Alles begann mit einer Invasion etwas mehr als 500 Jahre nach Christi Geburt. Der Völkerwanderung. Flüchtlinge aus Oberitalien retteten sich auf Inseln der Lagune. Wie ein Burggraben eine Festung vom Feind trennt, trennte das Meer diese Menschen von den einmarschierenden Germanen. <BR /><BR />Aufs Festland kehrten die Flüchtlinge später nicht mehr zurück. Sie blieben und begannen eine Stadt im Meer zu bauen. Doch wie baut man eine Stadt auf dem Wasser? Bis vor 30 Jahren wusste keiner so genau, wie Venedig wirklich errichtet wurde, was sich unter der Wasseroberfläche als Fundament der historischen Bauten befindet. Man konnte ja nicht einfach ein historisches Gebäude abreißen, um nachzusehen. <h3> Feuerkatastrophe löste Jahrhundert-Rätsel</h3>Das änderte sich am 29. Jänner 1996. Durch eine Feuerkatastrophe, die das weltberühmte Opernhaus „La Fenice“ bis auf die Außenmauern zerstörte. Nach dem mystischen Feuervogel war das Haus deshalb benannt, weil es 1792 schon einmal niedergebrannt und dann wiederauferstanden war. Nachdem dort 200 Jahre Musikgeschichte geschrieben wurde, wurde es vor knapp 30 Jahren ein zweites Mal ein Raub der Flammen. <BR /><BR />Bevor es neuerlich wie Phönix aus der Asche auferstehen konnte, hatten Archäologen aber die Chance, nachzusehen, wie es unter dem einst gewaltigen Opernhaus aussah. Und es waren spannende Entdeckungen, was Baugeschichte betrifft.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="937117_image" /></div> <BR /><BR />Die ältesten heute noch stehenden Prachtbauten Venedigs stammen aus dem 11. Jahrhundert. Wie konnten sie 1000 Jahre im Meer überdauern? Nach dem Brand des „La Fenice“ wurden die letzten Rätsel gelöst. Sandbänke, Aufschüttungen und rund 100 kleine Inseln bilden die Basis des Fundaments von Venedig. Und in der Tat spielen auch Holzpfähle eine wesentliche Rolle. Auf ihnen stehen die Außenmauern der Gebäude hin zu den Kanälen. Diese waren übrigens einst Flüsse oder Bäche. Der berühmte Canale Grande etwa verläuft im ursprünglichen Flussbett der Brenta, die südöstlich von Trient entspringt.<BR /><BR />Damit die Außenmauern der Gebäude zum Wasser hin nicht abrutschten, rammte man Pfähle in den Untergrund. Bevorzugt aus Eiche, manchmal aber auch Pappel oder Erle. Wichtig dabei war, dass diese Pfähle auch bei Ebbe unter Wasser blieben. Dauerhaft im Salzwasser stehend ohne jeden Kontakt zu Luft wurden sie über Jahrhunderte konserviert. So ist Holz praktisch unbegrenzt haltbar, wie sich ja in den über 1000 Jahren zeigte, seit diese Häuser stehen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="937120_image" /></div> <BR /><BR />An die Oberseite der Holzpfähle wurden dann stark witterungsbeständige Lärchenbretter montiert. Und darauf wurde dann gemauert. Man kann sich vorstellen, dass das reiche Venedig aufgrund dieser Bauweise – und auch dem umfangreichen Schiffbau in der Stadt – riesigen Holzhunger hatte. Und diese Mengen vermochte man nicht so einfach mit Pferdekutschen quer durch Europa verliefern. <BR /><BR />Hauptsächlich wurde Holztrift für die langen Strecken aus den Alpen genutzt. Übrigens bis in die 1950er-Jahre. Dabei wurde das Holz in Flüsse gekippt und von Flößern an den Zielort dirigiert. Und hier nun kommen Südtirol und Osttirol ins Spiel. Die südseitigen Flüsse aus den Ostalpen entwässern Richtung Adria, also in Richtung Venedig.<h3> Die Rolle des Vinschger Sonnenbergs</h3>Eine große Rolle bei der Holzbringung für Venedig spielte der knapp 50 Kilometer lange Vinschger Sonnenberg zwischen Partschins und Mals an der nordseitigen Talflanke des oberen Etschtales. Die mächtigen Lärchen, die dort geholzt wurden, traten die lange Reise an die Adria per Holztrift über die Etsch an. Und zwar hauptsächlich im Mai und Juni. Aufgrund der Schneeschmelze nutzte man den dann besonders hohen Wasserstand des zweitlängsten Flusses von Italien. Flößer dirigierten das treibende Holz über rund 350 Kilometer bis nach Chioggia, knapp 25 Kilometer unterhalb von Venedig, wo die Etsch in die Adria mündet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="937123_image" /></div> <BR /><BR />Auch Eichen wuchsen einst in nicht geringer Zahl im oberen Etschtal. Das lassen die heutigen Restbestände, besonders auf der Höhe des Ausgangs des Münstertales, allerdings nur noch erahnen. Südtiroler Lärchen und Eichen wurden in Venedig zum Bau der Fundamente der Stadt verwendet, so mancher Baum landete im Schiffsbau. Vorzugsweise wurden mächtige Lärchen als Masten für Kriegsschiffe verbaut, aber auch die berühmten Gondeln wurden aus dem Holz aus den Alpen gezimmert. <BR /><BR />Für Holzdecken und Dachkonstruktionen der vielen Prachtbauten sowie Brücken und zur Beheizung der Öfen der berühmten Glasindustrie fand das Südtiroler Holz, für letzteres hauptsächlich Fichte, ebenso Verwendung. Übrigens nicht nur im Mittelalter blühte der Holzhandel Richtung Süden. Noch im Jahr 1848 wurden bei Schluderns Bäume geschlagen, die für Venedig bestimmt waren. Es heißt, dass der Vinschgau damals so stark gerodet wurde, dass der Waldbestand Jahrhunderte benötigte, um sich zu erholen.<h3> Der Piave war die zweite Holz-Autobahn</h3>Aber nicht nur aus dem Vinschgau gelangte Holz nach Venedig. Vom Wipptal aus wurde der Eisack, Südtirols zweitlängster Fluss, als Verlängerung zur Etsch für die Holztrift genutzt. <BR /><BR />Selbst aus dem Pustertal – sowohl auf Südtiroler wie auf Osttiroler Seite – gibt es Überlieferungen. Doch von dort nahm das Holz einen anderen Weg in Richtung Adria. Das ist beispielweise aus der Gemeinde Obertilliach im Lesachtal, ein Seitental des Pustertals, bekannt. Zuerst wurde das Holz mit Pferde- und Ochsenfuhrwerken rund 90 Kilometer über Innichen und Sexten, die damals noch zu Osttirol gehörten, nach Cadore geliefert. Dort wo heute der gleichnamige Stausee liegt. Den gleichen Weg musste Holz aus dem Südtiroler Teil des Pustertales genommen haben. <BR /><BR />Dann ging es für den Rohstoff aus den Tiroler Wäldern wieder auf dem Wasser weiter. Genutzt wurde dafür der Fluss Piave, der etwa 30 Kilometer oberhalb von Venedig bei Jesolo in die Adria mündet. Die Etsch und der Piave waren aufgrund der Nähe von deren Mündungen zu Venedig vor 1.000 Jahren also die idealen Routen für die Holzschwertransporte aus den Alpen an die Adria.<BR /><BR />