Wir leben in besonderen Zeiten: In Südtirol gibt es so gut wie keine Arbeitslosen, und doch nimmt der Wohlstand ab. Wir können uns weniger leisten, obwohl wir gleich viel arbeiten – und verdienen. <BR /><BR />Möglich macht den Kaufkraftverlust trotz Jobwunder die Inflation. Seit Mitte des vergangenen Jahres hat sie Höhen erreicht, die alle Südtiroler unter 40 wohl nur von Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern kennen. Im Vorjahr lag die Inflationsrate in Bozen im Schnitt bei über 9 Prozent, heuer könnten es zwischen 6 und 7 Prozent sein. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59552366_quote" /><BR /><BR />Das heißt: In nur 2 Jahren könnte unser Geld um über 15 Prozent weniger wert sein. Vereinfacht gesagt: Aus 2000 Euro im Jahr 2021 bleiben so real im Jahr 2023 noch 1700 Euro übrig. Wir können mit demselben Einkommen deutlich weniger Güter und Dienstleistungen kaufen. Autsch! <BR /><BR />Die Europäische Zentralbank versucht durch eine Anhebung der Zinsen, entgegenzuwirken. Ihre Wirkung entfaltet dies in der Regel allerdings sehr zeitverzögert. Zudem bedeutet ein Rückgang der Inflation nicht, dass die Preise sinken würden; das Gegenteil ist der Fall: Die Preise steigen weiter – nur eben nicht mehr so stark. <BR /><BR />Dass in einem solchen Umfeld der Ruf nach höheren Löhnen lauter wird, ist gut und notwendig. Werden die Löhne nämlich überhaupt nicht angepasst, wären zu starke Wohlstandsverluste die Folge. Davon hätte niemand etwas, auch die Betriebe nicht, die nicht zuletzt von einer starken Binnennachfrage leben. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59552369_quote" /><BR /><BR />Und dennoch: Mit ihrer insistenten Forderung nach zusätzlich 100 bis 150 Euro für alle Südtiroler in der Privatwirtschaft haben die Gewerkschaften etwas übers Ziel hinausgeschossen. Erstens, weil nicht alle Branchen in Südtirol gleich sind: Manche sind wesentlich besser aufgestellt als andere. Und selbst innerhalb desselben Sektors gibt es gewaltige Unterschiede, was die Produktivität betrifft. <BR /><BR />Zweitens, unterschätzt man damit die Betriebe, die – wenn sie clever sind – längst erkannt haben, dass sie sich über Lohnerhöhungen für ihre Mitarbeiter gerade in Hoch-Inflationszeiten einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten am Markt verschaffen können. <BR /><BR />Drittens, weil man die Mobilität der Arbeitnehmer außer Acht lässt. In Zeiten, in denen Arbeitnehmer die Qual der Wahl am Arbeitsmarkt haben, werden sie – sofern sich ihr Arbeitgeber in Lohnverhandlungen anhaltend stur gibt – kaum lange zögern und sich einen anderen, besser bezahlten Job suchen. In der Praxis dürfte es dazu aber nicht allzu oft kommen, weil – wie gesagt – wohl jeder die Notwendigkeit von Lohnanpassungen erkannt hat. <BR /><BR />Ein Lohnstreit ist vor diesem Hintergrund nicht angebracht bzw. kontraproduktiv, da er die Fronten zwischen den Sozialpartnern eher verhärtet als auflöst. Das ist schlecht für uns alle – egal ob Arbeitnehmer oder Unternehmer. <BR /><BR /> <a href="mailto:rainer.hilpold@athesia.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">rainer.hilpold@athesia.it</a><BR /><BR />