Kaum ein Staat demokratischer Prägung im westlichen Europa war und ist teils heute noch geprägt von einer Art Aufteilung des gesellschaftlichen Lebens wie Österreich. Die Wurzeln für diese Besonderheit reichen weit zurück und sie sind tief. von Andreas Schwarz<BR /><BR /><BR />Der Zufall will es, dass sich am Montag der 12. Februar 1934 zum 90. Mal jährt – der Tag des Ausbruchs des bewaffneten Konflikts zwischen dem sozialdemokratischen Schutzbund und der Staatsmacht von Kanzler Engelbert Dollfuß – einem Christlichsozialen. Die Ereignisse mit mehr als 600 Toten sind der Kern jener bis heute andauernden Feindschaft, Gegnerschaft, Unversöhnlichkeit zwischen Links und Rechts, die Österreich spaltet. Obwohl das Land gut 45 Jahre von SPÖ und ÖVP in rot-schwarzen Koalitionen gemeinsam regiert wurden.<BR /><BR />Aufstand, Bürgerkrieg, Austrofaschismus, Kanzlerdiktatur – bis heute streiten Historiker und vor allem die linke und die rechte Reichshälfte, was damals geschah und wie es zu benennen sei. Das Parlament hatte sich selbst ausgeschaltet, Engelbert Dollfuß (später von den Nazis ermordet) nach faschistischem Vorbild den linken politischen Gegner, aber auch die Nationalsozialistische Arbeiterpartei ausgeschaltet. <BR />Der verbotene Schutzbund der Sozialdemokraten eröffnete das Feuer auf Einheiten der Heimwehr, und schon nahm das Unglück seinen Lauf. 3 Tage Kämpfe und die Niederschlagung des Aufstandes in vorwiegend Arbeiterbezirken endeten mit der Flucht vieler Schutzbündler – Österreich wurde zum autoritären Ständestaat.<BR /><BR /><BR />Dass heute noch ein kleines Dollfuß-Museum in dessen Heimatort aufgelöst werden muss, wie dieser Tage geschehen, dass es kein gemeinsames Gedenken der beiden großen Fraktionen an 1934 gibt, ist aussagekräftig für die immer noch bestehende Kluft und die (konservierten) tiefen Wunden zwischen Rot und Schwarz. <BR />Österreich ist damit groß geworden – vor allem in den 1970er- und 80er-Jahren blickten die Bürgerlichen auf die Sozis und roten Ministerialräte im Gemeindebau herab (günstige soziale Wohnbauten), die Roten verabscheuten die schwarzen Bonzen und Neureichen, linke „Proleten“ gegen rechte „Pfaffenpartei“. <BR /><h3> Ausgeklügelter Proporz</h3><BR />Dass trotzdem ein Miteinander funktionierte, das Österreich nach dem Krieg weit voran brachte, lag an einem ausgeklügelten Proporz: Alle öffentlichen Stellen waren möglichst gleich von Roten und Schwarzen besetzt, es gab Autofahrerclubs für die Schwarzen (ÖAMTC) und die Roten (ARBÖ), schwarze und rote Sportvereine, Wander- und Alpensektionen und so fort. Und die sogenannten Sozialpartner aus linker Gewerkschaft und bürgerlicher Wirtschaftskammer waren die heimliche Regierung Österreichs, die über alle Konflikte hinweg den Konsens suchte.<BR /><BR /><BR /> Auch in den vielen großen Koalitionen trauten einander SPÖ und ÖVP nie wirklich über den Weg. Und was der ÖVP das Trauma von 16 Jahren SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky in den 1970/80ern war, war der SPÖ die Kanzlerschaft des Wahldritten (!) Wolfgang Schüssel 2000 oder die Demütigung der SPÖ durch Sebastian Kurz bei den Wahlen 2017 und 2019. <BR /><BR /><BR />Und jetzt, nach mehr als 6 Jahren ÖVP-Kanzlerschaft sprechen sich namhafte SPÖ-Landeshauptleute wie Peter Kaiser (Kärnten) oder Tirols Landesvize Peter Dornauer für eine Neuauflage der Großen Koalition aus – Motto: alles besser als ein FPÖ-Kanzler oder, Gott behüte, eine ÖVP-FPÖ-Koalition (Subtext: und weitere Jahre in der Opposition, obwohl der Kanzlersessel doch angestammt ein roter ist …). Und ÖVP-Kanzler Karl Nehammer sprach bereits mit dem mächtigen Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig unter 4 Augen über Alternativen zu einem Kanzler Herbert Kickl, weitere ÖVPler spinnen Fäden zum „Klassenfeind“ SPÖ. <BR /><BR /><BR />Eine Liebesheirat, wenn es denn dazu kommt, sieht anders aus. Die Grundlagen dafür haben sich auch nach 90 Jahren kaum geändert.