<b>von Yanis Varoufakis</b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1137861_image" /></div> <BR /><BR />Die Aufnahme der Ukraine in die NATO nach einer Zurückdrängung Russlands hinter seine Grenzen von vor 2014 war das einzige strategische Ziel, das sich die EU-Führer seit der russischen Invasion vor 3 Jahren erlaubt haben zu verfolgen. <BR /><BR />Doch lange vor der Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump geriet dieses Ziel in den Bereich des Unmöglichen. Die Anzeichen dafür waren schon lange sichtbar.<h3> Die Realität des Kriegs in der Ukraine</h3>Erstens erwies sich die Kriegswirtschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin als Segen für sein Regime. Zweitens war selbst Trumps Vorgänger Joe Biden letztlich nicht bereit, eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ernsthaft voranzutreiben, sondern machte der Ukraine nur vage Versprechungen. Drittens gab es in den USA eine starke parteiübergreifende Ablehnung der Idee, NATO-Truppen direkt an der Seite der Ukrainer kämpfen zu lassen.<BR /><BR />In einem Akt atemberaubender Heuchelei führten die vielen Reden à la „Putin ist der neue Hitler“ nie zu einem klaren Bekenntnis, die Ukrainer aktiv zu unterstützen, bis Putins Armee auf dem Schlachtfeld besiegt wäre. Stattdessen lieferte der Westen Waffen, damit die erschöpften Ukrainer den „neuen Hitler“ stellvertretend für ihn besiegen konnten – aber eben alleine.<BR /><BR />Unweigerlich zerfiel das einzige strategische Ziel der europäischen Führer zu Staub – eine Realität, die unabhängig vom Ausgang der US-Wahl im letzten November unvermeidlich gewesen wäre. Trump hat diesen Moment nur mit brutaler Offenheit vorgezogen, was seine lang gehegte Verachtung nicht nur für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sondern auch für die EU selbst widerspiegelt. Ohne einen Plan B steht Europa nun vor der Herausforderung, auf Trumps Ukraine-Politik zu reagieren – geschwächt durch 2 Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation.<h3>Europa fehlt eine funktionierende politische Struktur</h3>Nach dem Münchner Abkommen von 1938 sagte Winston Churchill berühmt: „Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande. Sie haben die Schande gewählt – und werden den Krieg bekommen.“ In ihrer Angst, denselben Fehler zu wiederholen, sind die EU-Führer dabei, ihn in umgekehrter Weise erneut zu begehen: Ihr Ansatz „Krieg bis zum Sieg“ wird einer demütigenden Friedenslösung weichen, die Trump ihnen und der ukrainischen Regierung aufzwingen wird, sobald sie um Hilfe flehen.<BR /><BR />Europa steht unbestritten vor der Wahl: Entweder es wächst über sich hinaus, oder es zerfällt. Doch die entscheidende Frage ist: Wie genau soll Europa wachsen? Was fehlt der EU am meisten?<BR /><BR />Es ist kaum zu glauben, dass die Europäer die offensichtliche Antwort nicht erkennen: Europa fehlt eine echte Finanzverwaltung, das Äquivalent zum US-Außenministerium, und ein Parlament mit der Macht, das, was als Regierung durchgeht (der Europäische Rat), abzusetzen. Noch schlimmer ist, dass es noch nicht einmal eine ernsthafte Diskussion darüber gibt, wie diese strukturellen Defizite behoben werden könnten.<BR /><BR />Die EU hat immer den Beginn eines Friedensprozesses in der Ukraine gefürchtet, weil er die Schwächen des Blocks offenlegen würde. Wer würde Europa am Verhandlungstisch vertreten, falls Trump die EU überhaupt einlädt? Selbst wenn die Europäische Kommission und der Europäische Rat wie durch Zauberhand eine große, gut ausgerüstete EU-Armee erschaffen könnten – wer hätte die demokratische Legitimität, sie in den Krieg zu schicken?<h3> Eine EU-Armee ohne demokratische Legitimation?</h3>Wer könnte außerdem genug Steuern erheben, um eine EU-Armee dauerhaft kampfbereit zu halten? Die zwischenstaatlichen Entscheidungsprozesse der EU bedeuten, dass niemand die demokratische Legitimität hat, solche weitreichenden Beschlüsse zu fassen.<BR /><BR />Als Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, kürzlich ihre neue Initiative „ReArm Europe“ ankündigte, wurden Erinnerungen an frühere gescheiterte Programme wie den Juncker-Plan, den Green Deal und den Wiederaufbauplan wach. Es werden große Zahlen präsentiert, die sich bei genauerer Betrachtung als Augenwischerei entpuppen. Glaubt wirklich jemand, dass Frankreich sein ohnehin nicht nachhaltiges Haushaltsdefizit weiter ausdehnen wird, um Waffen zu finanzieren?<BR /><BR />Ohne die nötigen Institutionen für eine militärische Wirtschaftsstrategie bleibt Europa nur die Umschichtung von Mitteln aus seiner ohnehin maroden sozialen und physischen Infrastruktur – was den Kontinent weiter schwächen und die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung verstärken würde. Diese Frustration wiederum befeuert den Aufstieg rechtsextremer Bewegungen. Und wofür das alles? Glaubt jemand ernsthaft, dass Putin sich von einer EU abschrecken lässt, die vielleicht ein paar mehr Artilleriegeschosse besitzt, aber weiterhin keine gemeinsame Entscheidungsstruktur für Fragen von Krieg und Frieden hat?<h3>Ein neuer Weg: Frieden statt Aufrüstung</h3>Die Initiative „ReArm Europe“ wird den Krieg für die Ukraine nicht gewinnen. Sie wird jedoch fast sicher die wirtschaftliche Krise der EU vertiefen – die eigentliche Ursache für Europas Schwäche. Um die Europäer angesichts der doppelten Herausforderungen durch Trump und Putin zu schützen, muss die EU einen mehrstufigen „Frieden jetzt“-Prozess einleiten.<BR /><BR />Zunächst muss die EU Trumps rücksichtslosen Versuch ablehnen, sich die natürlichen Ressourcen der Ukraine anzueignen. Dann sollte sie – in Aussicht auf eine Lockerung der Sanktionen und die Rückgabe von 300 Milliarden Dollar eingefrorener russischer Vermögenswerte – Verhandlungen mit dem Kreml beginnen. Ziel sollte eine umfassende strategische Vereinbarung sein, in der die Ukraine eine ähnliche Rolle einnimmt wie Österreich während des Kalten Krieges: souverän, bewaffnet, neutral und so eng mit Westeuropa verbunden, wie es seine Bürger wünschen.<BR /><BR />Anstelle einer dauerhaften militärischen Pattsituation zwischen zwei großen Armeen entlang der neuen Grenze sollte die EU eine entmilitarisierte Zone von mindestens 500 Kilometern Tiefe auf beiden Seiten vorschlagen, das Rückkehrrecht aller Vertriebenen garantieren, ein Karfreitagsabkommen für umstrittene Gebiete aushandeln und einen „Green New Deal“ für die kriegszerstörten Regionen finanzieren – gemeinsam mit Russland. Alle offenen Fragen sollten in Verhandlungen unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen geklärt werden.<BR /><BR />Schließlich sollte die EU die Möglichkeit einer Lockerung der Zölle auf chinesische Waren (insbesondere grüne Technologien) sowie der Sanktionen für Technologietransfers nutzen, um mit China ein neues Sicherheitsabkommen auszuhandeln. Ziel wäre es, Spannungen zu reduzieren und China in die Wahrung der ukrainischen Souveränität einzubinden.<BR /><BR />Wenn Europa wirklich gestärkt werden soll, ist der erste Schritt nicht die Aufrüstung. Der erste Schritt ist der Aufbau einer demokratischen Union – ohne die Europas Niedergang unaufhaltsam fortschreiten und es unfähig sein wird, die Ukraine nach Putins Verwüstung wiederaufzubauen.