<b>von Joschka Fischer</b><BR /><BR />Wir erleben, angetrieben von den Hauptakteuren Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jin Ping, das Chaos der Entstehung einer neuen Weltordnung im 21. Jahrhundert, die nicht mehr viel mit der Ordnung ihrer Vorgängerin im amerikanischen, im 20. Jahrhundert, zu tun haben wird. Die Akteure sind zwar nach wie vor dieselben, wenn auch in veränderten Rollen und von unterschiedlichen machtpolitischen und ökonomischen Gewichten. <BR /><BR />Statt einer regelbasierten Ordnung, werden wir eine ausschließlich machtbasierte Ordnung großer Weltmächte erleben, statt freiem Welthandel die Rivalität großer Wirtschaftsblöcke, statt einer analogen Welt eine analoge mit dem Durchbruch der künstlichen Intelligenz als entscheidendem Steuerungszentrum.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1198110_image" /></div> <BR /><BR />Diese sehr grundsätzliche Entwicklung, gewissermaßen der globale Makrotrend unserer Zeit, lässt selbstverständlich auch Europa alles andere als unberührt, zumal es sich bei Europa sowohl um eine geographische Beschreibung als auch mit der EU um eine politische, staatenbündische kontinentale Realität eng verflochtener europäischer Staaten handelt. Beides ist keineswegs identisch.<BR /><BR />Die EU war ein Kind der unmittelbaren westeuropäischen Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg und des Kalten Krieges, und als wirtschaftliches Einigungsprojekt vormals verfeindeter Staaten überaus erfolgreich, machtpolitisch-militärisch stand sie immer unter der Patronage der USA.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1198113_image" /></div> <BR /><BR />Ihre schwerste politische Krise erlebte die EU im Jahr 2019 mit einem Doppelschlag. Großbritannien stimmte für den Austritt des Landes aus der Union und in den USA wurde überraschend zum ersten Mal ein der EU gegenüber feindlich gesonnener Präsident gewählt: Donald Trump. Dieser doppelte Schlag sollte alles ändern, wie wir im Rückblick heute wissen. Der Umsturz der bisher geltenden globalen Ordnung kündigte sich damals bereits an. Brexit und Trump wurden damals aber kaum im Zusammenhang einer sich verändernden globalen Ordnung wahrgenommen.<BR /><BR />Erst als Wladimir Putin mit seinem Militär im Februar 2022 seinen Nachbarn Ukraine überfiel und damit auch Europa als Ganzes bedrohte und mit der erneuten Wahl Donald Trumps ins Weiße Haus war der Zusammenhang nicht mehr zu ignorieren. Der kleinliche Streit zwischen London und Brüssel um die Bedingungen des Brexit war sofort zu ende und stattdessen ging es um eine neue, militärische Solidarität mit der Ukraine und eine neue Herausforderung für ein Europa der Verteidigung und Sicherheit.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1198116_image" /></div> <BR /><BR />Das wurde in London wie in Brüssel und in den wichtigsten Hauptstädten des Kontinents verstanden. Die harten Fakten der Realität und Wladimir Putin zwangen die Europäer, gleich ob innerhalb oder außerhalb der EU, zurück in dasselbe geopolitische Boot gemeinsamer Sicherheitsinteressen. Denn Oslo und London werden durch Putins militärische Aggression genauso bedroht wie Warschau, Helsinki, Stockholm, Berlin, Paris und Brüssel. Und wenn Donald Trump eines Tages die amerikanische Sicherheitsgarantie und die US-Truppen zurückzieht, wird er dies nicht nur für die Grenzen der EU tun, sondern für ganz Europa.<BR /><BR />Europa, der Kontinent, muss, bedroht durch Putin und bedrängt durch Trump, einen Weg zu seiner eigenständigen gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit finden, solange es geht mit den USA, aber wissend um die mangelnde Verlässlichkeit der USA unter Trump, als Plan B, zur Not auch ohne sie. In der Konsequenz heißt das, die Europäer, ob innerhalb oder außerhalb der EU, werden massiv aufrüsten, zweigleisig planen und auf das Engste zusammenarbeiten müssen.<BR /><BR />Das setzt auch eine gemeinsame Führung durch die großen europäischen Staaten, wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien und Polen voraus, alles Länder, die über die dazu notwendigen humanitären, militärischen und ökonomischen Ressourcen und den gemeinsamen politischen Willen verfügen.<BR /><BR /><b>Über den Autor</b><BR /><BR />Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler. In den beinahe 20 Jahren seiner Führungstätigkeit bei den Grünen trug er dazu bei, aus der ehemaligen Protestpartei eine Regierungspartei zu machen.