Für die demokratischen Kräfte ist der Wahlerfolg jedoch nur der erste Schritt. Denn erst wenn eine autoritäre Regierung gestürzt ist, beginnt die harte Arbeit des institutionellen Wiederaufbaus. + Ein Kommentar von Maciej Kisilowski und Anna Wojciuk<BR /><BR /><BR />Aber wie können diejenigen, die an der Spitze dieses Prozesses stehen, erfolgreich sein, wenn die wichtigsten politischen Kräfte sich weigern, die Grundlagen eines wettbewerbsorientierten Wahlsystems zu akzeptieren? Dies ist ein weitgehend unerforschtes Gebiet. Die „dritte Welle“ der Demokratisierung gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts bestand fast ausschließlich aus „kooperativen“ Übergängen. Unabhängig davon, ob die politischen Kräfte, die hinter dem stürzenden Regime standen, den Übergang aushandelten oder von der Macht verdrängt wurden, akzeptierten sie die neue demokratische Ordnung – und unterstützten sie manchmal sogar. <BR /><BR />In Polen beispielsweise akzeptierte General Wojciech Jaruzelski, der faktische Führer der Volksrepublik Polen, 1989 im Rahmen einer Vereinbarung mit der Solidarność-Bewegung die Rolle des Präsidenten. In Chile übernahm General Augusto Pinochet nach seinem Rücktritt im Jahr 1990 einen Sitz auf Lebenszeit im Senat. Mitte dieses Jahrzehnts gewannen ehemalige kommunistische Persönlichkeiten freie und faire Wahlen in mitteleuropäischen Ländern – und akzeptierten das Ergebnis, wenn sie verloren. <BR /><h3> Nicht-kooperatives Modell</h3>Leider haben sich moderne Autokraten wie Trump und Bolsonaro an ein ganz anderes, „nicht-kooperatives“ Modell gehalten. Während beide schließlich die Macht abgaben (wenn auch missmutig und mit einiger Gewalt), haben weder sie noch ihre Anhänger das Ziel aufgegeben, die autoritäre Herrschaft zu festigen. <BR /><BR />Fast drei Jahre nach Trumps entscheidender Wahlniederlage bestehen viele seiner Anhänger nach wie vor darauf, dass die Wahl „gestohlen“ wurde. Trump, der als Spitzenkandidat der Republikanischen Partei die Präsidentschaftsvorwahlen gewinnen will, bereitet sich darauf vor, im nächsten Jahr erneut gegen Biden anzutreten. Er schwört, die demokratischen Institutionen der USA von „dämonischen Kräften“ zu säubern: „Entweder zerstört der deep state Amerika, oder wir zerstören den deep state“, erklärte er letzten Monat auf einer Kundgebung in Waco, Texas, vor jubelnden Anhängern. <BR /><BR />Die Vereinigten Staaten sind nicht allein. Der bevorstehende Zusammenstoß zwischen der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und den liberalen Oppositionskräften wird der dritte seit 2007 sein. Der erste endete zu Gunsten der Opposition, als die PiS-Regierung aufgrund von internen Streitigkeiten zusammenbrach. <BR /><BR />Die siegreiche Koalition unter der Führung von Donald Tusk (der später Präsident des Europäischen Rates werden sollte) stand damals vor einem Dilemma: entweder Vergeltung für das Fehlverhalten der PiS zu üben, z. B. für den gut dokumentierten Machtmissbrauch des berüchtigten PiS-Justizministers Zbigniew Ziobro, oder sich im Interesse der politischen Harmonie für eine sanfte Vorgehensweise zu entscheiden. Tusks Regierung entschied sich für letztere Option, und die PiS-Führer wurden nie zur Rechenschaft gezogen. <BR /><h3> Robuste Basisbewegung</h3>Dies ermöglichte der PiS, eine robuste Basisbewegung zu kultivieren, die der demokratischen Ordnung zutiefst feindlich gegenübersteht. Wie Trump mobilisierte auch die PiS ihre Anhänger mit einer „großen Lüge“, allerdings nicht in Bezug auf Wahlfälschungen. Stattdessen behauptete die PiS, der Flugzeugabsturz, bei dem der ehemalige PiS-Vorsitzende Lech Kaczynski 2010 ums Leben kam, sei kein Unfall gewesen, sondern ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, von Tusk oder von beiden inszeniertes Attentat. <BR /><BR />Die Details der großen Lüge – ähnlich wie bei Trump – ändern sich ständig. Aber es geht nicht darum, die Menschen zu überzeugen, schon gar nicht die Skeptiker. Die Wiederholung jeder Variante der Geschichte ist ein performativer Akt, der darauf abzielt, die Legitimität der liberalen Gegner und der demokratischen Institutionen zu untergraben. Und der Plan ging auf: Die Verschwörungstheorie über den Absturz wurde zu einem Grundpfeiler des Wählerblocks, der die PiS 2015 wieder an die Macht brachte. Nachdem die PiS für ihre erste Amtszeit keine Rechenschaft ablegen musste, ernannte sie Ziobro erneut zum Justizminister. <BR /><BR />Sollte die Opposition im Oktober gewinnen, verspricht Tusk eine härtere Gangart einzuschlagen – was angesichts der ungleichen Ausgangslage, die die PiS geschaffen hat, ein harter Kampf sein wird. In einer spielerischen Anspielung auf das 500+-Programm der PiS – das Bargeldtransfers an Eltern vorsah – verspricht Tusk, das sogenannte Cell+-Programm fortzusetzen, das darauf abzielt, die polnische Politik von denjenigen zu säubern, die die Öffentlichkeit betrogen oder bestohlen haben. <BR /><BR />Es ist leicht zu verstehen, warum Tusk einen solchen Ansatz befürwortet. Doch wie Monika Nalepa und andere von der University of Chicago gewarnt haben, können pauschale Säuberungen ehemaliger autoritärer Apparatschiks die sozialen Spaltungen verschärfen und das Risiko von Vergeltungsaktionen und Eskalationen erhöhen. Das ist genau der Grund, warum Tusk beim letzten Mal eine weichere Linie verfolgte. <h3> Alternativer Weg ist erforderlich</h3>Da nicht-kooperative Übergänge den Demokraten keine guten Optionen lassen, ist ein alternativer Weg erforderlich. In Polen treten wir für eine tiefgreifende politische Reform ein, die auf dem Prinzip der Machtteilung zwischen progressiven und konservativen Kräften beruht. Die von uns mitbegründete überparteiliche Initiative, der mehr als 100 polnische Intellektuelle aus dem gesamten politischen Spektrum angehören, hat nun einen detaillierten Vorschlag als Leitfaden für solche Bemühungen vorgelegt. <BR /><BR />Der Vorschlag ist weit davon entfernt, den Progressiven alles zu geben, was sie wollen, sondern zielt darauf ab, allen, auch den Konservativen, die derzeit im autoritären Populismus ihren einzigen Weg zu politischem Einfluss sehen, eine Beteiligung an Polens Zukunft zu ermöglichen. Es bleibt abzuwarten, wie die PiS und die demokratische Opposition darauf reagieren werden. <BR /><BR />Die Idee, die demokratische Staatsführung als Reaktion auf konservative Missstände grundlegend zu reformieren, stößt nicht nur in Polen auf Widerstand. In den USA fürchten die Progressiven einen neuen Verfassungskonvent. Wenn wir aber unseren konservativen Landsleuten keine Gründe liefern, die demokratische Ordnung zu unterstützen, werden unsere Länder instabil bleiben. Hier und da mag es der progressiven Mobilisierung gelingen, den demokratischen Rückschritt zu stoppen. Aber auf lange Sicht werden starke Demokratien immer eine engagierte, mehrheitliche Unterstützung von Wählern und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum benötigen. <BR /><BR />Übersetzung: Andreas Hubig<h3> Zum Autor</h3>Maciej Kisilowski ist außerordentlicher Professor für Recht und öffentliches Management an der Central European University. Anna Wojciuk ist außerordentliche Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Warschau. <BR /><BR />Copyright: Project Syndicate, 2023.<BR /> <a href="https://www.project-syndicate.org/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.project-syndicate.org</a><BR />