<b>Interview: Elmar Pichler Rolle</b><BR /><BR /><b> Im Pariser Vertrag von 1946 ist die ladinische Volksgruppe überhaupt nicht erwähnt. Welches ist Ihre Meinung dazu und haben Sie mit älteren ladinischen Politikern darüber gesprochen?</b>Daniel Alfreider: Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch von Alcide De Gasperi, der aus Staatsräson und auf Druck des Nationalen Befreiungskomitees und anderer nationalistischer Bewegungen, darunter die Autonomiebewegung im Trentino, beschlossen hat, die Ladinerfrage nicht in die Friedensverhandlungen einzubeziehen. Zu dieser Zeit hatten die Ladiner bereits ein klares politisches Ziel. Sie drängten auf die Vereinigung aller Ladiner unter einer einzigen Provinz. Die ladinischen Bürgermeister von Suramunt waren mehrmals in Rom, um ihre Forderungen vorzubringen, und hatten sowohl die Unterstützung der SVP als auch der österreichischen Regierung. De Gasperi zeigte sich jedoch unnachgiebig. Das Ergebnis ist bekannt. Die Ladiner wurden auf drei Provinzen aufgeteilt. De Gasperi betrachtete die Ladiner als zu tirolerisch und zu nahe an Österreich. Als Ministerpräsident förderte De Gasperi, obwohl im Trentino geboren, mit Nachdruck die Italianità. Das ist schade. Wäre De Gasperi ein klein wenig sensibler gewesen in Bezug auf die Anliegen der Ladiner, wäre die Geschichte der seit damals aufgeteilten ladinischen Bevölkerung vielleicht ganz anders geschrieben worden.<BR /><BR /><b>Welches waren die ersten konkreten Maßnahmen, auf dass auch die ladinische Sprachgruppe von der Autonomie profitieren konnte, und wann haben sich die Ladiner in der Südtiroler Volkspartei erstmals aktiv eingebracht?</b>Alfreider: Die erste Anerkennung, von der die Ladiner profitieren konnten, betrifft sicherlich die Schule. Die Möglichkeit, auf Ladinisch zu unterrichten, anerkannt im Artikel 19 des Statuts. Das war für den Erhalt der ladinischen Sprache und Kultur entscheidend. Vom paritätischen Bildungssystem, das seinerzeit unter Minister Guido Gonella erreicht wurde, profitieren Kinder und Jugendliche auch beim Erlernen der deutschen und italienischen Sprache. Auf dieses Bildungssystem, das viele engagierte Väter und Mütter hat, können wir heute zu Recht stolz sein. Unser Schulsystem ist aktueller denn je und meiner Meinung nach eigentlich eine mehrsprachige internationale Schule, in der vor allem auch die Wertschätzung und das Erlernen der ladinischen Muttersprache und Kultur einen hohen Stellenwert haben. – In der SVP waren die Ladiner von Beginn an engagiert und die Wahlergebnisse seit 1945 zeugen davon, dass die SVP auch in Ladinien als Sammelpartei anerkannt war. Auf allen Ebenen konnten die Ladiner wichtige Positionen besetzen und ihre Anliegen weiterbringen.<BR /><BR /><b>Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Figur von Alois „Vijo“ Pupp, der aus Antermoia/Untermoi stammte und vor Silvius Magnago, von 1956 bis 1960 Südtirols Landeshauptmann war?</b>Alfreider: Diese Zeit war geprägt von starken politischen Spannungen und einer allgemeinen Unzufriedenheit mit dem ersten Autonomie-Statut sowie schwierigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Südtirol war ein armes Land und es gab kaum Aussichten auf wirtschaftliche Prosperität. Unter diesen Vorzeichen hatte die „Ladinerfrage“ praktisch keine Priorität im politischen Alltag und die SVP wollte die Ladiner im Zweifel eng an die deutsche Sprachgruppe gekoppelt wissen. Aus heutiger Sicht war das sicher sehr positiv, weil der Minderheitenschutz schon damals nicht getrennt, sondern immer für beide, für die deutsch- und die ladinischsprachige Bevölkerung weiterentwickelt wurde.<BR /><BR /><b>Wie ist es heute um die ladinische Sprachgruppe bestellt? Bei der letzten Volkszählung war der Anteil der ladinischsprachigen Bevölkerung in den ladinischen Gemeinden rückläufig. Machen Sie sich deswegen Sorgen? </b>Alfreider: Von Besorgnis würde ich nicht sprechen, aber dies ist die wichtigste Herausforderung in der globalen und digitalen Welt. Wenn man den allgemeinen demografischen Trend und die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen berücksichtigt, denen auch die ladinischen Täler ausgesetzt sind, kann ich den Daten der Volkszählung auch Positives abgewinnen. Vor allem aber sehe ich, dass die ladinische Sprachgruppe lebendiger ist denn je. Kulturelle Vielfalt, ein besonderes Bildungssystem, ein äußerst aktives Vereinsleben und wirtschaftliche Prosperität sind gute Voraussetzungen dafür, dass Kultur und Sprache weiterhin gefestigt bleiben. Aber natürlich gilt es, wachsam zu bleiben. Wir haben mittlerweile viele gemischtsprachige Familien und wir sind eine sehr kleine Sprachminderheit, weshalb die täglichen Bemühungen um Erhalt und Entwicklung von Sprache, Kultur und Identität essenziell sind.<BR /><BR /><b>Welches waren die letzten aktiven Maßnahmen für die ladinische Sprachgruppe im Rahmen des Ausbaues der Südtirol Autonomie. Und in welcher Form haben Sie daran selbst mitgewirkt? Ist auch von der anstehenden Autonomie-Reform etwas zu erwarten?</b>Alfreider: Eine der wichtigsten Maßnahmen war sicherlich die Genehmigung der Abänderung des Autonomiestatutes mit Verfassungsgesetz im römischen Parlament. Ein Parlament mit damals rund 930 Mitgliedern und die Staatsregierung zu überzeugen, die Rechte für eine rund 30.000 Köpfe zählende Sprachgruppe auszubauen, war schwieriger als alle anderen politischen Projekte in meiner politischen Karriere. <BR /><BR /><b>Was konkret hat sich für die ladinische Sprachgruppe durch diese Änderung ergeben?</b><BR />Alfreider: Mit dieser Reform wurden neun Artikel des Zweiten Autonomiestatuts geändert, wodurch die Rechte der Ladiner jenen der deutsch- und italienischsprachigen Bevölkerung gleichgestellt werden. Insbesondere ist für die Ladiner jetzt das Vertretungsrecht auch in der 12er- und 6er-Kommission vorgesehen sowie zudem die Möglichkeit, in anderen wichtigen politischen Gremien präsent zu sein. Neu dazu gekommen ist auch das Anrecht, das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters auszuüben. Darüber hinaus wurde eine stärkere ladinische Vertretung in zentralen öffentlichen Gremien sowie ein größeres Mitspracherecht bei der Genehmigung des Landeshaushalts vorgesehen. <BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>