Der erste Eindruck, wenn man vor dem Rosengartenhof in Gargazon steht und Paul Thuile einem die schwere alte Holztür geöffnet hat: Das Haus und sein Bewohner ähneln sich irgendwie. <BR /><BR />Da sind die dicken bauchigen Steinmauern, die Mönch-und-Nonne-Dachziegel mit grünem Bewuchs sowie an der Fassade der gebleichte Schriftzug mit dem Namen des 300 Jahre alten Bauernhofes. Und da ist Paul Thuile mit seinen weißen Wuschelhaaren. Augen, die wie verschleiert hinter dunkel gerahmten Brillen hervorblicken, ein Lächeln, das nicht perfekt symmetrisch ist. <BR /><BR />Das Verstrubbelte scheint zu Paul Thuiles Habitus zu gehören, dem Anfangssechziger, der Informatiker, Zeichner, Kurator und Lehrbeauftragter an der Fakultät für Design an der Uni Bozen ist. Drinnen an den Zimmerwänden hängen seine Bleistiftzeichnungen mit verzitterten, ungleichmäßigen Strichen. Weil das Glatte, Ebenmäßige offensichtlich nicht zu seinem ästhetischen Ideal gehört, sind auch Thuiles Würste nicht alle gleich: Die eine ist ein wenig dicker, die andere ein wenig länger, eben handgemacht. <h3> Ein Buch mit Wurst-Rezepten</h3>Die Wurst spielt in Paul Thuiles Leben eine wichtige Rolle. Kürzlich ist im Raetia Verlag sein Buch „Pauls Wurstfibel“ erschienen, eine Anleitung zum Selbermachen, wo der Autor Rezepte präsentiert und Einblick in persönliche Kocherlebnisse gibt - der richtige Moment für einen Hausbesuch. <BR /><BR />„Als Wurster kennen mich noch nicht so viele“, sagt Thuile, nachdem man am Küchentisch Platz genommen hat. Ein Blick durch den Raum verdeutlicht, dass der Hausherr ein Allesselbermacher ist. Da hängt zum Beispiel eine selbstgebastelte Lampe, die wie ein Gamsgeweih aussieht. In alten Vollholzkisten, die früher, vor der Plastik-Ära, bei der Ernte verwendet wurden, reihen sich mit der Motorsäge ausgeschnittene Schneidebretter aus Apfelholz aneinander – jedes hat eine andere Form, man erkennt noch die Rillen, die die Maschine hinterlassen hat. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="826016_image" /></div> <BR /><BR />Während er einem ein Brett, so schwer wie eine Kurzhantel für Fortgeschrittene, in die Hand drückt, erzählt Thuile, dass er das Holz vor 40 Jahren auf die Seite gelegt habe, nachdem auf den hofeigenen Wiesen die letzten alten hochstämmigen Streuobstbäume gefällt waren. „Dann habe ich sie vergessen, und jetzt werden daraus eben Schneidebretter.“ Über die unregelmäßigen Maserungen streichend, schaut Thuile konzentriert in die Luft. <BR /><BR />Unterdessen scheinen seine Hände nachzudenken, wo sie schon einmal ähnliche Unebenheiten gespürt haben. „Zu den vielen Dingen, die langsam verschwinden, und mit ihnen wichtige Erfahrungen, gehört das Tun der Hände“, sagt der Anfangssechziger. Seine Studenten („Ich bin einer der Dienstältesten an der Uni Bozen“), die ja die meiste Zeit am Computer verbringen, lasse er deshalb Handzeichnungen machen. „Das kommt dabei heraus“, sagt Thuile, nachdem er aufgesprungen ist, um eine von ihm kuratierte Ausgabe der Architekturzeitschrift Turris Babel aus einem Bücherregal zu holen: Sie enthält lauter Zeichnungen und Skizzen bekannter Südtiroler Architekten. Die Handzeichnung sei ebenfalls vom Aussterben bedroht, findet Thuile. „Deshalb wurden für diese Ausgabe sämtliche Werbeanzeigen von meinen Studenten gezeichnet.“<h3> Ein Hof, der sich selbst versorgt</h3>Das Handgemachte bestimmte das Leben an Thuiles Elternhof, bevor die Maschinen Einzug hielten. Früher, sagt er, sei vom Pflanzen bis zum Ernten alles Knochenarbeit gewesen. „Bis in die 1970-er Jahre bekämpften wir Unkraut noch mit der Hacke.“ Wollte Paul Thuiles Vater seinen Stolz über den Fortschritt bekunden, habe er stets betont: „das kommt aus Amerika!“ - wie beispielsweise chemische Unkrautvernichtungsmittel, erzählt Paul Thuile. <BR /><BR />Zur Selbstversorgung am Rosengartenhof gehörten die Schweine. „Im November, wenn es kalt genug war, es gab ja noch keine Kühlschränke, wurde am Elternhof eine Sau geschlachtet.“ Heute kauft Thuile das Schweinefleisch für die selbst gemachten Würste bei einem befreundeten Biobauern. Die Freilandhühner, „Altsteirer, eine Landhuhnrasse, Kaiser Franz Joseph hat sie sehr geschätzt“, die er im Garten hält, landen ebenfalls in der Wurst. Ein oder zwei Mal im Jahr - die Altsteirer legen nicht so viele Eier, liefern jedoch gutes Fleisch – lädt Thuile Freunde zum „Hendl-Essen“ ein. Geschlachtet wird bei ihm im Hof.<BR /><BR /> An das Sau-Schlachten erinnere er sich noch genau, erzählt Thuile, noch am gleichen Tag habe man mit dem Wursten angefangen. „Meine Aufgabe bestand darin, nachdem der Metzger dem Tier mit einem Messer die Schlagader durchgetrennt hatte, in einem Eimer das herausschießende Blut aufzufangen.“ Die Sau, die ihr Schicksal ahnte, habe entsetzlich geschrien, als sie an einer Kette aus dem Stall gezogen wurde, sagt Thuile. „Damit das Blut nicht stockte, musste ich es mit einem Stab umrühren – es verströmte einen seltsamen, eher unangenehmen Geruch.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="826019_image" /></div> <BR /><BR />Bei einer Runde durch sein großes Haus fällt der Blick in Thuiles Bastelkammer, wo vermutlich nur er zwischen selbst gebauten Möbeln, übereinander getürmten Brettern, einer Druckgasflasche, Tiegeln verschiedener Größen, Geräten und Werkzeug den Überblick bewahrt. Anschließend sitzt man erneut unter einer Gewölbedecke am Küchentisch zusammen. Heute sei es ja wieder angesagt, beim Schlachten das ganze Tier zu verwerten, auch die Innereien. „Nose to tail“, zitiert Thuile ein bekanntes englischsprachiges Kochbuch. <h3> Die „Schubelwürste“</h3>„Da unsere Familie zum Lokaladel gehörte“, sagt der Hausherr (vor zwei Generationen besiegelten vier Angehörige der Familie Thuile durch ihre Hochzeit mit 4 Angehörigen der Familie Walzl ein Bündnis zwischen den beiden Herrscherdynastien von Gargazon), habe früher an den Sonntagen der Pfarrer, die höchste Autorität im Dorf, am Elternhof zu Mittag gegessen: In der getäfelten Stube saßen der Vater, der Pfarrer und andere Honoratioren, während die Mutter, die Oma und am Hof lebende unverheiratete Tanten gemeinsam mit den Kindern und Dienstboten in der Küche aßen. <BR /><BR />„Am Heiligen Abend und an anderen Festtagen gab es Würste – zweierlei Art. Jene erster Qualität wurden in der Stube aufgetischt. Wir in der Küche erhielten Schubelwürste, in die kam alles, was nicht für Speck und Braten taugte.“ Ab und zu, erzählt Thuile, sei der Vater jedoch unter einem Vorwand in die Küche geschlüpft, „dann stopfte es sich ein Stück Schubelwurst in den Mund. Sie schmeckte ihm besser als die „gute“ Wurst – weil sie mehr Fett enthielt.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="826022_image" /></div> <BR /><BR />Zum Wurstmachen benötigt man keine speziellen Geräte, das Wichtigste ist laut Thuile die Materia prima, „gutes Fleisch.“ Nachdem er eine Portion in Streifen geschnitten, durch den Wolf gedreht, gewürzt und sorgfältig geknetet hat, nimmt Thuile eine Handvoll Brät, formt es zu einem Fleischkrapfen, den er anschließend in einer Pfanne über der Gasflamme brutzelt. „Hamburger mit Ofen Pommes-Frites“ heißt das Rezept für gebratenes Hackfleisch in Thuiles Buch. „Ein Amerikaner-Essen!“, lautete das Urteil meines Vaters über seinen ersten Hamburger – das maximale Lob“, erzählt der Anfangssechziger während er neben dem Herd stehend in den selbst gemachten Fleischsnack beißt.<BR /><BR /> Er schmeckt saftig, zart und dezent nach Knoblauch. „Vier Geschmacksrichtungen kennt man: süß, sauer, bitter, und, ähm, genau: salzig“, sagt Thuile – er hat sich inzwischen eine blaue, fleckige Schürze um den Bauch gebunden. Und dann gebe es noch einen fünften Geschmack. „Man kann ihn als „intensiv, herzhaft“ beschreiben - die Japaner sagen dazu Umani.“<h3> Was ein Mega Umani wäre</h3>Umani ist die Atmosphäre am Rosengartenhof, wo Paul Thuile als Adelsspross zusammen mit seiner Frau reichlich Wohnraum zur Verfügung steht, den er mit Respekt vor dem Alten behutsam nach den persönlichen Bedürfnissen umgestaltet hat. Essenseinladungen bei ihm zu Hause, erzählte vorhin der Kreativkoch, der zum Beispiel auch Wild, Feldhase, Schaf und Kalb verwurstet, seien „ganz wichtig.“ <BR /><BR />Mega Umani wäre es, wenn Thuile auf die Idee käme, einen bei der nächsten Verkostung im Freundeskreis einzuladen. Müsste nichts Großes sein – vielleicht ein Schubelwurst-Menü? <BR /><BR /><BR />