<b>STOL: Frau Reiterer, Sie sind eine wichtige Stimme im österreichischen Journalismus. Wie haben Sie den Wandel der Medienlandschaft in den vergangenen 20 Jahren erlebt – vor allem im Spannungsfeld zwischen Qualitätsjournalismus und digitaler Schnelllebigkeit?</b><BR />Claudia Reiterer: Ich habe als Journalistin begonnen, als es zwar schon Handys gab, aber kein Internet. Gerade das Internet war die größte Veränderung der vergangenen Jahrzehnte. Man kommt überall und jederzeit an Informationen. Gleichzeitig hat die Digitalisierung im Medienbereich mit sich gebracht, dass alles schneller geworden ist – unter dem Motto: Geschwindigkeit vor Hintergründigkeit. Jedes Medium will das erste sein, das eine Nachricht bringt. Das hat den gesamten Journalismus drastisch verändert – und auch große Probleme mit sich gebracht.<BR /><BR /><b>STOL: Nämlich?</b><BR />Reiterer: Die Demokratie kann nicht von diesen Informationsschnipseln leben, sondern von Zusammenhängen. Und genau die sind immer mehr verloren gegangen. Wir erleben einen radikalen Medienbruch. Früher hatte man einen kuratierten Raum, heute gibt es eine Dauerbeschallung – und darunter leidet leider oft die journalistische Sorgfalt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70396287_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Als Frau in einer oft männerdominierten Medien- und Politikwelt: Wo haben Sie die größten Hürden erlebt?</b><BR />Reiterer: Ich habe dazu einen Lieblingssatz: Wenn du nicht am Tisch sitzt, stehst du auf der Speisekarte. Ich wollte unbedingt in den Journalismus – vor allem in den innenpolitischen Bereich –, weil es dort zu meiner Zeit viel zu wenige Frauen gegeben hat. Im Prinzip ist es so: Die Kompetenz von Männern wird selten infrage gestellt, bei Frauen hingegen schon. Frauen werden leider immer noch auf ihr Geschlecht reduziert – Männer nicht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1181955_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Das ist auch heutzutage noch der Fall?</b><BR />Reiterer: Ja. Nehmen wir Ursula von der Leyen: Sie wurde als deutsche Verteidigungsministerin in Interviews ständig gefragt, ob sie als Frau überhaupt etwas von Kampfjets versteht. Ihrem Vorgänger, Thomas de Maizière, der keine spezielle militärische Erfahrung hatte, wurden solche Fragen nie gestellt.<BR /><BR /><b>STOL: Man geht also von vornherein davon aus, dass Frauen weniger kompetent sind als Männer?</b><BR />Reiterer: Leider ja. Wir Frauen müssen unsere Kompetenz ständig unter Beweis stellen, während bei Männern automatisch davon ausgegangen wird, dass sie qualifiziert sind.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70396288_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Sie haben sich ja, um bei diesem Thema zu bleiben, in der Vergangenheit mehrfach für mehr Frauen in Führungsrollen ausgesprochen. Besteht dieses Problem nach wie vor?</b><BR />Reiterer: So ist es. In der Praxis ist es oft so, dass der Mann die Leitung übernimmt und die Frau die Stellvertreterin ist. Es ist leider immer noch nicht überall selbstverständlich, dass man sich auf Augenhöhe begegnet.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1181958_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Wir schreiben das Jahr 2025 – warum, glauben Sie, ist das immer noch so?</b><BR />Reiterer: Sokrates hat in der Antike schon gesagt, dass eine Frau – wenn sie dem Mann gleichgestellt ist – diesem überlegen sein könnte. Das war damals der Grund, warum Frauen von öffentlichen Reden ausgeschlossen wurden.<BR /><BR /><b>STOL: Viele Männer haben also Angst, dass ihnen Frauen in derselben Position überlegen sein könnten?</b><BR />Reiterer: Naja, jede Frau nimmt einem Mann „den Job weg“ – das ist nach wie vor so.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70396289_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Wie haben die sozialen Netzwerke die öffentliche Debattenkultur verändert? Sind sie eine Chance oder eher eine Gefahr für eine gesunde Demokratie?</b><BR />Reiterer: Angefangen hat es als Chance für die Demokratie. Mittlerweile sind sie aus meiner Sicht eine Gefahr. Qualitätsmedien liefern redaktionell geprüfte Informationen – sie sind ein Kompass in diesem Meer an Meinungen. Qualitätsmedien stellen Zusammenhänge her. Auf Social Media findet man hingegen Nachrichten in oberflächlichen Häppchen.<BR /><BR /><b>STOL: Social Media ist also Fast Food und die klassischen Medien ein Vier-Gänge-Menü?</b><BR />Reiterer: Man könnte sagen: Social Media sind Fast Media, klassische Medien Slow Media – also bewusste Entschleunigung. Eigentlich müsste man bei sozialen Netzwerken das Wort „Medien“ streichen. Es sind soziale Plattformen, aber keine Medien im klassischen Sinne.<BR /><BR /><BR /><b>STOL: Wie gehen Sie mit Hasskommentaren um?</b><BR />Reiterer: Ich bin mit 22.000 Mails in die Sendungspension gegangen – davon waren sicher 90 Prozent Hassmails. Irgendwann habe ich es so gehandhabt: 24 Stunden vor der Sendung – und bei besonders schwierigen Sendungen bis zu 48 Stunden danach – habe ich einfach nichts gelesen. Das kann man kritisch sehen, weil genau das ja das Ziel der Hater ist: einen mundtot zu machen. Normalerweise bin ich dafür, zu antworten, aber bei dieser Flut war das einfach nicht mehr möglich. Eine gute Möglichkeit ist, mit einer Prise Humor auf Hasskommentare zu reagieren. So gelingt es oft, den Hass zu entschärfen. Es hat keinen Sinn, in der Antwort unter die Gürtellinie zu gehen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70397550_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Kann der klassische Journalismus in Zeiten von TikTok, YouTube und algorithmusgesteuertem Informationskonsum weiterhin eine so wichtige Rolle einnehmen wie in der Vergangenheit?</b><BR />Reiterer: Ja – die klassischen Medien sind heute wichtiger denn je. Es gibt mittlerweile viele Bürgerinnen und Bürger, die ganz bewusst Nachrichten meiden. Eine neue Studie hat gezeigt, dass immer mehr Menschen sich komplett von Informationen abschotten, weil ihnen die Flut zu viel wird. Ehrlich gesagt: Das wundert mich nicht. Wir müssen also wegkommen von schnellen, oberflächlichen News – hin zu hintergründigen, gut recherchierten Informationen. Das ist es, was die Menschen wirklich interessiert.<h3> Zur Person</h3>Claudia Reiterer (*1968 in Wien) ist eine profilierte österreichische Journalistin, Moderatorin und Autorin. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester wechselte sie in den Journalismus und arbeitete ab 1999 für den ORF, u. a. bei „Report“, „heute konkret“ und ab 2017 als Moderatorin der Polit-Talkshow „Im Zentrum“. 2025 verließ sie den ORF nach 27 Jahren. Reiterer ist auch als Buchautorin und Mentorin aktiv und wurde mehrfach ausgezeichnet.<h3> Der Eurac-Lehrgang</h3>An der Eurac in Bozen startete jüngst ein neuer Aufbaulehrgang für Frauen in der Gemeindepolitik, der vom Landesbeitrat für Chancengleichheit zusammen mit dem Frauenbüro und Eurac konzipiert und organisiert wurde. Vorgestellt wurde das Programm bei einem Sommer-Talk – mit der ORF-Journalistin und Bestsellerautorin Claudia Reiterer. Anmeldungen für den Lehrgang sind noch bis Ende Juni möglich – <a href="https://chancengleichheit.provinz.bz.it/de/news/aufbau-lehrgang-fur-frauen-in-der-gemeindepolitik" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">hier können Sie sich anmelden. </a>