Um die zivile Kontrolle über die Militärs unumkehrbar zu machen, braucht das Land aber strukturelle Reformen, sagen Experten. Mehr Befugnisse für das Parlament gehören dazu. Eigentlich ein klassisches Thema für die EU, doch die spielt bei den Ereignissen in Ankara keine Rolle mehr.Mit der Ernennung des neuen Generalstabs wurde am Donnerstag offiziell die Krise beigelegt, die am vergangenen Freitag mit dem Rücktritt der alten Militärführung begonnen hatte.Schon der Rücktritt an sich war Zeichen einer politischen Niederlage der Militärs, die sich in Personalfragen gegen die Regierung nicht durchsetzen konnte – was für die lange so machtgewohnten und strikt säkularistischen türkischen Generäle nicht leicht zu schlucken war.Erstmals leitete Erdogan Sitzung alleinDer Verlauf der dreitägigen Sitzung des Hohen Militärrats in dieser Woche bestätigte den Trend. Augenfälligstes Beispiel war ein Foto aus der Tagung: Anders als bei früheren Konferenzen dieser Art leitete Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Sitzung allein, und nicht gemeinsam mit dem Generalstabschef.Die wichtigsten Ergebnisse der Sitzung wurden vom Präsidialamt bekannt gegeben, nicht vom Generalstab, wie das früher der Fall war. Kaum waren die neuen Kommandeure ernannt, ließ Erdogan die Generäle zu einer Besprechung über die Sicherheitslage im Ministerpräsidentenamt antreten.Der neue Armeechef Necdet Özel saß zwar schon im alten Generalstab, hatte sich aber als einziges Mitglied nicht den Rücktritten angeschlossen.Andere Generäle, die auf Beförderungen hofften, wurden von der Regierung auf dem Weg ganz nach oben gestoppt. Darunter ist ein General, der vor einigen Jahren Schlagzeilen machte, als er sich öffentlich weigerte, der Kopftuch tragenden Ehefrau von Staatspräsident Abdullah Gül die Hand zu schütteln.Gül ließ die Militärs wissen, dass sie nicht einmal versuchen sollten, den Mann für den Generalstab vorzuschlagen. So kam es dann auch.„Man hat den Militärs mehr oder weniger die Zähne gezogen“In anderen Fällen ließ die Regierung die Generäle gewähren, etwa bei der Ernennung des neuen Heereschefs, der einmal eine Begrüßungszeremonie für Gül schwänzte.Im Streit um 14 Generäle, die wegen mutmaßlicher Putschvorbereitungen in Untersuchungshaft sitzen, konnten die Militärs ihre Ursprungsforderung nach Beförderung nicht durchsetzen und konnten am Ende froh sein, dass die Regierung einer einjährigen Karriere-Pause für die Beschuldigten zustimmte.„Man hat den Militärs mehr oder weniger die Zähne gezogen“, sagte die Kolumnistin Asli Aydintasbas. Wie viele Beobachter sieht Aydintasbas den Anbruch einer neuen politischen Zeitrechnung in Ankara; in der Zeitung „Milliyet“ schrieb sie, die Erste Republik sei zu Ende, und die Zweite Republik habe begonnen. Eine Rückkehr zu jenen Zeiten, in denen die Generäle in Ankara die höchste Instanz waren, schließt sie aus: „Das ist der Strom der Geschichte, der Fluss fließt nur in eine Richtung.“Militärisches Comeback unwahrscheinlichVor allem die breite Unterstützung für die Regierung Erdogan in der Bevölkerung macht ein militärisches Comeback unwahrscheinlich.Selbst die türkischen Generäle, die sich selbst als Garant der Republik sehen und die islamisch-konservative Regierung Erdogan mit Misstrauen betrachten, können es sich kaum leisten, gegen eine Regierung vorzugehen, die erst vor wenigen Wochen mit fast 50 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde.Allerdings, so schränkt der Politologe Koray Özdil von der Istanbuler Denkfabrik Tesev ein, haben die Militärs ihre Rolle als selbst ernannte Wächter über den Staat nicht völlig aufgegeben. Deshalb empfiehlt Özdil strukturelle Reformen, etwa durch mehr Kompetenzen für das Parlament bei der Kontrolle des Verteidigungshaushalts und bei der Aufarbeitung militärischer Aktionen.„Kultur der zivilen Kontrolle“Die „Kultur der zivilen Kontrolle“ müsse ausgeweitet werden, sagte Özdil. Laut Presseberichten plant die Regierung ein Gesetz, das politische Kommentare des Generalstabs ausdrücklich verbietet.Ob, wie und wann solche Reformen in Angriff genommen werden, wird in den kommenden Wochen in Ankara diskutiert werden, und zwar nur in Ankara.Nach Brüssel schaut niemand. Die EU sei zu Beginn der Reformen nach dem Regierungsantritt der Erdogan-Partei AKP im Jahr 2002 als Impulsgeber wichtig gewesen, sagte Özdil. Inzwischen hätten die Europäer allerdings ihre Schlüsselrolle bei der Demokratisierung der Türkei eingebüßt.Die oft wiederholte Aussage führender EU-Politiker, die Türkei werde niemals Mitglied werden, hat ihre Wirkung gezeigt – die EU ist im Machtkampf zwischen Regierung und Militärs irrelevant. Nach den jüngsten Ereignissen in Ankara seien viele Fragen offen, sagte die Kolumnistin Aydintasbas. „Aber die Frage nach der EU wäre die letzte, die mir in den Sinn käme.“apa