Italien wird 150 Jahre alt, doch das Jubiläum der Einheit des Stiefelstaates löst vor allem viel Streit aus. Der Weg war schon schwer, bis Viktor Emanuel II. das italienische Königreich am 17. März 1861 ausrufen konnte – die Geburtsstunde des Landes. „Kann man Italien retten?“ Fast ebenso schwer fällt es dem Italien des 21. Jahrhunderts, den großen Tag gebührend und stolz zu feiern. Und wenn dies auch noch mit einem Blick in die Zukunft des Landes verbunden sein soll, sehen viele ganz schwarz: „Kann man Italien retten?“ Diese Frage tischt der Historiker Paul Ginsborg zum Jubiläum auf. Er blickt „mit großer Traurigkeit und tiefer Resignation“ auf den betrüblichen Zustand von „Bella Italia“.Gefeiert wird natürlich trotzdem, doch es war ein arges Ringen um ein bisschen Einheit an diesem Tag der Einheit. Erst gab es erhitzte Debatten darüber, ob denn die Schulen am 17. März geschlossen bleiben sollen. Dann machte das Kabinett von Regierungschef Silvio Berlusconi das Fest der Feste per Dekret zum Nationalfeiertag, was aber beileibe nicht allen Ministern behagte. Schärfster Protest kam von der auf Autonomie bedachten Lega Nord – die just in diesen Wochen mit Gewalt ein Gesetz durchs Parlament boxt, das mehr Föderalismus bringen soll und den reichen Norden dann weiter vom, immer noch armen, Süden trennt.Vor allem der Norden ist nicht in FeierstimmungMan stößt gerade ganz im hohen Norden Italiens mehr auf Dissonanz denn auf harmonische Töne à la Giuseppe Verdi. So gab Landeshauptmann Luis Durnwalder unmissverständlich zu verstehen, dass er mit den Feierlichkeiten nichts am Hut habe: „Die deutschsprachigen Südtiroler haben nichts zu feiern. 1919 hat man uns nicht gefragt, ob wir Teil des italienischen Staates sein wollten.“ Er wolle keine alten Wunden aufreißen, beteuerte Durnwalder noch. Wer feiern wolle, solle feiern. Er tue es nicht. Etwas weiter südlich: Das Reich der aus verschiedenen regionalen Autonomiebewegungen entstandenen Lega Nord steht doch eigentlich vom frühen Morgen bis zum Abend gegen die „Einheit“ des Landes auf. Das Kuriose – auch mit Blick auf das Jubiläum – daran ist nun, dass die nörglerische Lega Nord, die mehr Unabhängigkeit für ihr „Padanien“ will, der überlebenswichtige Koalitionspartner Berlusconis ist. Und jetzt nach Mittelitalien, in das von der Lega Nord so gern beschimpfte Rom. Hier regiert (noch) der Medienzar und Milliardär mit dem Hang zu jungen Frauen. Seit 17 Jahren prägt Silvio Berlusconi das Bild Italiens, auch wenn er mal gerade nicht vom Palazzo Chigi aus das Land zu lenken versucht. Das „Einheitsjahr“ trifft das Belpaese in einer Zeit wirtschaftlichen Stillstands, politisch gelähmt von den unendlichen Geschichten rund um den Cavaliere. Nein, nicht Berlusconi ist schuld daran, dass das Land zerrissen erscheint, das bestätigen auch die Historiker: Es war bereits so 1961, zum 100-Jahr-Jubiläum.Bleierne Zeit, die belastet Aber es ist eine bleierne Zeit unter Berlusconi, viel Freude am Feiern kann da nicht aufkommen. In welchem anderen Land betrachten sich die Bürger derart selbstverachtend? Das fragt der britische Historiker Ginsborg, der seit 18 Jahren in Italien lebt und jetzt auch eingebürgert ist: „Sicher nicht die Griechen oder Franzosen, auch nicht die Amerikaner oder die Briten.“ In seinem erhellenden, schmalen Buch „Salviamo L'Italia“ (Retten wir Italien) erinnert Ginsborg daran, wie fassungslos man im Ausland sieht, dass das Land keinen Befreiungsschlag hinbekommt. Es fehlt eine Opposition, die den Namen verdient, vielleicht auch eine größere „Bewegung der Straße“.Dazu passt, wie der renommierte römische Historiker Emilio Gentile noch weitaus strenger mit den Italienern ins Gericht geht, als Kollege Ginsborg von der Universität Florenz: In „Né Stato né Nazione“ (weder Staat noch Nation) nennt er sie „Feinde Italiens“, ihre Haupttugenden seien – Laster. Für ihn sind die Italiener gleichgültig, egoistisch,arbeitsunlustig und immer daran interessiert, sich „zu arrangieren“. Und auf wen dies zutrifft, mit dem ist wahrlich kein Staat zu machen.Noch weiter im Süden: „Sardinien ist nicht Italien“, so hat ein Unbekannter auf die alten Mauern der sardischen Hauptstadt Cagliari gesprayt. Auch hier kommt immer mal der Ruf nach noch mehr Autonomie auf. Der Mezzogiorno von Neapel bis Reggio Calabria hängt nach wie vor am Tropf der Gelder aus Rom. Trotz aller geflossenen Milliarden ist die Nord-Süd-Kluft eher noch größer geworden. Die Mafia, allen voran die kalabrische „Ndrangheta“ stellt eine der größten Probleme dar. Manche Gegenden der Stiefelspitze gelten als gesetzloses Land, wie ein Wilder Westen ohne Sheriff. Und wie soll bei dieser Nord-Süd-Kluft Geburtstagssstimmung aufkommen?Hanns-Jochen Kaffsack/stol