Der US-Justizminister steht vor einer folgenreichen Abwägung. Merrick Garland muss entscheiden, ob er mit Donald Trump erstmals in der Geschichte der USA einen ehemaligen Präsidenten vor Gericht stellen wird oder aus politischen Gründen darauf verzichtet.<h3> Gewohnte „Fake“-Vorwürfe</h3>Der Auftritt vor seinen johlenden Anhängern beim „America First Policy Institute“ fühlte sich wie eine Zeitreise in das Jahr 2016 an. Heute wie damals wetterte Trump gegen die „Fake News“-Medien, die „verrückte“ Nancy Pelosi, die „außer Kontrolle“ geratenen Grenzen zu Mexiko und die „Hexenjagd“ auf ihn, das Opfer gesichtsloser Bürokraten und linker Eliten. Wie bei seiner Rede zum Amtsantritt entwarf er im „“ das düstere Bild einer Nation im Untergang. „Wir sind eine Nation, die vor dem Scheitern steht.“<BR /><BR />Es gebe keinen Respekt mehr für das Recht und sicherlich gebe es keine Ordnung mehr. „Unser Land ist eine Jauchegrube voller Verbrechen. Wir erleben Blut, Tod und Leiden auf einer Skala, die einst undenkbar war, weil die Demokraten versuchen überall in Amerika die Ordnungshüter zu zerstören und demontieren“. Dies alles müsse aufhören, forderte Trump und brachte sich als möglichen Präsidenten für „Recht und Ordnung“ ins Spiel. „Wir müssen es vielleicht einfach noch einmal machen“, brachte der mit sieben Millionen Stimmen abgewählte Ex-Präsident eine erneute Kandidatur 2024 ins Spiel.<BR /><BR />Die „Four more years“-Rufe in der Echokammer eingefleischter Trump-Fans ließ die Ironie des Retro-Treffens unweit des Weißen Hauses kurz in Vergessenheit geraten. Nicht nur, dass die goldenen Letter mit dem Namenszug des Redners auf dem verkauften Hotel an der Pennsylvania-Avenue abmontiert sind. Seit dem in acht Anhörungen im Kongress öffentlich ausgebreiteten Coup-Versuch fehlt dem mutmaßlichen Drahtzieher des 6. Januar in den Augen vieler Amerikaner die Glaubwürdigkeit, über den Verlust von Recht und Ordnung zu klagen. Trump schaute 187 Minuten lang tatenlos zu, wie mehr als 140 Polizisten von seinen Anhängern zum Teil schwer verletzt wurden.<h3> Ermittler verfolgen 2 Tatbestände</h3>Während der Ex-Präsident seine Wahlkampfschlager der Vergangenheit entstaubte, berichtete die „Washington Post“ über die Realität, mit der es Trump in der Gegenwart zu tun hat. Demnach ermittelt das Justizministerium sehr viel breiter als bisher bekannt. Die Staatsanwälte verfolgen laut dem „Scoop“ der Post 2 Tatbestände. Zum einen geht es um „Verschwörung zum Aufruhr“, wegen der die Justiz bereits Anklage gegen Stewart Rhodes und Henry „Enrique‚ Tarrio erhoben hat, die als Führer der „Oath Keepers“ beziehungsweise „Proud Boys“ am 6. Jänner halfen, die Gewalt zu eskalieren. Zum anderen untersucht das Justizministerium einen Plan, mit falschen Betrugsvorwürfen und gefälschten Wahlleutelisten den friedlichen Machtwechsel zu verhindern. <BR /><BR />Die Ermittlungen würden mithilfe einer Grand Jury geführt und beschäftigten 3 Abteilungen im Ministerium, heißt es. USA-weit würden Beweise gesammelt und Personen zum Verhör vorgeladen, die für Trump tätig gewesen seien. Darunter einige, die dem Präsidenten am Dienstag in Washington zugejubelt hatten. <BR /><BR />Die Bundesanwälte hätten in den vergangenen Tagen den Büroleiter des ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence und dessen Justiziar vor einer Grand Jury vernommen. Mark Short und Greg Jacob hatten 2 Tage vor dem mutmaßlichen Coup-Versuch an einem Treffen im Oval Office teilgenommen, bei dem Trump vergeblich versucht hatte, Pence unter Druck zu setzen, den Wahlsieg Bidens nicht zu zertifizieren. <BR /><BR />Die „New York Times“ berichtete am selben Tag über geleckte E-Mails externer Trump-Berater, die darin im Detail den Plan diskutierten, in Bundesstaaten mit knappen Wahlergebnissen Listen mit „Fake“-Wahlleuten aufzustellen und diese am 6. Jänner vorzulegen. Dies würde Pence einen Vorwand liefern, die Zertifizierung zu verweigern. <h3> Wer Schlüsselrollen spielte</h3>Eine Schlüsselrolle spielten der Staatsrechtler John Eastman, Trumps Hausanwalt Rudy Giuliani, Jeffrey Clark, der im Justizministerium Trumps eine Leitungsaufgabe hatte, und Boris Epshteyn, ein Stratege, der schon in der Russland-Affäre aufgefallen war. Das Justizministerium beschlagnahmte die Smartphones und andere elektronische Geräte von Eastman und Clark. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55353177_quote" /><BR /><BR /><BR />Die jetzt bekannt gewordenen Ermittlungen der Justizbehörde sind unabhängig von denen der Untersuchungskommission im Repräsentantenhaus. Während der Kongress nur eine Empfehlung aussprechen kann, hat der Justizminister die Möglichkeit, Anklage zu erheben. Sollte sich Merrick Garland dazu entschließen, gegen Trump strafrechtlich vorzugehen, wäre dies ein einmaliger Vorgang in der amerikanischen Geschichte.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="793370_image" /></div> <BR />In einem Interview mit NBC trat Garland dem Vorwurf entgegen, nicht aggressiv genug gegen den mutmaßlichen Drahtzieher und Anführer der Ereignisse vom 6. Januar 2021 vorzugehen. „Wir bewegen uns mit Dringlichkeit, um alles über diese Periode zu lernen, und wir ziehen jeden rechtlich zur Verantwortung, der versucht hat, sich in den friedlichen Übergang der Macht kriminell einzumischen“. Sein Ministerium werde vor keiner Person haltmachen, „ohne Furcht und Gefälligkeit für Gerechtigkeit zu sorgen.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="793373_image" /></div> Gewiss nicht zufällig bot sich Mike Pence den Republikanern am Tag der Trump-Rückkehr nach Washington bei einem Auftritt vor konservativen Studenten in einem anderen Marriott-Hotel als Alternative an. „Einige Leute entscheiden sich dafür, den Blick in die Vergangenheit zu richten“, verpasste der mögliche Mitbewerber um die Präsidentschaftsnominierung der Republikaner einen Seitenhieb auf seinen ehemaligen Chef. „Aber bei diesen Wahlen geht es um die Zukunft.“ <BR /><BR />Gemessen an den „Scoops“ von Post und Times beinhaltet diese Zukunft für Trump nach Ansicht von Analysten rechtliche Probleme, vielleicht sogar eine Anklage. <BR /><BR />