In den 1950er Jahren, rückte man ihnen mit dem Insektengift DDT auf den Leib, eine Zeitlang schienen sie verschwunden – jetzt sind sie wieder zurück.<BR /><BR />Zwar sind es nicht Heuschrecken, die auf dem Video zu sehen sind, welches Stefanie Höller heuer am 14. April aufgenommen hat: In Angst und Schrecken, wie damals die Ägypter, als ihnen Gott zur Strafe die Heuschrecken und andere Plagen schickte, versetzt einen die Filmszene trotzdem. Es dämmert, der Himmel im Hintergrund wird gräulich-blau, man hört ein anschwellendes Brummen, dann hebt ein Flattern und Knattern an und aus dem Wiesenboden steigen braunschwarze Insekten empor, sie spreizen die dicken Deckflügel, die hellen, fast durchsichtigen Hautflügel darunter rotieren wie Propeller. <BR /><BR />So fliegen sie los, die Maikäfer, eine dunkle, surrende, dröhnende Wolke, irgendwie unheilverkündend. Stellt man sich ihnen in den Weg, verfangen sich die Brummer in den Haaren, sie krallen sich fest und krabbeln einem auf dem Kopf herum. Prallen sie auf einen harten Gegenstand, einen Baumstamm etwa, plumpsen sie schwerfällig zu Boden, wo sie dann auf dem Rücken liegen und hilflos mit den Flügeln pumpen. Geschickt wirken sie nicht. Aber die Maikäfer erinnern an ferne Zeiten ohne Chemie in der Landwirtschaft, die manchen als die besseren erschienen. <h3> <div class="img-embed"><embed id="774902_image" /></div> </h3>„Die Älteren erzählen, dass sie die Maikäfer in Eimern oder Schachteln einsammelten. Ein Spaß für die Kinder, sie wussten ja nicht, dass mit den Krabbeltieren massive Probleme verbunden sind“, sagt Stefanie Höller. Die Bäuerin steht am Rand ihrer Apfelwiese, im Unterland bei Branzoll. Ein Bewässerungskanal plätschert vorbei, im Dickicht steht ein verwitterter windschiefer Hochsitz, weiter unten stiebt flügelschlagend ein Pulk Enten empor. Höller hat Fotos auf ihrem Handy gespeichert, wo es wie früher ist: „Wir sind hier im Maikäfer-Hotspot. Wir konnten sie heuer in Kübeln aus den Netzen klauben.“ <h3> Feind der Obstbauern</h3>Sie gehören zur Familie der Blatthornkäfer, die ihren Namen von den hellbraunen Fühlern haben, die sie wie einen Fächer aufspreizen. Dort sitzen die äußerst empfindlichen Geruchsnerven. Im April und im Mai kriechen die Maikäfer aus dem Boden und fliegen auf nahe Laubbäume, wo sie sich mit Blättern vollfressen. Nach der Begattung sterben die Männchen, die Weibchen kehren zur Eiablage auf den Boden zurück, wo sie etwa in Knöcheltiefe bis zu 100 Eier legen. Aus diesen schlüpfen nach vier bis sechs Wochen die Engerlinge – der Feind der Obstbauern.<BR /><BR /> Denn die Maikäfer, die in den 1950er Jahren manchmal ganze Waldstücke kahlfraßen, schienen eine Zeitlang fast verschwunden zu sein. Damals, in den 1950er Jahren, rückte man ihnen mit dem Insektengift DDT auf den Leib. Offenbar erfolgreich. „Es gibt keine Maikäfer mehr“, hat Reinhard Mey gesungen. Nun sind sie wieder da. 2022 ist in Südtirol ein Flugjahr. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="774905_image" /></div> <BR />„Das war schon haevy, ich bin jedes Mal beunruhigt, wenn ich das Schauspiel sehe“, sagt Stefanie Höller über die Flugschau, die die braunen Käfer in ihrer Apfelwiese veranstalteten. Wenn zu viele Larven an den Wurzeln der Bäume knabbern, sterben diese: Für den Bauern ein großer Schaden. <BR /><BR />Höller, Teilzeitbäuerin, sitzt jetzt im Konferenzsaal im Bezirksbüro des Südtiroler Beratungsrings für Obst- und Weinbau in Neumarkt, ihrem zweiten Arbeitsplatz. Hier gibt es eine Kaffeeecke mit Espressomaschine, in Regalen liegen Infobroschüren, über Kosten im Apfelanbau etwa oder über Neuanlagen in Steillagenweinbau. Aus dem Fenster fällt der Blick auf den gotischen Turm der Pfarrkirche St. Nikolaus, der über dem Dorf in den Himmel spitzt. Zusammen mit einem Mitarbeiter beobachtet Höller die Entwicklung der Maikäferpopulation und empfiehlt dann den Bauern gezielte Maßnahmen. <h3> 2 Methoden zur Vorbeugung</h3>Ein „Vorteil“ des Maikäfers liege in seiner Berechenbarkeit, sagt die Agronomin. „Normalerweise kommen Maikäfer alle drei oder vier Jahre in größerer Zahl vor, das liegt am Entwicklungszyklus vom Ei bis zum flugreifen Käfer.“ Das genaue Warum für die Massenvermehrungen, „es gibt auch Nebenflugjahre“, sagt Höller, hätten die Wissenschaftler bisher nicht herausgefunden. Heute gehe es vor allem um Vorbeugung. Dazu würden in Südtirol zwei Methoden angewandt, erklärt Höller: Ein Mikrobiologe habe ein Verfahren mit Pilzgerste entwickelt, welche die Bauern im Boden vergraben. „Eine biologische Bekämpfung, völlig ungiftig für uns Menschen und andere Tiere, die Larvenpopulation wird dadurch auf eine tolerable Größe reduziert.“ <BR />Eine weitere Methode sei das Abdecken des Bodens mit Nylonnetzen: „So wird unterbunden, dass die jungen Käfer losfliegen, gleichzeitig werden die Weibchen, wenn sie vom Fraßflug zurückkehren, an der Eiablage gehindert“, sagt Höller. Da die braunen Brummer warme, sandige Böden lieben, sei in Südtirol besonders das Unterland rund um den Kalterer See, Auer und Branzoll Maikäfergebiet, erfahre ich. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="774908_image" /></div> <BR />Eine halbe Stunde später sitze ich in der Bar des Hotel Christin neben dem Bahnhof von Auer. „Gehen wir hinein“, sagt der Bauer, der sich zu diesem Treffen bereit erklärte, nachdem wir uns am Eingang begrüßten, wo einige seiner Kollegen, zwei ältere mit einer blauen Schürze um den Bauch, an einem Tisch zusammensitzen. <BR />Mein Gesprächspartner, der verkündet, „ich helfe gerne“, möchte nicht gestört oder belauscht werden. Seinen Namen will der Mann mit ergrautem 5-Tagebart auch nicht in der Zeitung lesen. „In den 1960er Jahren, als ich aufgewachsen bin, hat man die Maggi-Würze „Zullensaft“ genannt. Vielleicht war da etwas Wahres dran. Manche haben wirklich Maikäfersuppe gemacht“, erzählt der Bauer mit einem Grinsen. <BR /><BR />Ich darf ihn noch zu seiner Wiese an der Etsch begleiten, wo die Apfelbäume in schnurgeraden Reihen Spalier stehen. Im Hintergrund braust der Zug vorbei. Über Betonsäulen, die die Bäume überragen, sind als Schutz vor dem Hagel schwarze Nylonnetze gespannt, die in der Vormittagssonne das Sonnenlicht reflektieren. Maikäfer sehe ich keine mehr. Mittlerweile sind die Engerlinge geschlüpft und beginnen ihr zerstörerisches Werk an den Wurzeln. <BR /><BR /><BR /><BR />Die Hagelnetze, erklärt der Bauer, eigneten sich auch als „Zullen-Fallen.“ „Die Zullen sind blöd – sie fliegen geradeaus gegen das Netz. Immer und immer wieder, ein Schlupfloch zu suchen, fällt ihnen nicht ein.“ Der Bauer zeigt Fotos auf seinem Handy, wo man Plastikeimer sieht, bis zum Rand mit den braunen, zappelnden Brummern gefüllt. „Gratis-Hühnerfutter. Man muss es mögen, wenn dann die Eier „zullelen“, geschmacklich an Krebse erinnern!“ Allerdings sei das nichts für ihn, erklärt der Bauer, und grinst wieder. <BR /><BR /><BR />