Im Jahr 2020 hat Italien eine Verfassungsreform beschlossen, die zu einer deutlichen Reduzierung der Zahl der Parlamentarier geführt hat. Konkret wurde die Anzahl der Abgeordneten von 630 auf 400 und die der Senatoren von 315 auf 200 gesenkt. <BR /><BR />Die Reform wurde zunächst vom Parlament verabschiedet und dann durch ein Referendum im September 2020 bestätigt. Rund 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler sprachen sich dabei für die Änderung aus - bei einer Wahlbeteiligung von etwa 54 Prozent. <BR /><BR />Ziel der Reform war es, die Effizienz des Parlaments zu steigern und die öffentlichen Ausgaben zu senken. Besonders die Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich für diese Maßnahme stark gemacht. Sie argumentierte, dass eine geringere Zahl an Parlamentariern zu einem schlankeren und bürgernäheren politischen System führen würde.<BR /><BR /> Fast drei Jahre nach Inkrafttreten der Reform hat s+ in Rom einige Parlamentarier zum neuen System befragt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1189446_image" /></div> <BR /><BR />Laut Renate Gebhard (48), seit 2013 Abgeordnete für die SVP, hat die Reform sowohl positive Aspekte als auch Schattenseiten: „In kleineren Kommissionen arbeitet man zwar effizienter, das Klima ist familiärer. Aber die Vertreter der Regierungsparteien müssen stets darauf achten, dass die Mehrheit in den Kommissionen gewährleistet ist, und die Opposition hat weniger Möglichkeiten zur Obstruktion. Mit dem neuen System sind periphere Gebiete schlechter vertreten. Das betrifft nicht nur Südtirol, sondern auch andere Regionen. Großstädte mit vielen Einwohnern sind übermäßig stark repräsentiert, während andere Gebiete gar keine Parlamentarier mehr haben. Das ist aus demokratischer Sicht problematisch und führt zu einer stärkeren Stimmenenthaltung bei Wahlen“.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1189449_image" /></div> <BR /><BR />Meinhard Durnwalder (48) ist seit 2018 SVP-Senator: „Die Zahl der Parlamentarier hat sich verringert, nicht aber die Themen, mit denen sich das Parlament befassen muss. Viele Parlamentarier müssen mittlerweile in mehreren Kommissionen gleichzeitig tätig sein – dadurch ist die Arbeit hektischer geworden. Wir Südtiroler waren immer schon eine kleine Gruppe, daher hat sich für uns die Arbeit nicht drastisch verändert. Aber man merkt, dass vieles unorganisierter abläuft. Mit 200 Senatoren stößt man oft an die Grenzen der Kapazitäten. <BR /><BR />In der Abgeordnetenkammer, die mehr Mitglieder hat, ist die Lage vielleicht etwas weniger angespannt. Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode wird häufig auf Gesetzesdekrete und Vertrauensabstimmungen zurückgegriffen, um Vorhaben durchzusetzen.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1189452_image" /></div> <BR /><BR />Manfred Schullian (63, SVP) ist seit 2013 Mitglied der Abgeordnetenkammer: „Das Problem ist nicht Zahl der Parlamentarier, sondern die Tatsache, dass ihre Arbeit immer mehr in den Hintergrund rückt. Das System der Gewalttrennung funktioniert jedenfalls nicht mehr. Die Regierung greift immer mehr in die Legislative mit Gesetzesdekreten ein – die Parlamentarier können nur noch Abänderungsanträge vorlegen. <h3> Übermäßige Anzahl an Gesetzen</h3>Ein Problem ist auch die übermäßige Anzahl von Gesetzen. In Italien weiß niemand, wie viele Gesetze es gibt, laut Justizminister Carlo Nordio (78, Fratelli d'Italia) könnten es 400.000 sein, das ist nicht mehr überschaubar. Die Folge ist, dass die Gerichtsbarkeit oft eingreifen kann. Nicht die Zahl der Parlamentarier hätte reduziert werden sollen, Italien bräuchte vielmehr eine Differenzierung der Kompetenzen der beiden Kammern nach deutschem Modell.<BR /><BR /> Die Behauptung, dass die geringere Parlamentarierzahl zur Kosteneindämmung führt, ist indes lächerlich. Eine Demokratie, die sich ihre Kosten nicht leisten kann, was ist das für eine Demokratie?“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1189455_image" /></div> <BR /><BR />Maurizio Gasparri (68, Forza Italia) ist seit 33 Jahren im Parlament präsent, derzeit als Senator. Er sagt: „Die Reform wurde aufgrund einer demagogischen Welle verabschiedet. Man wollte um jeden Preis die vermeintlichen Privilegien der als ‚Kaste‘ angeprangerten Politiker bekämpfen. Doch Geldsparen darf nicht das einzige Kriterium sein: Demokratie hat ihren Preis. <BR />Einige Gebiete sind jetzt weniger stark vertreten als früher, und die Parlamentarier haben weniger Zeit, den Kontakt zu dem Territorium zu pflegen, in dem sie gewählt wurden. Viele müssen zugleich in mehreren Kommissionen sein – das verlangsamt die Arbeit. An Effizienz hat das System durch diese Reform sicher nicht gewonnen.“