Beide Fälle zeigen die wachsende und potenziell gefährliche Rolle des Rechts in der nationalen und internationalen Politik.<BR /><BR />Beides sind bahnbrechende Ereignisse. Trumps Anklage ist die erste in der US-Geschichte gegen einen amtierenden oder ehemaligen Präsidenten. In ähnlicher Weise haben internationale Gerichte bisher nur eine Handvoll Haftbefehle gegen Staatsoberhäupter ausgestellt, und nie gegen das einer Großmacht. <BR /><BR />Diese Gerichtsverfahren werden daher wichtige Präzedenzfälle darstellen und könnten enorme Folgen haben, selbst wenn keines davon zu einer strafrechtlichen Verurteilung führt. Die Frage ist, ob dies glückliche Präzedenzfälle sein werden und ob die Folgen unterm Strich positiver Art sein werden.<BR /><BR />Seit den Nürnberger Prozessen im Gefolge des Zweiten Weltkriegs bestand das Ziel des internationalen Strafrechts darin, eine rechtliche Verantwortung für Kriegshandlungen zu institutionalisieren. Die meisten internationalen Strafgerichtshöfe unterstanden dabei der Kontrolle des UN-Sicherheitsrates, sodass sie nicht gegen die fünf mit Vetomacht ausgestatteten ständigen Mitglieder dieses Gremiums (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) eingesetzt werden konnten. Der IStGH jedoch untersteht bewusst nicht den UN. Während Russland sich nie der Zuständigkeit des IStGH unterworfen hat, hat die Ukraine dies getan, und der IStGH agiert auf dieser Grundlage.<h3> Haftbefehl macht Hoffnung</h3>Laut IStGH-Ankläger Karim A. A. Khan macht der Haftbefehl Hoffnung, dass Putin für seine an ukrainischen Kindern begangenen Verbrechen und vielleicht auch für die vielen anderen unter seiner Regie in der Ukraine begangenen Straftaten „zur Rechenschaft gezogen“ wird.<BR /><BR /> Und selbst wenn Putin nie in Den Haag auf der Anklagebank sitzt, könnte der Haftbefehl laut IStGH „zur Verhinderung weiterer Straftaten [in der Ukraine] beitragen“. Harold Koh, Professor an der Yale Law School und ehemalige Rechtsberater des US-Außenministeriums, macht zudem geltend, dass er Putin Legitimität entziehen, ihn isolieren und schwächen und so seine Verhandlungsmacht einschränken könnte.<BR /><BR />Doch könnte der Haftbefehl, wie Kohs früherer Kollege im US-Außenministerium Stephen Pomper argumentiert, auch ernste „negative Auswirkungen“ haben. Pomper – inzwischen politischer Leiter der International Crisis Group – sorgt sich, dass der Schritt Putin noch gefährlicher und tödlicher machen, einen künftigen Friedensprozess behindern und die multilaterale Zusammenarbeit mit Russland in Fragen wie der humanitären Hilfe in Syrien und Afghanistan verhindern könnte.<BR /><BR /> Er könnte zudem die Legitimität des IStGH selbst beschädigen, insbesondere falls der Haftbefehl die internationale Unterstützung für das Gericht spaltet oder Länder sich weigern, im Fall der Fälle ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Verhaftung und Überstellung Putins nach Den Haag nachzukommen.<BR /><BR />Analoge Nachteile komplizieren die strafrechtliche Verfolgung Trumps. Wenn er gegen das Strafrecht des Staates New York verstoßen hat, verdient Trump, ins Gefängnis zu kommen. Die Tatsache, dass er US-Präsident war, ist dabei irrelevant. Und die Verurteilung eines derart mächtigen Mannes wäre eine besondere Bestätigung des Rechtsstaates. Die Anklageerhebung könnte Trump zudem, wie Alexander Burns argumentiert, politisch schaden, indem sie Wechselwählern Trumps Schäbigkeit und Amtsuntauglichkeit vor Augen führt.<h3> Staatsanwalt bewegt sich auf dünnem Eis</h3>Doch könnte sie auch das Gegenteil bewirken. Der Staatsanwalt von New York County, Alvin L. Bragg, bewegt sich nach Ansicht vieler juristisch auf dünnem Eis; das meint auch ein renommierter Jurist, der in der Vergangenheit selbst an dem Fall gearbeitet hat. Daher, und angesichts von Braggs politischen Verbindungen zu den Demokraten, werden die Republikaner die Anklageerhebung weitgehend als politisch motiviert ansehen, und sie haben es bereits geschafft, einen politischen Streit mit Bragg loszutreten. <BR /><BR />Die kurzfristigen politischen Auswirkungen von Braggs Anklageerhebung und Trumps wütender Reaktion sind schwer zu beurteilen. Doch dürfte die Episode negative Auswirkungen auf die schwerwiegenderen und glaubwürdigeren Ermittlungen gegen Trump von US-Bundessonderermittler Jack Smith haben. Smith hat starke rechtliche Argumente, insbesondere was Trumps Besitz von US-Regierungsdokumenten – darunter vielen mit hoher Geheimhaltungsstufe – in seinem Wohnsitz in Mar-a-Lago angeht.<BR /><BR />Doch die erwartete Anklage in dem Bundesverfahren wird unweigerlich kontrovers sein, denn sie kommt aus dem Justizministerium der Biden-Regierung, und das, nachdem Trump bereits seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2024 angekündigt hat. Nach der Anklageerhebung in New York werden Smiths Bemühungen mit der zusätzlichen Herausforderung konfrontiert sein, dass es scheint, als würden die Strafverfolgungsbehörden Trump mit Verfahren überziehen. <BR /><BR />Man könnte nun meinen, dass Bedenken über die praktischen Folgen einer Strafverfolgung Putins und Trumps irrelevant sind. Beide haben schließlich schlimme Taten begangen, und die Rechtsstaatlichkeit verlangt, dass sie dafür bestraft werden. Fiat justitia, ruat caelum – es walte Gerechtigkeit, auch wenn der Himmel einstürzt.<h3> Unrealistische Betrachtungsweise</h3>Doch ist dies eine unrealistische Betrachtungsweise. So funktioniert das nicht mit dem Strafrecht in der nationalen und internationalen Politik, wo es um viel geht. Sollte der Haftbefehl des IStGH zu mehr Toten und Leid führen, als es sonst gegeben hätte, wird das den Gerichtshof und das umfassendere Projekt des internationalen Strafrechts diskreditieren. Ähnlich ist es mit der New Yorker Anklage gegen Trump: Wenn sie Trump stärkt – insbesondere, wenn sie als Auslöser einer Kette von Ereignissen betrachtet wird, die zu seiner Wiederwahl oder destabilisierenden künftigen Vergeltungsmaßnahmen führen –, werden viele Amerikaner sie als tragischer Fehler betrachten. <BR /><BR />Wir können nicht wissen, ob diese Dinge passieren werden oder man sie so betrachten wird. Doch wenn ja, wurde offensichtlich keine Gerechtigkeit geübt.<BR /><BR />Aus dem Englischen von Jan Doolan<h3>Zum Autor</h3>Jack Goldsmith ist Professor für Jurisprudenz an der Harvard Law School und Senior Fellow an der Hoover Institution.<BR /><BR />Copyright: Project Syndicate, 2023.<BR /> <a href="https://www.project-syndicate.org/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.project-syndicate.org</a><BR />