Vor einem Monat hieß es „Weg mit Mubarak“. Heute rufen die Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo: „Weg mit der Übergangsregierung“, „Weg mit den Provinzgouverneuren“, „Weg mit der Nationaldemokratischen Partei“ und „Weg mit dem Notstandsgesetz“. Wie das von den vernetzten Demonstranten erträumte „Ägypten 2.0“ eines Tages aussehen wird, das weiß allerdings so recht noch niemand. Und die Facebook-Jugend, die diese Revolution losgetreten hat, stellt jetzt mit Schrecken fest, dass es leichter ist, einen hartleibigen alten Präsidenten vom Sockel zu stoßen, als einen Staat mit 85-Millionen Menschen neu zu erfinden.„Ich glaube, wir haben erst 30 Prozent von dem erreicht, was wir uns vorstellen“, sagt Ahmed Maher, einer der beiden Vertreter der Bewegung Jugend des 6. April im Führungsgremium der Allianz der Protestbewegung. Mit seinen 30 Jahren ist der Ingenieur einer der ältesten unter den Jugendaktivisten. Er kommt gerade von einer Sitzung. Morgen muss er zu einer weiteren Großdemo auf dem Tahrir-Platz. Er ist müde. Doch er glaubt, dass die Ägypter es schaffen werden, wenn der Zusammenhalt der Revolutionstage nicht schwindet: „Für Tunesien und Ägypten ist es schwer, aber in Libyen ist es fast unmöglich eine stabile Zukunft zu bauen, denn der Verrückte (Muammar al-Gaddafi) hat das Land zerstört, es gibt dort weder Gewerkschaften noch irgendwelche Nichtregierungsorganisationen.“„Zusammen können wir ein besseres Ägypten aufbauen. Bitte schreibe hier eine Idee auf für eine Kampagne, damit wir Hand in Hand daran arbeiten können“, steht auf Zetteln, die in einem Caféhaus direkt neben dem Tahrir-Platz auf den Tischen ausliegen. „Unser Benehmen ändern, bei uns selbst anfangen, ehrlich bleiben, hart arbeiten“, schreibt eine junge Frau auf das Formular. Nebenan wird ein Fast-Food-Restaurant renoviert, das während der Revolutionstage zerstört worden war. Die Pflastersteine, die während der Straßenschlachten mit den Schlägertrupps des Regimes aus dem Gehsteig gerissen wurden, hat noch niemand ersetzt.Das mit der harten Arbeit ist eines der größten Probleme der Post-Mubarak-Ära. Denn viele Staatsdiener glauben nun, dass es effektiver ist, zu demonstrieren, als andere mühsame Wege zur Verbesserung ihre Lage zu beschreiten. In den letzten zwei Wochen demonstrierten Lehrer, Polizisten, Journalisten, Bankangestellte. Nachdem das dicke Brett gebohrt ist – Mubarak ist weg – will jetzt jeder den Frust der letzten Jahre loswerden und auch persönlich die Früchte der Revolution schmecken. „Jeder darf seine Meinung sagen, aber es wäre besser, wenn die Leute neue Arbeitnehmervertretungen wählen würden, als ständig zu streiken“, sagt Maher, der weitere negative Folgen für die Wirtschaft befürchtet.Denn die Hotelbelegungsraten liegen derzeit in Kairo bei maximal acht Prozent. Kein Ausländer oder Ägypter will im Moment viel Geld investieren. Und selbst die Hilfsangebote der Europäer greifen derzeit noch nicht richtig, weil man nie wissen kann, ob der Minister mit dem man heute spricht, morgen nicht vielleicht schon abgesetzt ist oder sogar im Gefängnis sitzt.Die Demo an diesem Freitag ist zu einem kleinen Teil eine Festivität, um „einen Monat Revolution“ zu feiern. Hauptsächlich wollen die Demonstranten jedoch Druck auf den Militärrat machen, der seit der Entmachtung Mubaraks die Macht ausübt. „Wir haben den Militärs unsere Forderungen vorgelegt, aber sie hörten nur zu und sagten immer nur 'So Gott will', das reicht uns nicht“, sagt Maher. Der Militärrat, der Maher und die anderen Koordinatoren der Proteste direkt nach dem Abgang Mubaraks einmal empfangen hatte, habe erst dann ein neues Treffen in der kommenden Woche angeboten, nachdem die Jugend und die Muslimbruderschaft die neue große Demonstration an diesem Freitag angekündigt hätten.Die Protestbewegung ist sich noch nicht ganz einig, wie der Reform-Zeitplan jetzt aussehen soll. An diesem Samstag soll eine erste „kleine Verfassungsreform“ vorgelegt werden. Dann will das Militär, dass möglichst schnell gewählt wird. Doch die Jugendbewegung hat Angst, dass davon vor allem die Muslimbrüder profitieren würden, die jetzt schon sehr gut organisiert sind und die noch nicht ganz zerfallene Mubarak-Partei NDP. Um sich selbst besser organisieren zu können, wollen die jungen Leute, dass im kommenden Herbst erst ein neuer Präsident gewählt wird, der seinen Amtseid dann in Ermangelung eines Parlaments vor dem Verfassungsgericht ablegen sollte. Die Parlamentswahl sollte aber erst in einem Jahr stattfinden.Doch das Misstrauen der Menschen ist noch groß. Viele Ägypter besorgen sich in diesen Tagen erstmals einen Wählerausweis. Denn bisher heißt es zwar, künftig könne jeder mit seinem Personalausweis zur Wahl gehen, doch manche Ägypter meinen, diese Aussage könne im letzten Moment dann doch zurückgenommen werden. „Wer weiß, vielleicht ist das ein Trick“, meint ein Geschäftsmann, der in den vergangenen Wochen auch gegen Mubarak demonstriert hatte. Jetzt geht er nicht mehr zum Tahrir-Platz. „Ich will, dass der Alltag endlich wieder normal läuft“, sagt er. „Lasst uns wieder an die Arbeit gehen!“dpa