Der junge ukrainische Filmstudent Kyrylo Naumko spricht im Interview über den brutalen Angriffskrieg Russlands auf sein Heimatland und den Moment, der sein Leben veränderte. <BR /><BR /><BR /><BR />Seit gut zweieinhalb Jahren wohnt der aus der Ukraine stammende Kyrylo Naumko mittlerweile in Südtirol. Mit der Brixnerin Hannah Hütter und einer weiteren Kommilitonin arbeitet der 30-jährige Absolvent der Bozner Filmschule Zelig am gemeinsamen Dilpomfilm. <BR />Gedreht wurde der 50-minütige Streifen in der ukrainischen Hafenmetropole Odessa, Kyrylo Naumkos Heimatstadt. In Odessa selbst hatte Naumko zuvor auch Deutsch und Englisch studiert. <BR />Wenige Tage vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine gelang es den 3 Studenten noch rechtzeitig das Land zu verlassen. Dennoch hat sich in Naumkos Leben seitdem alles verändert. Wir haben mit dem jungen Ukrainer gesprochen. <BR /><BR /><b>Ihr L<b>and</b> befindet sich seit dem 24. Februar im Krieg mit Russland, und jeden Tag erreichen uns dramatische Nachrichten aus der Ukraine. Wie kommen Sie, fernab Ihrer Heimat, mit dieser schier unerträglichen Situation zurecht?</b><BR /> Kyrylo Naumko: Die ersten 19 Tage des Krieges stand ich unter Schock, ich legte mich abends schlafen – in der Hoffnung in der Früh aufzuwachen um festzustellen, dass das alles nur ein Alptraum gewesen ist. Doch am 20. Kriegstag – da passierte etwas in mir: Es war, wie wenn ein Schalter umgelegt worden wäre. Der Krieg wurde zur Normalität, zu einer unfassbaren Tragödie, mit der wir nun alle leben müssen. Der Krieg findet nicht mehr nur in den Geschichtsbüchern statt, sondern in den Städten und Straßen unserer Kindheit. Seit Jahrzehnten wiederholen die Staats- und Regierungschefs am 8. Mai gebetsmühlenartig „Nie wieder Krieg“ – und nun ist wieder mitten unter uns. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="748115_image" /></div> <BR /><BR /><b>Viele Ukrainer, die im Ausland leben, kehren nach Hause zurück und greifen zu den Waffen. Ist das auch für Sie eine Option?</b><BR /> Naumko: Jeden Tag denken ich und meine Freundin, die auch aus Odessa stammt und in Trient studiert, darüber nach. Es ist ein zermürbender Gedanke. Ich habe zeit meines Lebens nie eine Waffe in der Hand gehalten, mir nie vorstellen können, in den Krieg ziehen zu müssen. Ich denke, dass ich von Südtirol aus mehr für mein Land tun kann. Ich unterstütze meine Armee mit Geld, sammle Spenden, verpacke Hilfspakete und habe mich als Dolmetscher für ankommende Flüchtlinge angeboten. <BR /><BR /><b>Stehen Sie mit Ihrer Familie in Odessa in Kontakt?</b><BR />Naumko: Meine Schwester lebt schon seit Jahren in Deutschland, meine Mutter hat 10 Tage nach Ausbruch des Krieges Odessa verlassen und ist nun bei ihr. Meine Schwester drängte sie zur Abreise. Wer in der Stadt geblieben ist, bereitet sich jeden Tag auf einen Angriff vor. Alle helfen mit. Der Protagonist unseres Films etwa geht nun jeden Tag an den Strand und befüllt Sandsäcke. Jeder will seinen Beitrag zur Verteidigung der Stadt leisten. <BR /><BR /><b>Ihr Land wehrt sich mit aller Kraft gegen den russischen Aggressor – allem voran der junge, politisch unerfahrene Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Sind Sie überrascht?</b><BR />Naumko: Nein, gar nicht. Das neue Selbstverständnis des ukrainischen Volkes hat Ende 2013/Anfang 2014 mit der Maidan-Revolution begonnen, die Menschen wünschen sich Freiheit, Demokratie, sie wollen nicht mehr unter dem Einfluss Russland stehen. Und Selenskyj? Er ist ein guter Mensch. Schauen Sie in seine Augen und Sie werden es erkennen. Er ist nicht wie die bisherigen ukrainischen Politiker, ich bin unglaublich stolz auf ihn. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="748118_image" /></div> <BR /><BR /><b>Trotzdem. Das Land wird jeden ein Tag ein Stück weit mehr verwüstet, unschuldige Zivilisten sterben. Wie kann dieser Krieg beendet werden?</b><BR /> Naumko: Ich bin kein Experte und kann nur das sagen, was ich mir denke: Mit einem Mann wie Putin kann man nicht verhandeln, ihm ist nicht zu trauen. Auch wenn es zu einem Friedensabkommen kommen würde – früher oder später würde Putin uns wieder in den Nacken fallen. Mit einem solchen Nachbarn kann man nicht friedlich zusammenleben – auch eine Neutralität ist für mich keine Option. Wir sind eben nicht wie die Schweiz, die von guten Freunden umgeben ist. Tut mir leid, wenn ich es so direkt sage: Ich glaube, man muss Putin beseitigen. <BR /><BR /><b>Die Mehrheit der Russen scheint hinter Putin zu stehen..</b><BR />Naumko: Sie werden seit 20 Jahren einer Gehirnwäsche unterzogen. Die größte Angst Putins ist es, dass sich sein Volk erhebt, echte Freiheit einfordert. Auch deshalb will er die Ukraine für sich einnehmen und ruhigstellen. Die vielfach heraufbeschworene Bruderschaft zwischen Russen und Ukrainern sehe ich nicht. Ich erlebe das in meiner eigenen Familie: Mein Onkel, selbst Ukrainer, lebt auf der Krim. Bis heute hat er sich nicht bei uns nicht gemeldet, ob wir überhaupt noch am Leben sind. Es gibt zig derartige Beispiele: Die Mutter einer Freundin aus Kiew lebt in Moskau. Sie glaubt ihrer eigenen Tochter nicht, sie verschließt die Augen vor dieser Tragödie und stimmt ihr damit zu.<BR />