Im Interview erklärt Gahr, welchen Wahlausgang er sich in Österreich erwartet, welche Jahre ihn am meisten gefordert haben und ob mit der Sanierung der Lueg-Brücke ein Verkehrskollaps zu erwarten sein wird.<BR /><BR /><b>Österreich wählt am 29. September. Kann die ÖVP die Freiheitlichen noch abfangen?</b><BR />Hermann Gahr: Laut Umfragen steht die FPÖ überall in der Favoritenrolle. Die ÖVP ist derzeit dabei, das, was in den vergangenen Jahren passiert ist, noch einmal der Bevölkerung zu erklären, sie zu sensibilisieren. Die Wahlbewegung läuft durchaus positiv, die Zustimmung ist gut, die Funktionäre sind fleißig unterwegs. Daher sind wir optimistisch. Österreich steht grundsätzlich ordentlich da – es gibt Perspektiven für die Zukunft. Man darf Umfragen aber nicht überbewerten – in letzter Zeit sind sie oft danebengelegen. Das Rennen um die Nummer Eins ist offen. Es wird auf alle Fälle knapp.<BR /><BR /><b>Die ÖVP hat 2019 37 Prozent erreicht. Was braucht die ÖVP, um noch einmal auf so eine enorme Zustimmung zu kommen?</b><BR />Gahr: Die Ausgangslage war damals eine andere: Sebastian Kurz war ein Zugpferd, wie es schon lange keines mehr gegeben hatte. Die FPÖ war durch Ibiza sehr stark angeschlagen und stark dezimiert. Inzwischen hat es Corona und die Teuerung gegeben. In der Migrationsfrage haben wir in dieser Legislatur versucht, sehr konsequent zu sein und Linie zu halten. Aber mit diesem Regierungspartner ist nicht alles umsetzbar. Da muss man die Linie noch verschärfen, um bei der Bevölkerung glaubhaft zu sein. Sicherheit ist eines der wichtigsten Themen, die von der Bevölkerung erwartet werden.<BR /><BR /><b>Um den Südtirol-Unterausschuss ist es in den vergangenen Jahren eher still geworden. Wenn jemand jetzt zu Ihnen sagt, diesen Ausschuss braucht es eigentlich nicht mehr, was antworten Sie dem?</b><BR />Gahr: Es ist nicht stiller geworden um den Ausschuss. Wir hatten im Vergleich zu früher eher mehr Tätigkeit in dieser Legislaturperiode. Wir hatten einen Austausch mit dem Südtiroler Landtag und die Abgeordneten waren in Wien. Es gibt einen laufenden Austausch zwischen Bundeskanzler und italienischer Regierung, zwischen Tirol, Bozen und dem Trentino. Südtirol hat in Österreich einen hohen Stellenwert und der ist nicht verloren gegangen. Es steht für mich außer Frage, dass es auch in Zukunft einen Südtirol-Unterausschuss geben muss und der muss auch mit Leben erfüllt werden. <BR /><BR /><b>Sie haben in Ihrer 25-jährigen Amtszeit 9 verschiedene Bundeskanzler erlebt. Welcher hat Sie am meisten beeindruckt?</b><BR />Gahr: Ich bin bei Wolfgang Schüssel eingestiegen. Es war damals – 1999 – spannend mit dem Eintritt der FPÖ in die Regierung. Schüssel war ein politischer Vollprofi – ich schätze ihn bis zum heutigen Tag. Auch Karl Nehammer macht einen guten Job und Sebastian Kurz hat in seiner Blüte ebenso gute Arbeit für Österreich geleistet. Es sind dann halt Fehler passiert. Diese Drei waren bzw. sind große Politiker. Kurz hat gezeigt, dass die Politik nicht immer gleich mit Erfahrung ausgestattet sein muss, sondern auch mutig ist. Nehammer hat das Land wieder stabilisiert, er bringt sich auch europäisch ein. Ich hoffe, dass Nehammer auch nach dem 29. September noch Bundeskanzler bleiben wird.<BR /><BR /><b>Gab es bei Ihnen als Politiker auch Momente, in denen Sie alles hinschmeißen wollten?</b><BR />Gahr: Nein. In der Politik gibt es nicht nur schöne und erfolgreiche, sondern auch schwierige Tage. Die Corona-Zeit hat mich am meisten gefordert und geprägt – weil ich gesehen habe, wie machtlos man ist, wenn es etwas gibt, wo man nicht alle Tage Antworten hat. Zum Nachdenken gibt mir, wie schnell ein Land in extreme Lager abdriften kann: In Thüringen und Sachsen kommen die extrem linken und rechten Parteien insgesamt auf über 60 Prozent. Ich bin ein Vertreter der Politik der Mitte, der Ausgleich ist wichtig.<BR /><BR /><b>Warum hat es Sie in die Politik gezogen?</b><BR />Gahr: Mich hat es nicht in die Politik gezogen. Unser Bauernbundobmann Toni Steixner hat mich als Landesgeschäftsführer der Maschinenringe und als Einsatzleiter des landwirtschaftlichen Zivildienstes gefragt. Ich habe mich dann einer internen Ausscheidung gestellt und in einem Hearing beweisen müssen. Ich war sehr stark im Funktionärswesen tätig, ich konnte mich dort gut einbringen. Das war dann meine Basis.<BR /><BR /><b>Was halten Sie von Amtsdauerbegrenzungen für Bürgermeister auf 15 Jahre?</b><BR />Gahr: Das ist ein Modell, das funktionieren kann. Damit muss man aber verbinden, dass ein Politiker auch eine ordentliche Rückkehr in seinen Zivilberuf hat. Sonst wird sich niemand mehr für die Politik finden. Was ich eher einführen würde: Mit dem Pensionsalter sollte man die Politik beenden. Ich halte nichts davon, dass man mit über 70 Jahren noch in der Politik ist. Man sollte seine Grenzen kennen. Eine politische Funktion sollte nicht bis ins hohe Alter dauern. Es sollte einen guten Mix zwischen bewährten und neuen Kräften geben. Ich habe bei der letzten Wahl fast 12.000 Vorzugsstimmen erhalten. Wenn ich nur 5000 oder 6000 Stimmen erhalten hätte, dann hätte ich mir überlegt, ob ich das Amt überhaupt annehme. Denn dann könnte ich für mich auch annehmen: Meine Kraft hat nicht gereicht oder die Bevölkerung ist nicht mehr zufrieden.<BR /><BR /><b>Kann der BBT tatsächlich eine langfristige Lösung des Verkehrsproblems bringen, wenn der Verkehr immerzu steigt?</b><BR />Gahr: Der Brennerbasistunnel ist sicher eine Lösung, den steigenden Verkehr abzufangen. Die Schweiz macht es uns vor – mit fast 80 Prozent des Verkehrs auf der Schiene und 20 Prozent auf der Straße. Deshalb müssen wir die Verlagerung vorantreiben, sonst werden wir im Verkehr ersticken. Wir bauen jetzt eine teure Bahn um viele Milliarden, es ist ein europäisches Projekt. Enttäuschend ist und hohe Unzufriedenheit schafft, dass Deutschland seine Hausaufgaben nicht macht und uns immer wieder vertröstet, was den Zulauf betrifft. Da hat man gesehen: Der Regierungswechsel in Deutschland hat keinen Erfolg gebracht. Gerade die Grünen waren für die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene – aber erreicht hat man nichts, es gab eher Rückschritte. In den vergangenen 5 Jahren ist bei der Bahn in Deutschland nicht viel passiert. Zwischen Bayern und Berlin hat man sich den Ball hin- und hergeschoben.<BR /><BR /><b>2025 wird die Lueg-Brücke saniert. Droht da der Kollaps?</b><BR />Gahr: Gerade für die verkehrsstarken Tage brauchen wir Sonderregelungen. Ich glaube nicht, dass es zu einem Verkehrschaos kommen muss, wenn man gegenseitiges Verständnis zeigt und ernsthafte Modelle macht. Die Zweispurigkeit muss an verkehrsreichen Tagen gewährleistet bleiben. Da schaut es so aus, dass dies möglich ist mit gewissen technischen Anforderungen.<BR /><BR /><b>Wer gewinnt die Wahlen in den USA – Donald Trump oder Kamala Harris?</b><BR />Gahr: Das ist ein Match zwischen nur 2 Lagern – bei uns fast unvorstellbar. Mir ist es egal, wie die Wahl ausgeht. Wichtig ist, dass man mit den USA wieder einen stabilen Partner hat. Die Herausforderungen weltpolitisch sind riesengroß. <BR /><BR /><b>Welche 3 Charaktereigenschaften braucht ein Politiker, wenn er Erfolg haben will?</b><BR />Gahr: Für mich ist wichtig, dass ein Politiker Gemeinschaftsdenker ist und das Gesamte sieht. Es braucht Gemeinschafssinn, Mut für Veränderungen und soziale Kompetenz. <BR /><BR /><b>Was ist Ihre Botschaft an die Südtiroler zu Ihrem Abschied?</b><BR />Gahr: Wir wollen Südtirol auch in Zukunft gut in Wien vertreten. Und wir wollen, dass Südtirol in Österreich ernst genommen wird, dass das Thema Südtirol auf der Agenda bleibt. Wir haben nicht nur die Schutzfunktion für Südtirol, sondern den Auftrag und die Pflicht, dass wir uns als Nachbarn und als Partner sehen. Wir sind in einem gemeinsamen Europa, wo Grenzen abgebaut werden. Ich hoffe, dass noch einige Grenzen in den Köpfen abgebaut werden. Die Autonomie muss immer neu eingefordert werden. Nichts ist selbstverständlich. Südtirol ist im Parlament in Wien eine Daueraufgabe – das muss auch in Zukunft so bleiben. Das kann man nur mit einem aktiven Austausch machen.<BR /><BR /><b>Was werden Sie in Ihrer Pension machen?</b><BR />Gahr: Ich bin noch Forum-Land -Obmann beim Bauernbund und Obmann der BioEnergie. Ein bis 2 Funktionen werde ich noch ehrenamtlich weiterführen. Meine 3 Enkelkinder machen mir viel Freude. Ich hoffe, ihnen das Skifahren zeigen zu dürfen. Die Familie ist zu kurz gekommen in den vergangenen Jahren. Ich werde mich zurückhalten und der Politik keine große Ratschläge erteilen. Zurufe von außen sollte man sich gut überlegen, was Inhalt und Häufigkeit betrifft. Ich habe Vertrauen, dass die Demokratie auch ohne Zurufe funktioniert.