<b>STOL: Alexandra, wo treffen wir dich gerade an?</b><BR />Alexandra Hawlin: Ich bin in Washington und genieße die Sonne im Garten. Morgen geht’s dann weiter nach Arizona. <BR /><BR /><b>STOL: Du machst derzeit für das ZDF die Vorwahlberichterstattung für die „midterm elections“, die am Dienstag stattfinden. Ein Traum für jeden Journalisten. Wie kam es dazu?</b><BR />Hawlin: Ich arbeite seit Juni dieses Jahres als crossmediale Korrespondentin im ZDF-Studio in Washington. Ich bereite also Themen für Social Media, unsere Onlineplattformen und das Fernsehen auf. Es gibt im Washington-Büro des ZDF 3 Korrespondenten, die hauptsächlich TV machen, ich bin vor allem für Social Media und Online verantwortlich. Und derzeit sind wir mitten in der Vorwahlberichterstattung für die „midterm elections“. <BR /><BR /><b>STOL: Du bist also nur für die „midterm elections“ in den USA, oder längerfristig?</b><BR />Hawlin: Für ein Jahr vorerst. Der Plan des ZDF ist, junge Zielgruppen zu erreichen und das schafft man vor allem über Social Media und Onlineplattformen. Dass die „midterm elections“ dieses Jahr stattfinden, macht es für mich als Journalistin natürlich noch einmal spannender. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56809279_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Du bist derzeit ja im ganzen Land unterwegs…</b><BR />Hawlin: Genau. Wir sind in den vergangenen Wochen für eine Doku durch das Land gereist, haben verschiedene Orte kennengelernt und mit den unterschiedlichsten Personen gesprochen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es eine gewisse Nervosität in der Bevölkerung gibt, was die bevorstehenden Wahlen anbelangt. <BR /><BR /><b>STOL: Inwiefern?</b><BR />Hawlin: Die Amerikaner haben teilweise Angst vor dem Ausgang dieser Wahlen, weil sie nicht wissen, was danach passieren wird. <BR /><BR /><b>STOL: Einige politische Beobachter gehen davon aus, dass es in den USA nach den „midterm elections“ zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte. Teilst du diese Befürchtung?</b><BR />Hawlin: Die Gesellschaft ist gespalten. Es scheint, die eine Hälfte unterstützt die Republikaner, die andere Hälfte die Demokraten und man hat den Eindruck, dass es dazwischen nichts gibt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="828923_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Und beide Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber?</b><BR />Hawlin: Zum Teil ja. Es sehnen sich zwar alle nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität, aber wie man diese erreicht, darin gehen die Meinungen stark auseinander. Und weil du das Thema Bürgerkrieg ansprichst: Ich war vor einigen Wochen in Arizona, wo wir eine ultrarechte Gruppierung namens „Oath Keepers“ getroffen haben. Einige Mitglieder dieser Gruppierung waren auch am 6. Jänner 2021 beim Sturm auf das Kapitol in Washington dabei. Ihr Vorsitzender steht deswegen aktuell auch vor Gericht. Diese „Oath Keepers“ treffen sich 2 Mal im Monat und bereiten sich auf jegliche Szenarien vor, auf Naturkatastrophen aber auch auf einen Bürgerkrieg. Für diese Gruppierung ist ein Bürgerkrieg nach den „midterm elections“ eine realistische Option. Das sind meines Erachtens die Folgen der Lüge, die Donald Trump gestreut hat, dass die Präsidentschaftswahl 2020 gestohlen worden sei.<BR /><BR /><embed id="dtext86-56809341_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Das glauben die Leute immer noch?</b><BR />Hawlin: Ja. Viele Trump-Anhänger beharren hartnäckig auf diese Version, auch wenn es dafür überhaupt keine Beweise gibt. Diese Lügen sind der Nährboden für Gewalt. Ob es nach den „midterm elections“ wirklich zu einem Bürgerkrieg kommen könnte, dazu wage ich keine Prognose. Es gibt aber Leute, wie eben die „Oath Keepers“, die sich ernsthaft darauf vorbereiten. <BR /><BR /><b>STOL: Prognosen zufolge wird die Republikanische Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen. Für US-Präsident Joe Biden wird das Regieren dann noch schwieriger und mittlerweile verdichten sich auch die Gerüchte, dass Donald Trump in 2 Jahren wieder als Präsidentschafts-Kandidat antreten könnte…</b><BR />Hawlin: Wenn die Prognosen eintreffen, werden die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen, aber auch im Senat ist alles offen. Sollten sie in beiden Kammern gewinnen, wird es für Biden schwierig bis unmöglich, seine Agenden in den kommenden 2 Jahren durchzubringen. Dann bleibt ihm zwar noch das Veto-Recht, aber nicht mehr viel mehr. Zudem könnten die Republikaner dann laufende Untersuchungsausschüsse stoppen, etwa den Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol. Auch haben sie angekündigt, in diesem Fall ein Amtsenthebungs-Verfahren gegen Joe Biden einzuleiten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="828926_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Hältst du es wirklich für möglich, dass Trump in 2 Jahren wieder antreten könnte?</b><BR />Hawlin: Ich habe Trump im Oktober in Michigan erlebt. In seiner Rede hat er immer wieder anklingen lassen, dass er vielleicht wieder antreten könnte. Ich denke, dass diese Entscheidung vom Ausgang der „midterm elections“ abhängig sein wird. Ausschließen würde ich es aber keinesfalls, dass Trump im Jahr 2024 wieder antritt. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56809342_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Stehen die Republikaner immer noch so geeint hinter ihm?</b><BR />Hawlin: Trump hat zwar keine Macht mehr, aber immer noch Einfluss. Zudem ist um ihn so eine Art Personenkult entstanden. Daher trauen sich nur die wenigsten innerhalb der Republikanischen Partei offen etwas gegen ihn zu sagen. Prominentes Beispiel ist die Republikanerin Liz Cheney, die von ihrer Partei abgesägt worden ist, nachdem sie sich gegen Trump ausgesprochen hat. Man muss nun aber die „midterm elections“ abwarten und schauen, ob er seiner Partei nutzt, oder eher schadet. Danach wird man auch wissen, ob er sich in 2 Jahren erneut der Wahl stellen wird. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="828929_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Die USA waren schon immer ein Sehnsuchtsland für viele Europäer. Hat sich dies deiner Meinung nach geändert in den vergangenen Jahren, seit Trump Präsident war und die Gesellschaft so gespalten ist?</b><BR />Hawlin: Ich kann nur für mich sprechen. Mein Bild von Amerika war durch Hollywood geprägt, von Filmen, von TV-Serien. Es gibt in den USA aber viele verschiedene Lebensrealitäten. Es ist ein großer Unterschied, ob man in San Francisco ist und am Morgen seinen Matcha Latte trinkt und sein Pistazien-Croissant dazu isst, oder ob man in South Dakota aufgewachsen ist, wo weit und breit nichts ist und man großteils von der Viehzucht lebt. Die USA sind beides, das hippe San Francisco und das ländliche South Dakota oder Arizona. Das Land ist nach wie vor faszinierend und auch die Leute, egal ob Trump-Anhänger oder Demokraten, sind sehr offen und freundlich. <BR /><BR /><b>STOL: Sprechen sie über Politik, wenn sie merken, dass du Journalistin bist, oder winken sie dann ab?</b><BR />Hawlin: Im Gegenteil. Die Leute fragen sehr schnell danach, wie die politische Einstellung ist und welche Ausrichtung das Medium hat, für das man arbeitet. Ich muss dann immer erklären, dass wir ein öffentlich-rechtlicher Sender sind, der unabhängig ist und keine politische Ausrichtung hat. Ich rede mit ihnen dann aber offen über meine persönliche politische Einstellung, ohne die Leute davon überzeugen zu wollen. Das ist auch nicht das Ziel als Journalistin. Mein Ziel ist es, das Land und seine Bürger kennen- und verstehen lernen. Man muss den Leuten einfach unvoreingenommen zuhören, das ist das Wichtigste. <BR />