Für Kinder, die an einer Lese-/Rechtschreibstörung (LRS) leiden, ist der Umgang mit der eigenen Muttersprache im wahrsten Sinne des Wortes mit riesigen Hürden vollgestellt. Doch ihnen kann geholfen werden.<BR /><BR /><BR /><i>Interview: David Hofer</i><BR /><BR />Im Interview gibt Marie Luise Reckla, langjährige Beraterin im Pädagogischen Beratungszentrum Bozen, anlässlich des heutigen internationales Tages der Muttersprache Einblick in den Alltag von Menschen mit LRS und zeigt auf, warum die „Schuldfrage“ hier absolut fehl am Platz ist.<BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Frau Reckla, heute ist der Internationale Tag der Muttersprache. Doch der Umgang mit Sprache bietet neben Chancen auch Schwierigkeiten. Wie verbreitet sind Lese- und Rechtschreibschwächen in Südtirol?</Fett_Akzidenz></b><BR /><Fett_Akzidenz>Marie Luise Reckla:</Fett_Akzidenz> Hier muss man differenzieren. Es gibt einerseits Lese-/ Rechtschreibschwächen, andererseits aber auch Schwächen nur im Bereich des Schreibens und nur im Bereich des Lesens. Alle drei Bereiche zusammengenommen, ist davon auszugehen, dass unter der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols in etwa zwischen vier und sechs Prozent betroffen sein dürften. Studien haben aufgezeigt, dass die Zahlen bei Menschen, die die deutsche Sprache verwenden, etwa in diesem Bereich liegen. Genau erfasst werden diese Daten in Südtirol allerdings nicht. <BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Wodurch und in welchem Alter macht sich eine Lese- und Rechtschreibschwäche üblicherweise bemerkbar?</Fett_Akzidenz></b><BR />Das ist unter anderem abhängig von der Persönlichkeit des Betroffenen und auch von seinem Umfeld. Die ersten „Risikofaktoren“ sind schon gegen Ende der ersten Klasse Grundschule zu bemerken. Direkt diagnostiziert wird es aber vor allem gegen Ende der Grundausbildung im Lesen und Schreiben, also am Ende der zweiten Klasse. Es gibt allerdings auch viele Kinder, die das Problem durch eine gute Merkfähigkeit lange Zeit kompensieren können. Und natürlich gibt es auch Erwachsene mit LRS. <BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Ist das Thema in unserer Gesellschaft mit einer Art Stigma behaftet?</Fett_Akzidenz></b><BR />Ein bisschen schon, ja. Einerseits ist es nicht leicht, mit der Situation umzugehen, sowohl als Betroffener, aber auch als Elternteil. Häufig wird die Schuldfrage in den Raum geworfen. Wer ist schuld an dieser Schwäche? Ist es die Schule, das Kind, das zu wenig übt, oder sind es die Eltern, die ihre Kinder zu wenig fördern? Hier ist aber klarzustellen: Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Schuld hat niemand! Es ist einfach eine Problematik, die auftreten kann. Ziel muss es sein, hier die „Risikofaktoren“ so schnell wie möglich zu erkennen und zum Wohl der Betroffenen zu intervenieren.<BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Lässt sich das Problem überspielen?</Fett_Akzidenz></b><BR />Einiges kann heutzutage tatsächlich überspielt werden, nicht zuletzt durch technische Hilfsmittel. Früher haben sich Menschen mit LRS schwergetan, auf einer Autobahnfahrt im Ausland die richtige Ausfahrt von den Schildern abzulesen. Durch die Sprachfunktion bei Navigationsgeräten ist diese Hürde weggefallen.<BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Wie können Betroffene am besten unterstützt werden?</Fett_Akzidenz></b><BR />Der erste Schritt ist es, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Auch zu verstehen, dass weder Faulheit noch Dummheit dahinterstecken. Denn LRS hat nichts mit Intelligenz zu tun. An erster Stelle steht also sicher, das Problem zu akzeptieren. Bei Kindern ist es anschließend wichtig zu sehen, auf welcher Stufe sie stehen und wo man ansetzen kann. Auch Jugendlichen und Erwachsenen kann noch geholfen werden. Doch dazu müssen diese ihr Problem zuerst akzeptieren, selbst Hilfe suchen und diese zulassen. Heute gibt es eine Reihe von Fördermöglichkeiten, auch digitaler Natur.<BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Mit welchen Herausforderungen sehen sich Eltern konfrontiert?</Fett_Akzidenz></b><BR />Vor allem zu akzeptieren, dass ihr Kind Schwierigkeiten hat und sich die Schullaufbahn dadurch auch schwieriger gestalten wird. Damit ist natürlich Angst und Unsicherheit verbunden, die viele Eltern auch vor einer Diagnose zurückschrecken lässt. Andererseits brauchen diese Kinder natürlich auch mehr Unterstützung von Seiten der Schule, aber auch von Außerhalb. Tatkräftige Unterstützung bei den Hausaufgaben gehört dazu, oftmals auch der Gang zur Logopädie. Auch das ist ein herausfordernder und auch zeitintensiver Schritt. Ebenso wie die Kinder in ihrem Selbstwertgefühl zu unterstützen. Aktuell ist die Umstellung auf den Fernunterricht eine weitere Hürde.<BR /><BR /><b><Fett_Akzidenz>Sie sprechen die coronabedingte Umstellung im Schulalltag an… Inwiefern beeinflusst diese die Problematik?</Fett_Akzidenz></b><BR />Einige wenige Kinder erleben die Situation vielleicht sogar als Erleichterung. Sie müssen sich nicht vor der Gruppe schämen, da sie im Fernunterricht auch die Eltern um Hilfe bitten können. Aber im Großen und Ganzen ist es so, dass Kinder mit Lese-Rechtsschreibeschwäche die Betreuung durch die Eltern im Heimunterricht nochmal viel mehr benötigen. Zudem stellt sich die Frage, wie Betroffene auf diese Art zusätzlich an ihren Schwächen arbeiten können. Das ist eine große Herausforderung für die Eltern, aber auch für die Lehrpersonen, die hier eine zusätzlich individuelle und weiterführende Beratung geben müssen.<BR />