der kreativen Unvernunft, die Kunst der Unvernunft will gelernt sein! <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />