<b>STOL: Die Borkenkäfersituation in Südtirol war Thema Ihres Expertenvortrags im Landtag. Warum?</b><BR />Prof. Ralf Petercord: Ich habe gerade über die Situation bei uns in Nordrhein-Westfalen und in Bayern gesprochen: Zwischen der Situation in Deutschland und in Südtirol gibt es sehr viele Analogien. Der Borkenkäfer hier in Südtirol und bei uns ist genau der gleiche. Die Situation in Südtirol ist noch nicht so, wie wir sie schon erleben mussten. Ich glaube, dass man hier noch einige Fehler, die wir gemacht haben, vermeiden kann.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57077777_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Welche wären das?</b><BR />Prof. Petercord: Wir waren schlecht vorbereitet. Wir haben die Situation unterschätzt, wir haben den Borkenkäfer unterschätzt. Wir haben nicht realisiert, welche Dynamik er entwickeln kann. Wir haben uns nicht so aufgestellt, dass wir ihn effektiv bekämpfen konnten. Wir haben die Waldbesitzer in Teilen alleine gelassen – das ist jetzt vielleicht etwas hart gesagt: Wir haben natürlich versucht, die Waldbesitzer zu unterstützen und zusammenzubringen, damit sie gemeinsam arbeiten. Das ist uns aber nur in einem Fall gelungen: Waldbesitzer haben sich zu einer Solidargenossenschaft zusammengeschlossen. Sie haben gesagt: Hier in unserem Waldgebiet kriegen wir das hin, wir arbeiten über Grenzen hinweg, so, wie es zielführend ist. Wir vermarkten unser Holz zusammen, werfen alles zusammen auf den Markt – egal, wie die Holzpreisentwicklung ist, jeder wird den gleichen Vor- oder Nachteil haben. Sie haben es dadurch geschafft, deutlich mehr Holz zu retten als wir im Land.<BR /><BR /><b>STOL: Wie groß sind die Borkenkäfer-Schäden in Nordrhein-Westfalen?</b><BR />Prof. Petercord: In den vergangenen 5 Jahren haben wir fast 60 Prozent unseres Fichtenvorrates verloren, auf einem Anteil von 50 Prozent der Fläche – der Anteil lag also gar nicht so hoch wie bei Ihnen: Wir haben in Nordrhein-Westfalen nur 30 Prozent Fichte. Dementsprechend ist es ein beachtlicher Schaden, der entstanden ist. Eine Schadfläche von 135.000 Hektar muss wiederbewaldet werden. Die genannte Waldschutzsolidargemeinschaft hat es geschafft, die Verluste deutlich zu minimieren: Sie haben 20 oder 25 Prozent verloren; das ist auch noch viel, aber im Vergleich zu anderen eine viel bessere Ausgangslage, um konzentrierter in den Waldumbau gehen zu können. Das müsste man auch in Südtirol anstreben.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57080901_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Inwiefern?</b><BR />Prof. Petercord: Dass man viel besser zusammenarbeitet, dass man deutlich priorisiert, dass man gemeinschaftlich entscheidet, wie man vorarbeitet – nicht alleine, sondern solidarisch, nach dem Motto: Wir schützen unseren Wald gemeinsam, und zwar so, dass es auskömmlich für alle ist.<BR /><BR /><b>STOL: Der Wald in Südtirol hat über die wirtschaftliche Funktion hinaus auch besonders jene eines Schutzwaldes.</b><BR />Prof. Petercord: Er ist schwer zu bewirtschaften, es ist schwer, den Borkenkäfer zu bekämpfen. Deshalb kann man die Waldbesitzer damit nicht alleine lassen. Das muss man gut steuern und man muss die Waldbesitzer unterstützen – Hilfe zur Selbsthilfe. Stichwort: Daseinsvorsorge des Schutzwaldes.<BR /><BR /><i>Bevor Sie weiterlesen, stimmen Sie ab!</i><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="222015" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><b>STOL: Das Land Südtirol plant eine finanzielle Unterstützung für die Schutzwaldpflege pro Fläche. Reicht das?</b><BR />Prof. Petercord: Ich glaube, man muss zielgerichteter vorgehen und unterscheiden zwischen Flächen, wo schon alles verloren ist, und solchen, wo man noch eine zielgerichtete Steuerung des Borkenkäfers hinkriegen kann. Dann ist es möglicherweise auch teurer. Ich würde deshalb dafür plädieren, zielgerichteter zu fördern: Der eine braucht mehr, der andere braucht weniger. Das hat nichts mit Ungleichbehandlung zu tun. Es stehen eben unterschiedliche Aufgaben an – die der eine hat und der andere vielleicht nicht mehr hat. Man sollte auch nicht maßnahmenorientiert fördern, sondern wirklich zielorientiert.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57080903_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Dazu braucht es auch entsprechende finanzielle Mittel.</b><BR />Prof. Petercord: Ein technischer Ersatz von Schutzwald kostet pro Hektar mindestens 100.000 Euro. Solche technischen Maßnahmen, um die Schutzwirkung des Waldes zu ersetzen, können aber auch 300.000 Euro pro Hektar kosten: Dann können Sie sich vorstellen, was ein Schutzwald wert ist. Das muss man sich bewusst machen. Der Erhalt des Schutzwaldes, die Anpassung des eigenen Schutzwaldes an den Klimawandel – das muss uns etwas wert sein. Da bedarf es des Engagements der Gesellschaft – das wäre also das Land, das sagen kann, hierfür setzen wir entsprechende Summen ein. Ich glaube, die sind gut investiert. Wichtig ist auch die Kommunikation: Die Leute müssen das verstehen. Man muss viele, viele Veranstaltungen machen und versuchen, die Leute dazu zu bewegen, in ihren Flächen aktiv zu sein. Es braucht sicherlich die Unterstützung der Forstverwaltung: Sie muss eine Strategie entwickeln, die dann gemeinschaftlich umgesetzt werden kann. Das muss man einfach tun. Ich glaube an das Gute im Menschen – natürlich wird es den einen oder anderen Sturschädel geben, aber den muss man einfangen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57080904_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Für den Waldumbau ist auch die Jägerschaft ein wichtiger Partner. Inwiefern?</b><BR />Prof. Petercord: Waldumbau funktioniert nur, wenn auch die Jagd funktioniert. Auch da muss man sich fragen: Wie kann ich die Jagd unterstützen? Wir haben zum Beispiel einmal in Nordrhein-Westfalen eine Förderung von Hochsitzen gegeben. Das war nicht wahnsinnig erfolgreich, weil ein neuer Hochsitz nicht bedeutet, dass auch mehr geschossen wird. Aber man könnte eine solche Förderung am Verbiss orientieren: Wenn von 100 gepflanzten Weißtannen auf bestimmten Flächen 100 verbissen sind, auf anderen aber nur 10 – dann hat der Jäger dort gute Arbeit geleistet und hat auch eine Prämie verdient: Er hat den Verbiss reduziert, er hat es geschafft, eine Entwicklung anzuschieben, dass der Wald wächst. Das könnte etwas bringen, aber man muss es von Fall zu Fall überlegen. Diese Entscheidungen müssen vor Ort getroffen werden, ich will da gar nicht vorgreifen. Aber man muss verschiedene Ideen durchspielen und sich fragen: Was kann etwas bringen? Sicher ist: Alleine geht es nicht, man muss es zusammen tun. Das beginnt schon damit, dass man Holzunternehmer organisieren muss, den Transport und einen Seilkran, die mehrere Waldbesitzer betreffen: Das müssen sie dann gemeinsam stemmen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57080905_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Das Zeitfenster ist klein: Im April fliegen die neuen Käfergenerationen aus. Wir reden Ende November noch darüber, wie wir den Käfer bekämpfen, dabei müssten wir ja eigentlich schon mitten in der Umsetzung sein. Geht sich das alles noch aus?</b><BR />Prof. Petercord: Es ist tatsächlich sehr knapp. Jetzt kommt auch noch der Winter, wo es auch nochmal schwieriger wird. Ich kann nur jedem raten, noch so viel Holz aus dem Wald zu holen wie möglich. Aber nicht planlos: Sie sollten nur die Bäume herausholen, die aktiv noch vom Käfer befallen sind. Alles, was schon abgestorben ist, was grau ist, wo der Käfer schon rausgeflogen ist, das bleibt bitte unbedingt stehen. Da kümmere ich mich bitte nicht mehr drum, egal, wie dick der Baum ist. Das ist uninteressant. Wir müssen alle Aufarbeitungskapazitäten auf die richten, die noch tatsächlich waldschutzrelevant sind: Das sind die Bäume, in denen der Käfer überwintert. Von denen müssen so viele wie möglich noch raus. Ich habe immer gesagt, wenn Sie das bis Weihnachten geschafft haben, dürfen Sie Weihnachten feiern – sonst nicht. Ungefähr so ist es. Je schneller und intensiver Sie das jetzt machen, desto besser ist es. Aber es gibt auch Bereiche, in denen das keinen Sinn mehr macht – wo Sie es eh nicht schaffen werden, den Käfer aufzuhalten. Aber es gibt auch Bereiche, die noch einen kleinen, endemischen Befall haben, wo es gerade beginnt. Da ist es wichtig, aktiv zu sein – dort, wo Sie es noch schaffen.<BR /><BR /><b>STOL: Sie haben die Holz- und Transportunternehmer angesprochen: Es gibt in Südtirol nicht genügend und man schafft es nicht, sie von außen herzuholen.</b><BR />Prof. Petercord: Die haben in ihren Heimatregionen genug zu tun. Das ist ein Problem, das wir auch haben. Es gibt zu wenige und man kann sie oft nicht so an sich binden, wie man es sich wünscht. Das war eine Fehleinschätzung der vergangenen Jahre, dass man dachte, man bräuchte das nicht selbst. In Bayern – das ist ganz interessant – gibt es Forstbetriebsgemeinschaften, die eigene Forstwirte beschäftigen, die sich auch eigene Maschinen angeschafft und eigene Transportkapazitäten aufgebaut haben. Sie konnten eine gewisse Unabhängigkeit aufbauen, die sehr hilfreich ist.<BR /><BR /><b>STOL: Wie könnten solche Zusammenschlüsse aussehen?</b><BR />Prof. Petercord: Es kann nicht sein, dass sich 8 70-jährige Waldbauern zusammenfinden, die mit ihren alten Motorsägen arbeiten – das wird nicht funktionieren. Sie brauchen junge, dynamische Leute, die die Arbeiten im Wald machen. Eine solche Waldgenossenschaft kann das organisieren: Schulungen anbieten und sukzessive eine Stammunternehmerschaft aufbauen, die sagt, es lohnt sich, hier zu arbeiten. Das sind die Probleme, die wir momentan haben: Der Klimawandel trifft uns schneller, als wir das erwartet haben. Das betrifft aber viele Bereiche unserer Gesellschaft. Ein Großteil unserer Gesellschaft hat das noch nicht verstanden: Man kann nicht jeden Schaden mit Geld beheben. Es wäre besser, das Geld zu investieren, um Schäden zu vermeiden.<BR /><BR /><b>STOL: In Südtirol wird viel darüber gesprochen, warum die Bekämpfung des Käfers so schwierig ist: Lösungsansätze hört man wenige.</b><BR />Prof. Petercord: Ich habe im Landtag vorgestellt, wie eine Bekämpfung des Borkenkäfers ablaufen muss. Man muss sehen: Habe ich die entsprechenden Kapazitäten für diesen Ablauf? Wenn ich sie nicht habe, ist die Frage: Wie komme ich an die Kapazitäten heran? Zu sagen, ich habe die Kapazitäten nicht, kann ich mir kurzfristig erlauben – aber nicht langfristig. Sie werden hier in den nächsten Jahren erleben, dass Sie einen Großteil Ihrer Fichten verlieren werden. Sie können nur Zeit für den Waldumbau gewinnen. Südtirol kann es sich nicht leisten, dass große Waldflächen verloren gehen. Wenn Sie in einem Jahr sagen, Sie haben die Kapazitäten immer noch nicht, haben Sie etwas falsch gemacht. Hier muss jetzt Bewegung hinein. Bringungsprämien und Fangbäume reichen nicht – es ist menschlich, die Käferkalamität zu unterschätzen. Aber wir brauchen Maßnahmen dagegen. Wir müssen uns auf den Käfer einrichten. Der Schutzwald ist Daseinsvorsorge.<BR /><BR /> <a href="https://www.stol.it/artikel/wirtschaft/borkenkaefer-experte-jetzt-reagieren-oder-in-5-jahren-gebirgshaenge-ohne-wald" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Im STOL-Interview im August hat Forstexperte Florian Kaiser bereits auf das Problem aufmerksam gemacht. Den Bericht finden Sie hier.</a><BR /><BR /><BR />