Vom Dorfplatz aus sind es nur wenige Gehminuten nach Betlehem, diesem engen, urigen und ältesten Viertel von Tramin. Hier hat das Schnappviech moderner Prägung seinen Ursprung und hier ist noch immer sein Zuhause. <BR /><BR />Beiläufig zieht Stefan Steinegger irgendwann ein Garagentor hoch und siehe da: Haufenweise nebeneinander aufgereihte Schnappviecher, oftmals auch liebevoll als Wudelen bezeichnet. Obwohl die Mäuler weit aufgerissen, hat es doch ein wenig den Anschein, als würden die Viecher friedlich vor sich hinträumen und die Strapazen der vergangenen Wochen verdauen. Oder aber Kraft tanken für das große Finale am Faschingsdienstag. Dann geht’s nämlich in aller Herrgottsfrüh los, um wie an allen ungeraden Jahren zum unverzichtbaren Bestandteil eines der größten Faschingsspektakel in Südtirol zu werden: dem Egetmann-Umzug. <BR /><BR /><b>Teil eines Orchesters</b><BR /><BR />Tatsächlich scheinen die Traminer Männer von dieser Figur beseelt zu sein. „Man rennt als Schnappviech durch die Gassen, macht mit dem rhythmischen Klappern immer wieder mal auf sich aufmerksam und empfindet sich als Teil eines Orchesters“, beschreibt Stephan Dezini das Innenleben eines Schnappviechs. An die 30 Kilo Gewicht müssen dabei gekonnt balanciert werden, das „lebendige“ Wudele erreicht eine imposante Höhe von 3 Metern. Die Männer verrichten Schwerstarbeit, denn es wird nicht nur gespurtet und drauflosgeklappert, sondern das Schnappvieh interagiert auch mit den Zuschauern und muss immer auf etwaige Tücken gefasst sein. Aber die Gruppe trägt einen, unterwegs fühle man sich ein wenig wie in Trance. <BR /><BR /><b>Den Brauch lebendig halten</b><BR /><BR /><BR />„Natürlich braucht es für einen tadellosen Schnappvieh-Auftritt am Faschingsdienstag viel Erfahrung und Übung“, sagt Stefan Steinegger und betont, dass die Beteiligung am großen Egetmann-Umzug nur den finalen Teil darstellt. „Die Fasnachtszeit beginnt am 7. Jänner, bis zum Egetmann-Umzug gehen wir etwa 10-mal mit den Schnappviechern die Runde“, sagt er. Jeden Samstag schwärmen sie mit ihren Viechern aus, nehmen sich eines der Ortsviertel vor, deren sonderbare Namen wie Sibirien, Finnland, Tripolis, Viertelgraun oder eben Betlehem eine Traminer Eigenart darstellen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1135167_image" /></div> <BR />Wenn die Schnappviecher aber an den Samstagen zuvor ihre Viertel beleben, zeigt sich, wie sehr sich die Dorfbewohner mit ihren Wudelen identifizieren. „An mehreren Orten wird gerastet, die Leute laden uns in ihre Wohnungen und Keller ein und bewirten uns auf großzügige Art und Weise“, sagt Stephan Dezini. Über die Jahre hinweg habe sich eine besondere Art der Wertschätzung entwickelt. Tramin und die Schnappviecher, das ist mehr als nur gelebte Tradition, das ist längst Teil der Traminer Identität. Am 7. Jänner wird die Hochzeit des Egetmann-Hansls verkündet, am Faschingsdienstag wird sie nach althergebrachter Tradition, die bis ins Jahr 1591 zurückreicht, vollzogen und gefeiert. An die 10.000 Besucher von überall her wohnen dem Umzug bei und feiern mit. <BR /><BR /><b>Fischers Erbe würdigen</b><BR /><BR />Die rätselhafte Figur des Schnappviechs hat schon Historiker und Ahnenforscher beschäftigt, der Legende nach wurde ein aus dem Fleimstal stammendes Schnappviech aus Montan und auch Neumarkt vertrieben, ehe es in Betlehem Zuflucht fand. Im Traminer Betlehem wohlgemerkt, dort, wo ein gewisser Fritz Fischer seine Werkstatt hatte und in den 1960er-Jahren mit dem Bau weiterer Schnappviecher begann. Fritz Fischer, der Großvater von Stefan Steinegger, gilt als Gründer der Traminer Schnappviechgruppe, auf ihn gehen die heutigen Figuren zurück. Erstmals marschierten Schnappviecher als Gruppe im Jahr 1967 los, bis zu seinem Tod im Jänner 1997 führte Fritz Fischer die Schnappviechgruppe an. <BR />Heute zählt die eingeschworene Schnappviehgruppe 45 Mitglieder – Burschen und Männer im Alter von 17 bis 77 Jahren, allesamt Traminer. Heute unterscheiden sich die Wudelen nicht nur äußerlich durch Maul, Hörner, Zähne und die Art der Felle, sondern auch in der Bauweise.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1135170_image" /></div> <BR /><BR /> Niemand weiß das besser als der zugewanderte Pusterer Werner Kühbacher. Ihn darf man getrost als Schnappviech-Mastermind bezeichnen, schließlich führt er seit vielen Jahren die Tradition seines Schwiegervaters in seiner eigenen Werkstätte fort. Ein immenses Sammelsurium an Schrauben, Hobeln, Sägen und Utensilien hängen an den Wänden, auf einem wuchtigen Holztisch warten 2 klassische Schnappviech-Gebisse auf kleinere Interventionen. Wir befinden uns noch immer in Betlehem. „Die Bauweise wurde nach und nach verbessert und verfeinert, die Mitglieder lassen sich die Materialien mittlerweile so einiges kosten“, sagt Werner Kühbacher und erinnert an die ersten rudimentär zusammengeflickten Schnappviecher. Als Gerippe diente zuweilen einfach ein ausrangiertes „Kehrtatl“. Viele der alten Träger hüten ihr erstes Wudele wie einen Schatz daheim auf dem Unterdach. Auch wenn es längst durch ein neues ersetzt werden musste, wird es nicht einfach hergegeben – schließlich hängen daran zu viele Erinnerungen. Allein Stefan Steinegger hat 10 Schnappviecher in unterschiedlichen Größen bei sich daheim – die meisten davon gehören seinen Kindern.<BR /><b><BR />Dem Archaischen huldigen</b><BR /><BR />„Tatsächlich ist das Schnappviech untrennbar mit dem Lebenszyklus unseres Dorfes verbunden und so ist es auch nur logisch, dass wir die Kinder an diesen Brauch heranführen“, sagt Stefan Steinegger. Ein fester Bestandteil davon ist das Wudelegehen mit Kindern im Dorf, etwa 80 bis 100 kleine Wudelen beteiligen sich jedes Jahr daran. Die Nachwuchswudelen lernen auf diese Weise, wie man sich als Wudele bewegt, welche Bedeutung es in der großen Egetmann-Erzählung einnimmt und warum es am Brunnen von einem Metzger geschlachtet wird. Wie bei vielen Fasnachtsbräuchen liegt auch diesem symbolischen Akt die Austreibung des Winters zugrunde. Der Metzger verkörpert den Frühling, er entledigt sich der bösen Winterdämonen, indem er ihn absticht. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1135173_image" /></div> <BR />„Natürlich ist es für uns Schnappviecher eine große Gaudi und für die Dorfgemeinschaft eine lange Tradition, aber es geht hier auch um die Bewahrung von Kulturgut“, spannt Stefan Steinegger einen größeren Rahmen. Der gelebte Brauch macht überlieferte Geschichte lebendig, erzählt alte Mythen und rettet das verblassende bäuerliche Leben ferner Epochen in die Neuzeit herüber. Und hier, in der Neuzeit, bildet es ein Kontrastprogramm zum durchgestylten, hochtechnologischen und gänzlich durchgetakteten Leben – für einige Tage können die Beteiligten das Ungestüme, das Wilde und Archaische entfesseln. Gerade die Ausschweifung erklärt ein wenig die Faszination für alte Fasnachtsbräuche und das Schnappviech.<BR /><b><BR />Der Kult um das Wudele</b><BR /><BR />Dass dem Schnappviech die Sympathien geradezu zufliegen, freut die 3 Männer des Traminer Schnappviehgruppe natürlich, jedoch legen sie Wert auf die korrekte Geschichte dahinter. In der Tat hat sich der Kult um das Wudele längst verselbstständigt – so gibt es nun auch Schnappviechgruppen in umliegenden Gemeinden, Wudelen als dekorative Elemente auf Pullovern oder Pölstern, Schnappviechkurse für Kinder mit Referenten und gar die in Treviso beheimatete Gruppe „Amici dello Schnappvieh“. Sie wurde von einem abgewanderten ehemaligen Bahnarbeiter aus Neumarkt gegründet. Alles schön und gut, findet Stefan Steinegger, solange man dem Brauch Wertschätzung und Respekt entgegenbringt. <BR />Groß ist auch die Nachfrage nach Wudele-Bauteilen zum Zusammenbauen für Kinder. „Ich kann den Vätern nur empfehlen, zusammen mit ihren Kindern ein Wudele zu bauen, denn so eine Erfahrung ist viel wertvoller als ein gekauftes Wudele“, sagt Stefan Steinegger. Man muss die Dinge mit Leben füllen, ihnen eine Seele geben – das gilt für die Schnappviecher genauso wie für alles andere, was einem im Leben wichtig ist.