Wie das sehr geringe Interesse in Südtirol an der Volksabstimmung eingeordnet werden kann, erörtern der Gewerkschaftsvertreter Tony Tschenett und der Arbeitsrechtsexperte Josef Tschöll. <BR /><BR /><b>Herr Tschenett, knappe 30 Prozent Wahlbeteiligung in Italien, gar nur mickrige 16 Prozent in Südtirol. Wie erklären Sie sich dieses geringe Interesse?</b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1176717_image" /></div> <BR />Tony Tschenett: Ich denke, es gab insgesamt wenig Aufklärung und Information. Am meisten hat sich der Gewerkschaftsbund CGIL dafür ins Zeug gelegt, sowohl auf staatlicher wie auch auf landesweiter Ebene. Die beiden anderen großen Gewerkschaftsbünde CISL und UIL dagegen haben sich ziemlich stark zurückgehalten. Das war für die Menschen bzw. das Wahlvolk wenig nachvollziehbar. Außerdem sprach sich die Regierung dafür aus, nicht zu den Urnen zu gehen. Gerade diese Tatsache werte ich als schlechtes Signal für die Demokratie. Immerhin haben 500.000 Leute dafür unterschrieben. Die Menschen sollten immer dazu angeregt werden, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.<BR /><BR /><b>Beim Durchblick der Fragen ging es großteils um arbeitsrechtliche Details. Haben sich womöglich viele Menschen bei diesen Sachthemen einfach nicht angesprochen gefühlt?</b><BR />Tschenett: Ja, diese Einschätzung kann ich durchaus teilen. Viele Leute sind wohl nicht hingegangen, weil sie sich gesagt haben, dass sie diese Fragen ohnehin nicht betreffen: Beschäftigte im öffentlichen Sektor, Arbeitskräfte in großen Unternehmen, Rentner und andere mehr. In Südtirol kam wohl auch noch erschwerend hinzu, dass das Referendum über Pfingsten durchgeführt worden ist. Das verlängerte Wochenende haben sicherlich einige für einen Kurzurlaub genutzt. <BR /><BR /><b>Kommt womöglich auch dazu, dass in puncto Beschäftigung in Südtirol vielfach andere Bedingungen vorherrschen?</b><BR />Tschenett: Das ist zutreffend, in Südtirol vernehmen wir in diesen Fragen kaum Schwierigkeiten. Viele arbeitsrechtliche Fälle werden außergerichtlich vor der Schlichtungskommission geregelt. Südtirol hat hierbei sicherlich eine Vorreiterrolle inne, vor allem auch vom Arbeitsamt wird hier sehr gute Arbeit geleistet. Diese Schlichtungskommission sollte auf staatlicher Ebene wieder verpflichtend eingeführt werden – wie es bereits der Fall war.<BR /><BR /><BR />Arbeitsrechtsberater Josef Tschöll zieht indessen ein ernüchterndes Fazit: „Außer Spesen nichts gewesen“.<BR /><BR /><BR /><b>Herr Tschöll, die geringe Beteiligung an der Volksabstimmung lässt auf geringes Interesse an den Inhalten schließen. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?</b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1176720_image" /></div> <BR />Josef Tschöll: Wenn es um die politische Ebene geht, so sollte man das Referendum als Instrument der politischen Teilhabe wohl überdenken. Hier lautet das Fazit: Außer Spesen nichts gewesen. Sicherlich hat das geringe Interesse mit den Inhalten zu tun – und hier bewegen wir uns auf der technischen Ebene. Die vier Fragestellungen zu den arbeitsrechtlichen Punkten drehen sich um komplexe Themen. Wohl nur Fachleute können tatsächlich ermessen, um was es dabei geht. Und auch Referendum Nr. 5 zur Einbürgerung erscheint mir wenig durchdacht. <BR /><BR /><b>Der Gewerkschaftsbund CGIL argumentierte ihr „Ja“ mit einem stärkeren Schutz für Arbeitnehmer und für die Beseitigung von Ungleichbehandlungen. Sehen Sie das nicht so?</b><BR />Tschöll: Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass die aktuellen Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz derzeit angemessen geregelt sind. Wenn wir etwa vom Kündigungsschutz sprechen, so sollte man auch eine gewisse Flexibilität noch zulassen, denn übertriebene Erstarrung lähmt das gesamte System. Um es anders zu formulieren: In Italien können sich Arbeitnehmer auf einen stärkeren Kündigungsschutz berufen als jene in Österreich oder Deutschland. Oder wenn wir uns die befristeten Arbeitsverträge anschauen, finde ich es gut, dass diese damals von 3 Jahren auf 12 Monate reduziert worden sind. Und auch die befristeten Arbeitsverträge sind nicht ohne Schutz. Ich finde, es handelt sich bei diesen Volksabstimmungen um eine ideologisch motivierte Debatte. <BR /><BR /><b>In Südtirol, aber auch im restlichen Staatsgebiet, dürften die Arbeitnehmer andere Fragen stärker beschäftigen, etwa die Zuspitzung zwischen geringen Löhnen und hohen Lebenshaltungskosten, oder?</b><BR />Tschöll: Bei dieser Frage müssen wir die Produktivität beleuchten. Dabei sehe ich in erster Linie die Unternehmen und die Arbeitskräfte in ihrem täglichen Pensum gefordert. Zu den wichtigsten Instrumenten zählen dabei Bildung und Qualifikation.