Natürlich ist die strategische Bedeutung der Arktis nichts Neues. Während des Kalten Krieges bot die Region die kürzeste Flugroute für ballistische Interkontinentalraketen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sowie dank des tiefen Eises und der unwirtlichen Bedingungen für Schiffe reichlich Schutz für U-Boote.<BR /><BR />Doch mit dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion begann eine Ära abnehmender Militarisierung und zunehmender Zusammenarbeit, insbesondere im Umweltschutz. Dieser Wandel wurde vom Arktischen Rat – einem 1996 gegründeten zwischenstaatlichen Forum – unterstützt, der in seinem Gründungsdokument (wenn auch in einer Fußnote) erklärt, dass er sich „nicht mit Fragen der militärischen Sicherheit befassen“ sollte.<h3>Kontroverses Thema</h3>In den letzten Jahren ist die Arktis jedoch wieder zu einem zunehmend kontroversen Thema geworden. Dies ist zum Teil auf den Klimawandel zurückzuführen – die Arktis erwärmt sich drei- bis viermal schneller als der globale Durchschnitt –, der die Einrichtung neuer kommerzieller Transitrouten ermöglicht und den Zugang zu den natürlichen Ressourcen der Region sowie den Wettbewerb um diese Ressourcen verschärft hat.<BR /><BR />Vor allem China hat sich bemüht, seine Präsenz zu verstärken. Im Jahr 2018 erklärte das Land sich selbst zu einem „arktisnahen Staat“ und kündigte Pläne zum Bau einer polaren Seidenstraße an, die Nordamerika, Ostasien und Westeuropa über den Polarkreis verbinden soll, als Teil seiner Neuen Seidenstraßen-Initiative. Diese Pläne wurden zusammen mit Chinas breiterer Verpflichtung, eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Arktis zu spielen, in Chinas 14. Fünfjahresplan (2021-25) verankert.<BR /><h3> Geostrategischer Wettbewerb</h3>Die jüngsten geopolitischen Ereignisse – vor allem der Krieg in der Ukraine – haben die Umwandlung der arktischen Region in einen wichtigen Schauplatz des geostrategischen Wettbewerbs scheinbar verfestigt. Beunruhigt durch die russische Aggression in der Ukraine haben Finnland und Schweden mit ihrer langjährigen Tradition der Neutralität gebrochen und den Beitritt zur NATO beantragt.<BR /><BR />Das verheißt nichts Gutes für den Arktischen Rat. Sobald der NATO-Beitrittsprozess Finnlands und Schwedens abgeschlossen ist, wird Russland das einzige Nicht-NATO-Mitglied des Forums sein. Die übrigen Mitglieder des Rates haben bereits alle zukünftigen Gespräche in Russland, das derzeit den rotierenden Vorsitz innehat, boykottiert.<BR /><BR />Und dann ist da noch Russland selbst. Obwohl sein militärisch-strategischer Schwerpunkt traditionell auf dem Schwarzen Meer und dem Kaukasus liegt, betrachtet Russland den hohen Norden als integralen Bestandteil des größeren eurasischen Raums. Diese Logik hat eine wichtige wirtschaftliche Komponente: Die arktischen Gebiete machen ein Zehntel des russischen BIP und ein Fünftel seiner Exporte aus. Aber es gibt auch eine strategische Komponente: Berichten zufolge unterhält Russland zusätzlich zu seiner in Seweromorsk stationierten Nordflotte etwa 475 militärische Einrichtungen in der Arktis.<BR /><BR />In seiner jüngsten Arktis-Strategie, die 2020 veröffentlicht wurde, nimmt Russland eine offen selbstbewusste Haltung ein. Die Strategie weicht sowohl im Ton als auch im Inhalt deutlich von der vorherigen Version ab und betont die Dringlichkeit, die Nördliche Seeroute als „global wettbewerbsfähigen nationalen Transportkorridor“ zu entwickeln und Russlands „Souveränität und territoriale Integrität“ zu gewährleisten.<BR /><h3> Russland und China profitieren</h3>Für Russland und China – die kurz vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine eine Partnerschaft „ohne Grenzen“ angekündigt haben – hat die Zusammenarbeit im hohen Norden offensichtliche Vorteile. China kann von Russlands umfassender institutioneller Präsenz einschließlich seiner technologischen Infrastruktur und Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Region profitieren und Zugang zu kürzeren und billigeren Routen zu den großen Wirtschaftszentren Nordamerikas und Westeuropas erhalten.<BR /><BR />Für Russland liegt der Hauptnutzen in der Stärkung seiner breiteren Beziehungen zu China – einem mächtigen Verbündeten in seinen Bemühungen, die globale wirtschaftliche und geopolitische Dominanz des Westens herauszufordern. Als zusätzlicher Bonus könnte China technologische Lücken schließen, die durch westliche Sanktionen entstanden sind, ähnlich wie die Vereinigten Arabischen Emirate es für das russische Erdgasunternehmen Novatek getan haben.<BR /><BR /><embed id="dtext86-56887103_quote" /><BR /><BR />Die Remilitarisierung des hohen Nordens ist seit Jahrzehnten im Gange. Doch der Westen beginnt erst jetzt, sich der Herausforderung bewusst zu werden. Im jüngsten strategischen Konzept der NATO, das im Juni verabschiedet wurde, wird Russlands „Fähigkeit, die alliierten Verstärkungen und die Freiheit der Schifffahrt im hohen Norden zu stören“, als „strategische Herausforderung“ bezeichnet. Die Arktispolitik der Europäischen Union, die 2021 aktualisiert wurde, bietet keinen kohärenten oder integrierten Ansatz.<BR /><BR />Es wäre naiv, auf ein Ende des geostrategischen Wettbewerbs im hohen Norden zu hoffen. Aber es müssen Anstrengungen unternommen werden, um eine Eskalation der Spannungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck muss der Westen – in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern wie Japan und Südkorea – die richtige Balance zwischen Diplomatie und Durchsetzungsvermögen finden. Die Bemühungen um den Erhalt des Arktischen Rates sind unerlässlich. Wenn Russland sich aufgrund von Bedenken über die Dominanz der NATO zurückzieht, würde die regionale Unbeständigkeit zunehmen. Dies wiederum würde eine strategische Öffnung für China schaffen, um in der Arktis Fuß zu fassen.<BR /><BR />Übersetzung: Andreas Hubig<BR /><BR />*Ana Palacio, die ehemalige spanische Außenministerin, ehemalige Senior Vizepräsidentin und Justiziarin der Weltbankgruppe, ist Gastdozentin an der Georgetown University.<BR /><BR />Copyright: Project Syndicate, 2022.<BR />www.project-syndicate.org<BR />