Die Nato, die Putin zurückdrängen wollte, rückt mit dem bevorstehenden Beitritt Finnlands zum westlichen Militärbündnis mit weiteren 1300 Kilometern gemeinsamer Grenze an Russland heran; und das seit 2 Jahrhunderten bündnisfreie Schweden komplettiert das transatlantisch gesicherte Skandinavien.<BR /><BR />Und wie sieht es bei einem weiteren Neutralen in Europa aus, einem, der Jahrzehnte hart am Stacheldraht zum sogenannten Ostblock lebte, die Niederschlagung von Umbruchversuchen durch die Sowjets in Ungarn (1956) und in Tschechien (1968) hautnah erlebte – in Österreich?<h3> Österreichs Neutralität als heilige Kuh</h3> Hier ist die „immerwährende Neutralität“ eine heilige Kuh, die nicht nur nicht geschlachtet, sondern nicht einmal angesprochen werden darf. Im Gegenteil: Jeder Versuch, den sicherheitspolitischen Status Österreichs, der ein höchst unsicherer ist, anzutasten, endet für den Mutigen fatal – der politische Gegner und die Volksmeinung fegen in weg. <BR />Und so ist es kein Wunder, dass sich auch Bundeskanzler Karl Nehammer bei seiner Kür zum ÖVP-Obmann am Wochenende ohne Not zur Neutralität bekannte und die Notwendigkeit unterstrich, dass sich Österreich selbst verteidigen könne. „Wir brauchen ein starkes Bundesheer. Ja, da sind Versäumnisse passiert.“<BR />Das ist genau der Punkt der österreichischen Neutralitätslüge: Die Alpenrepublik hofft, niemals Schauplatz einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sein oder, im Fall des Falles, von Freunden verteidigt zu werden – weil selbst wäre sie dazu nie in der Lage.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54354232_quote" /><BR /><BR />Österreich, das nach dem Zweiten Weltkrieg in 4 Besatzungszonen aufgeteilt war, erlangte 1955 die Freiheit und seinen Staatsvertrag nur durch die „selbst gewählte“ Neutralität, wie in Schulbüchern gerne erzählt wird – in Wahrheit war sie eine Bedingung dafür, dass die Sowjetunion dem Staatsvertrag und dem Abzug zustimmte.<BR />Anders als in der Schweiz wurde das österreichische Bundesheer (und die Verpflichtung zur Selbstverteidigung) immer als Mauerblümchen behandelt. Auch wenn, wie sich nach dem Mauerfall in osteuropäischen Archiven herausstellte, die Verteidigung wohl wenig genutzt hätte, weil Österreich der Sowjetarmee als Aufmarsch- und Durchmarschgebiet in einem allfälligen Krieg gegen den Westen galt.<BR />Im Laufe der Jahre wurde das Bundesheer immer weiter zu einer Katastrophen- und Hochwassereinsatztruppe abgerüstet, bei der Anschaffung der 15 Eurofighter-Jets zu Beginn des Jahrhunderts (sie stehen wegen zu hoher Wartungs- und Betriebskosten weitgehend ungeflogen im Hangar) polterte die SPÖ-Opposition: Österreich sei ohnehin von Nato-Mitgliedern umgeben, deren Luftraumüberwachung reiche wohl. (Dass Österreich seit seinem EU-Beitritt und im Rahmen der Nato-Partnerschaft für Frieden sehr wohl an friedenserhaltenden und -schaffenden Einsätzen unter UN-Mandat und Ausbildungsmissionen teilnehmen kann und teilnimmt, wird gerne verschwiegen).<BR />Diese Trittbrettfahrer-Mentalität hat größte Zustimmung in der Bevölkerung: Österreich ist doch beliebt, Wien ist UN-Sitz, das Land verkauft sich auch gerne als Vermittler auf der Bühne der Weltpolitik (dass es dort allenfalls Nebenrollen hatte, ist die andere Wahrheit) - wer soll Österreich also überfallen, und wenn, dann würde dem kleinen Land schon geholfen, oder?<BR />Erst mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist ein marginaler Stimmungswandel zu spüren: Das Heeresbudget soll von derzeit 0,6 Prozent möglicherweise auf ein Prozent des BIP in den kommenden 5 Jahren aufgestockt werden. Aber die Neutralität in Frage stellen (und den russischen Bären reizen)?<h3> Nicht nur anecken </h3> Schon die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj im österreichischen Parlament zugeschaltet werden soll, hat Angstreflexe etwa bei der SPÖ ausgelöst. Und dass Kanzler Karl Nehammer zu Selenskyj nach Kiew fuhr, war erst wieder gut, als bekannt wurde, dass er auch zu Wladimir Putin nach Moskau fahren würde. <h3> Nur militärisch neutral</h3>Am „mutigsten“ gab sich noch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der die Neutralität als „Element der Selbstdefinition“ Österreichs bezeichnete. Sie infrage zu stellen, halte er nicht für richtig, sehr richtig aber sei es, über die künftige Gestaltung der Sicherheitsstruktur nachzudenken. Österreich könne ein Teil eines europäischen Verteidigungssystems sein, nicht aber „an einer Armee teilnehmen“. Und auf den Krieg in der Ukraine bezogen: Österreich sei zwar militärisch neutral, nicht aber politisch.<BR />Ein jüngst veröffentlichter Offenen Brief an den Bundespräsidenten, die Bundesregierung, den Nationalrat und die österreichische Bevölkerung von namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die eine „ernsthafte, gesamtstaatliche Diskussion über die sicherheits- und verteidigungspolitische Zukunft Österreichs und die Verabschiedung einer neuen Sicherheitsdoktrin“ fordern, erschien bisher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.<BR />