Im Interview sagt der frühere italienische Regierungschef und Präsident der EU-Kommission, wie die Welt am besten auf Trumps Strafzölle reagiert, wie sich Russlands Präsident Putin geändert hat und ob Europa dem hungrigen Wirtschaftsgiganten China über den Weg trauen kann. <BR /><BR /><b> Weltweit sind die Börsen nach den von Präsident Trump verhängten Strafzöllen abgestürzt. Hat das Pendel „nur“ einmal ausgeschlagen oder sind die Folgen längerfristig? </b><BR />Romano Prodi: Welche Kompromisse es auch immer noch geben wird, der Einschnitt ist gewaltig. Es ist eine Zäsur. <BR /><BR /><b>Eine Veränderung der Weltwirtschaft? </b><BR />Prodi: Es ist das Ende der Globalisierung. Ob es eine sehr harte oder dank möglicher Kompromisse eine weniger harte Landung sein wird, sehen wir in den nächsten Wochen. Aufgrund der neuen amerikanischen Doktrin ist der Wandel global. Die USA allein schaffen gut 25 Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes. <BR /><BR /><b> Was bewirkt diese Doktrin?</b><BR />Prodi: Ich lehre in Peking an der Universität. Wisst ihr, was mich die chinesischen Studenten fragen? Herr Professor, mehr als ein Viertel der Welt schottet sich ab, was machen jetzt die anderen drei Viertel? <BR /><BR /><b> Eine gute Frage… </b><BR />Prodi: … die wir uns alle stellen müssen, denn die USA haben sich aus dem Spiel genommen und wir müssen die Weltwirtschaft an die neue Realität anpassen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69328912_quote" /><BR /><BR /><b> Präsident Trump sagt, dass er mit den Strafzöllen Amerika befreien und schützen wird.</b><BR />Prodi: Ich finde, er ruiniert sein Land. Die Abschottung wird Amerika nicht guttun. Die Entscheidung hat mich überrascht, weil die Wirtschaftsleistung Amerikas in den letzten Jahren außerordentlich gut war und das Wachstum dreimal so stark wie in Europa. Aber es gab auch dieses innere Unbehagen. Das Motto von Trump „Make America Great Again“ hat deshalb stark verfangen. Isolierung ist aber für ein dermaßen dynamisches und starkes Land negativ. <BR /><BR /><b> Die Zölle schaden aber auch den anderen Staaten. </b><BR />Prodi: Zölle sind schlecht, weil sie die gesamte Produktionsstruktur zerstören, zu höheren Kosten und damit zu einer höheren Inflation führen. Der US-Markt ist für viele Länder enorm wichtig, beispielsweise für Deutschland und Italien. Das Problem ist, wie wir auf diese Strafzölle reagieren. Wir sollten bedächtig und präzise vorgehen und keinen Handelskrieg anzetteln, denn der nützt niemandem. Und wir müssen abwarten, wie Trump sich weiter verhält. <BR /><BR /><b> Donald Trump hat sich verändert zwischen seiner ersten und zweiten Amtszeit? </b><BR />Prodi: Und wie! Glaubt ihr, Trump könnte an einem einzigen Tag 60 Dekrete unterzeichnen ohne jahrelange Vorbereitung? Das hat eine sogenannte Denkfabrik ausgearbeitet und vorbereitet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1149525_image" /></div> <BR /><BR /><b> Wie soll Europa reagieren: was bedeutet, mit Bedacht und Präzision vorzugehen? </b><BR />Prodi: Genau zu untersuchen, wo Europa zuschlagen, weh tun und Druck ausüben kann. Ich denke an die großen US-Konzerne. Google, Apple usw. machen in Europa kolossale Gewinne… <BR /><BR /><b> Wenn diese Konzerne ihre Netze abdrehen, verlangsamen oder manipulieren, steht Europa allerdings schlecht da, weil es selbst über keine verfügt. </b><BR />Prodi: Fürs Erste war Europas Antwort schwach. Trump erlässt Strafzölle und der Europäische Rat wird erst im Juni einberufen. Was soll das?! Zweitens hätte ich erhofft und erwartet, dass Europa jetzt endlich handelt, um so schnell als möglich die gleichen Technologien zu schaffen. Aber Europa ist nicht bereit. Deshalb wird Europa sehr spezifische, sektorale Antworten geben. Leider. <BR /><BR /><b>Klingt nicht gut. </b><BR />Prodi: Europa müsste jetzt ein starkes Zeichen setzen. Sehr viel Geld in die Hand nehmen und Satelliten ins All schießen, in neue Technologien investieren. <BR /><BR /><b>Das viele Geld könnte Europa von den 800 Milliarden für die Wiederaufrüstung nehmen?</b><BR />Prodi: Mal sehen, ob die 800 Milliarden ausgegeben werden. Es geht alles sehr langsam voran. Aber bei großer oder tödlicher Gefahr muss man alles unternehmen und die Ressourcen dafür aufbringen. Punkt. Es stimmt, dass Amerika wirtschaftlich ein Gigant ist, aber Europa ist auch ein Riese. Die Amerikaner haben 25 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft, Europa kommt immerhin auf 17 Prozent! <BR /><BR /><embed id="dtext86-69328914_quote" /><BR /><BR /><b>Das ist auch beachtlich. </b><BR />Prodi: Aber wir machen null daraus. Wir Europäer haben den neuen Technologien nicht die nötigen Ressourcen gewidmet, um einen Sprung nach vorne zu machen. <BR /><BR /><b>Kein zuversichtlich stimmendes Bild. Welche Chancen eröffnen sich Europa, mit anderen ebenfalls von den Sanktionen betroffenen Ländern ins Geschäft zu kommen? </b><BR />Prodi: Als mich die chinesischen Studenten fragten, was zu tun sei, habe ich ihnen gesagt 17 plus 17... <BR /><BR /><b> … ergibt 34. </b><BR />Prodi: Ja, das ist der gemeinsame Anteil an der Weltwirtschaft. <BR /><BR /><b> Aber geht das so einfach mit China? </b><BR />Prodi: Wir haben es 40 Jahre lang nicht geschafft, ein Abkommen zu schließen für Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Europa. Angela Merkel war sehr nah dran. In den zweieinhalb Monaten des Wechsels von Donald Trump auf Joe Biden ist es Merkel gelungen, den Europäischen Rat dazu zu bringen, ein Abkommen zu verabschieden. Es war kein Handelsabkommen, sondern eine Art Verhaltensprotokoll für die Zukunft, das sehr interessant war. Als Joe Biden dann Präsident wurde, hat er es sofort unterbunden, und dann gab es noch eine Kontroverse. <BR /><BR /><b> Um das europäisch-chinesische Abkommen zu verhindern? </b><BR />Prodi: EU-Abgeordnete übten wegen des harten Vorgehens gegen die Uiguren heftige Kritik an China, und die Chinesen ergriffen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Abgeordneten… <BR /><BR /><b> Damit war’s vorbei?</b><BR />Prodi: Hinzu kam das unkoordinierte Vorgehen der EU gegenüber China im Automobilsektor. Die Deutschen wollten keine Zölle, Italien und Frankreich schon. Dann haben einzelne EU-Staaten völlig unterschiedliche Zölle auf chinesische Autos verhängt. Zwischen 18 und 36 Prozent. Damit nicht genug. Die EU hat auch eine Steuer von 7 Prozent auf ein Auto erhoben, das zu 100 Prozent in China hergestellt wird, aber Tesla heißt. Die Chinesen haben sich gedacht: Wie und wem von denen können wir jemals trauen?<BR /><BR /><b>Wie soll es weitergehen? </b><BR />Prodi: Alle sollten einen Schritt zurück machen. Die Lösung liegt auf der Hand: Wenn sich ein Viertel der Welt abschottet, müssen die anderen drei Viertel zusammenarbeiten und Kompromisse finden, wenn sie nicht wollen, dass es zu einer globalen Krise kommt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1149528_image" /></div> <BR /><BR /><b> Kann man China vertrauen? Wie erleben Sie chinesische Spitzenpolitiker? </b><BR />Prodi: Sie sind weitsichtiger als wir. Das ist auch ein Problem, das mir Sorgen bereitet. Die Demokratien schauen nur auf die nahe Zukunft, auf vier bis fünf Jahre. Autoritäre Systeme und deren Führer halten sich für unsterblich und agieren auch so. Selbst Trump hat sich dieser Politik angenähert und versucht, die demokratische Struktur Amerikas zu verändern. Er denkt, die Exekutive sollte dominieren gegenüber dem Parlament, den Richtern, den Staaten, den Universitäten und den Medien. <BR /><BR /><b> Bleiben wir bei den Chancen Europas angesichts der neuen Weltunordnung. </b><BR />Prodi: Südamerika, Afrika und der große Orient mit Japan und Südkorea, es gibt Australien, es gibt die Welt. Und dann gibt es noch Indien, das sechs bis sieben Prozent pro Jahr wächst und 1,4 Milliarden Einwohner hat. Europa hat viele Möglichkeiten. <BR /><BR /><b> Europa ist aber eine schwierige, manchmal frustrierende Angelegenheit. Sie haben Europa fünf Jahre lang geführt. </b><BR />Prodi: Es ist sehr schwierig. Meine Amtszeit endete leider mit der Ablehnung der Europäischen Verfassung. Aber wir haben den Euro eingeführt und die Osterweiterung vollzogen. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, dachte ich: zum Glück haben wir Polen, die anderen Oststaaten und baltischen Länder in Sicherheit gebracht. <BR /><BR /><b>Aber funktioniert Europa denn? </b><BR />Prodi: Um es klar zu sagen: Europa mit dem Vetorecht für einzelne Mitglieder führt nirgendwohin. Wenn jeder einzelne Mieter in einem Wohnhaus ein Vetorecht hätte, würde das Stiegenhaus nicht mehr gereinigt. <BR /><BR /><b> Wie kann man das ändern?</b><BR />Prodi: Schwierig, aber es gibt schon Wege. Sehr komplexe. <BR /><BR /><b> Wird Europa jemals über den Euro hinaus eine echte gemeinsame Politik betreiben? </b><BR />Prodi: Der Euro hat den Dollar nicht verdrängt, weil Europa eine gemeinsame Währung hat, aber keine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik. Vielleicht sage ich etwas Absurdes, aber meiner Meinung nach ist es einfacher, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik zu haben als eine Steuerpolitik. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69328916_quote" /><BR /><BR /><b> Auf der einen Seite die Abschottung der USA, auf der anderen der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Es sieht für Europa nicht gut aus. </b><BR />Prodi: Es besteht kein Zweifel, dass die Absprachen zwischen Trump und Putin Europa in Schwierigkeiten bringen können. Putin sagt es zwar etwas verhaltener, aber Trump hat ausdrücklich gesagt, dass er mit einzelnen Ländern verhandeln wird, niemals mit der Europäischen Union. Das heißt, Trump will die EU spalten, und auch Europa und Russland. Auf meiner letzten Pressekonferenz des damals üblichen Gipfeltreffens zwischen der Europäischen Kommission und Russland, also Ende 2004, fragte mich ein wichtiger russischer Journalist, wann Russland der Europäischen Union beitreten würde. Nota bene: Nicht ob, sondern wann. <BR /><BR /><b>Was ist mit Putin passiert?</b><BR />Prodi: Putin hat immer gedacht, dass der Zerfall der Sowjetunion eine Tragödie war und er hatte immer die Rückkehr zur alten Macht, zum Zarenreich und der orthodoxen Kirche im Kopf. <BR /><BR /><b>Und hat dabei in China einen Verbündeten. </b><BR />Prodi: Es ist ein Bündnis mit chinesischer Vorherrschaft. Ich nenne nur eine Zahl: China ist in den zehn Jahren vor der Covid Pandemie wirtschaftlich um ein Russland pro Jahr gewachsen. Trotz des Bündnisses ist es so, dass China mit Europa doppelt so viel Handel betreibt wie mit Russland. China hat ein schreckliches Bedürfnis nach einem guten Verhältnis zu Europa, denn es hat eine beeindruckende Überkapazität in der Produktion. <BR /><BR /><b> Wie sehen Sie als erfahrener Spitzenpolitiker unsere Zukunft? </b><BR />Prodi: Nur weiter zu vermitteln ist zu wenig. Es ist Zeit für klare und mutige Entscheidungen. Ich bleibe trotz der schwierigen Lage für Deutschland optimistisch gestimmt. Europa braucht für eine gute Führung Deutschland und Frankreich. Das hat in den letzten vier Jahren nicht funktioniert, jetzt könnte es wieder klappen – mit Italien, das bei einem Patt entscheidet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1149531_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b> Eine abschließende Frage. Wie haben Sie als langjähriger Minister und zweimaliger Ministerpräsident Südtirol erlebt? Was denken Sie, wenn Sie Südtirol hören? </b><BR />Prodi: Ich bin jetzt zwei Stunden durch Meran spaziert. Ich habe noch nie so viele Kinder gesehen wie hier. Das hat mich beeindruckt. Ich beschäftige mich letzthin mit der Demografie. Wir erleben nämlich weltweit einen Einbruch der Geburtenrate, auch in Afrika und Indien oder in Ländern, in denen es dieses Problem nie gab wie in Frankreich. Es gibt keine plausiblen Gründe, es ist irgendwie so, als ob die Menschheit sich selbst auf seltsame Weise regulieren würde nachdem sie so unkontrolliert gewachsen ist. <BR /><BR /><b> Wurden Sie in Meran auch erkannt und angesprochen? </b><BR />Prodi: Allerdings, ich musste ein Selfie nach dem anderen machen. <BR /><BR /><b>Herr Präsident, wir danken für das Gespräch. </b><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />1939 in Scandiano bei Modena (Reggio Emilia) geboren – Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften – Professor an der Universität Bologna – von 1984 bis 1995 Präsident der Staatsholding IRI – von 1996 bis 1998 und von 2006 bis 2008 Ministerpräsident – von September 1999 bis November 2004 Präsident der Europäischen Kommission