<b>von Andreas Schwarz</b><BR /><BR />Am gestrigen Dienstag war die sogenannte „Zuckerlkoalition“ in Österreich 100 Tage im Amt. Und gefühlt, so schrieb ein renommierter Leitartikler dieser Tage, ist ihr Chef, Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), einer der beliebtesten oder zumindest geachtetsten Bundeskanzler seit Langem. Weil seine Koalition relativ geräuschlos funktioniert. <BR /><BR />Das ist ein Phänomen. Am Tag nach der Regierungsbildung verweigerten die Medien der ersten richtigen Dreier-Koalition in der Zweien Republik noch die üblichen 100 Tage Augenzudrücken – „Keine Schonfrist“ lauteten die Schlagzeilen unisono, geschuldet dem langen Regierungsbildungsprozess: Erst hatten die Wahlverlierer ÖVP und SPÖ mit den wirtschaftsliberalen NEOS verhandelt; nach dem Platzen verhandelten Wahlsieger FPÖ und ÖVP eine Rechts-Koalition; ehe sich ÖVP, SPÖ und NEOS mehr als fünf Monate nach der Wahl (September 2024) doch noch zusammenfanden – mit Wahlsieger und Möchtegern-„Volkskanzler“ Herbert Kickl (FPÖ) und seinem Anti-System-Kurs war halt kein Staat zu machen. <BR /><BR />Aus dem „keine Schonfrist“ für die Regierungs-Notlösung wurde im Laufe der Zeit allerdings ein zufriedenes Staunen über die Geräuschlosigkeit, mit der die Dreier-Koalition das Notwendige tat und tut. Und das ist vor allem einmal die Einleitung und Umsetzung eines rigiden Sparkurses angesichts eines Budgetdefizits von 4,5 Prozent, einem vergangene Wochen eingeleiteten Defizitverfahren der EU und Wirtschaftsdaten, die das einst so prosperierende Österreich als einziges EU-Land mit einem rückläufigen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausweisen. <BR /><BR />In dieser Situation lenkte der Parteisoldat und ehemalige „Beißer“ Christian Stocker, den eher der Zufall an die Spitze der ÖVP und der Republik geschwappt hatte, das Regierungsschiff mit souveräner Ruhe. <BR /><BR />Die SPÖ mit ihrem linkslinken Parteichef Andreas Babler und dem in der Wolle gefärbten Altsozialisten Finanzminister Markus Marterbauer verzichteten wiederum auf frühere Maximalforderungen wie etwa die Vermögens- und Erbschaftssteuer; ja, einzelne Landeshauptleute der SPÖ stimmten mit Kanzler Stocker sogar überein, als der die Praxis des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Sachen Asyl kritisierte (in einem Brief zusammen mit etwa der italienischen und der dänischen Ministerpräsidentin) – das hätte es früher nicht gegeben. <BR /><BR />Und die NEOS, sonst gerne Stachel im Fleisch der etablierten Politik und Parteien, sind glücklich, mit dem Außenministerium für Parteichefin Beate Meinl-Reisinger eine Prestigefunktion inne zu haben und für eine (temporären) UN-Sicherheitsratssitz für Österreich kämpfen zu können.<BR /><BR />Alles paletti also, wie man in Österreich für entspannte Zufriedenheit sagt?<BR /><BR /> Für die Regierungsparteien nicht ganz. Denn in Umfragen liegt die rechtspopulistische FPÖ, die schon die Wahlen im September mit 28 Prozent deutlich vor ÖVP und SPÖ gewann, weit jenseits der 30 Prozent – ohne viel dazu zu tun. Parteichef Herbert Kickl ist für seine Verhältnisse überraschend zurückhaltend in seinen Attacken auf die Regierenden. Motto: Die Zeit spielt ohnehin für mich. <BR /><BR />Das muss die Regierenden zunächst nicht beunruhigen, denn in den nächsten knapp zwei Jahren finden keinerlei Wahlen statt. <BR />Aber Faktum ist auch: Die Regierung tut relativ souverän, was notwendig ist; und bei einem breiten Teil der Bevölkerung kommt an: „Sparen, Kürzen, die da oben haben’s verbockt“. Förder-Kürzungen, Krankenkassenbeitrags- und Gebührenerhöhungen sonder Zahl, neue Steuern (etwa für E-Autobesitzer) machen halt nicht besonders beliebt. <BR /><BR />Nun muss den drei Regierungsparteien eine Geschichte einfallen, warum und mit welchem Ziel die Österreicher die Hintern-Backen zusammenkneifen, wie es wieder aufwärts gehen soll, welche Agende und politische Vision hinter allem steckt. Sonst können sie die Überraschung für das Geräuschlos-Funktionieren nicht für sich monetarisieren.