248 Tote und eine Wirtschaft, die unter den Coronavirus-Maßnahmen stöhnt: Die Stadt Bozen leide unter der Pandemie, stehe aber verwaltungsmäßig nicht schlecht da, meint Bürgermeister Renzo Caramaschi. <BR /><BR /><i><BR />Interview: Ursula Pirchstaller</i><b><BR /><BR />Herr Bürgermeister, Pandemie, Gemeinderatswahlen, Bombenentschärfungen, das Jahr 2020 hatte es in sich. Was haben sie persönlich aus 2020 gelernt?</b><BR />Renzo Caramaschi: Ja, es war ein immens schwieriges Jahr. Wir haben eine Pseudonormalität verwaltet. Es war und bleibt ein ständiges Navigieren auf Sicht. Insgesamt habe ich 30 Verordnungen unterschrieben, um den Coronavirus einzudämmen. Die schwierigste Zeit war sicherlich das Wiederöffnen der Aktivitäten nach der ersten Welle. Leider haben wir mit 248 Opfern viele Tote zu beklagen. Während es uns zunächst gelungen ist, die Altersheime zu schützen, hat sich der Virus seit dem Herbst auch dort eingeschlichen. Im Altersheim Don Bosco gab es 42 Tote, in der Villa Europa 8 und in der Villa Harmonie einen Toten. <BR /><BR /><b>Trotz Pandemie scheint die Stadt nicht still zu stehen. Es herrscht rege Bautätigkeit, selbst jetzt im Winter und am 29. Dezember wurde der Haushaltsvoranschlag genehmigt. Vor ihrer Zeit war dies regelmäßig erst im Februar der Fall. Was ist ihr Zaubermittel?</b><BR />Caramaschi: Stets den Rhythmus zu halten. Sofort nach den Gemeinderatswahlen habe ich die Kommissionen einberufen und das Haushaltsdokument auf den Weg gebracht, damit die Stadt gleich wieder handlungsfähig ist. Wird der Haushalt erst im Februar genehmigt, gehen Monate verloren. Was das Verwalten betrifft, war das Jahr 2020 desaströs, doch es ist uns gelungen, trotzdem positiv abzuschließen. <BR /><BR /><b>Was heißt das in Zahlen ausgedrückt?</b><BR />Caramaschi: Seit ich mein Amt 2016 angetreten habe, konnten wir Investitionen in der Höhe von 302 Millionen Euro tätigen. Im Vergleich dazu haben die vorherigen Verwalter in 12 Jahren 567 Millionen Euro investiert. Wir haben genug Geld für wichtige Vorhaben, wie etwa die Sanierung der Aufschnaiter-Schule, den Bau der Schule in der Baristraße und viele andere öffentliche Arbeiten. <BR /><BR /><b>Die Finanzlage ist also gut, kann somit jenen geholfen werden, die durch die Krise in finanzielle Not geraten sind?</b><BR /> Caramaschi: Die städtische Wirtschaft leidet stark unter den Coronavirus-Maßnahmen. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht genügend Geld haben, um Essen zu kaufen. Wir haben vor kurzem weitere 350.000 Euro für Lebensmittelspenden bereitgestellt. Insgesamt nähern wir uns einer Million Euro, die wir seit Beginn der Krise für Lebensmittel ausgegeben haben. Die staatlichen Zuschüsse treffen verlässlich ein und werden an die Bedürftigen weitergeleitet. Nun gibt es auch die Möglichkeit, Geld aus dem Überschuss als Nothilfe vorzusehen und, wenn nötig, greifen wir darauf zurück. <BR /><BR /><b>Mit dem 6. Jänner läuft die jüngste Verordnung von Landeshauptmann Arno Kompatscher aus. Erwarten Sie sich eine Lockerung der Maßnahmen?</b><BR />Caramaschi: Ich weiß es nicht. Es kommt ganz auf die Infektionszahlen an. Wie immer, ist es wieder ein Navigieren auf Sicht und ein Abwägen zwischen ökonomischen und gesundheitlichen Schäden. Wir selbst können durch unsere Vorsicht dazu beitragen, dass die Wirtschaft nicht weiter leiden muss. <BR /><BR /><b>Was halten Sie davon, dass die Oberschüler am 7. Jänner wieder in die Klassen zurückkehren sollen?</b><BR />Caramaschi: Der Mensch ist ein Gemeinschaftstier und Videokonferenzen sowie die Nutzung digitaler Medien können kein Dauerzustand sein. Die notwendigen, zusätzlichen öffentlichen Verkehrsmittel scheinen inzwischen gefunden zu sein, doch ist auch sichergestellt, dass die Schüler sich dann wirklich auf diverse Busse aufteilen? Ich bin für eine Wiederöffnung der Schulen, doch mit größter Vorsicht. Ich würde vorerst nur 50 Prozent der Schüler in die Klassen lassen. <BR /><BR /><b>Die Immobilienpreise sind durch die Krise noch weiter in die Höhe geschnellt. Was macht die Gemeinde, damit Wohnen in Bozen noch leistbar ist? Caramaschi: Wir warten derzeit auf ein neues Landesgesetz, das im Februar in Kraft treten soll. Dieses würde uns die Möglichkeit geben, all jene, die Wohnungen leer stehen lassen, steuerlich stärker zu belasten. Weiters müssen wir auch über die Gemeindegrenzen hinaus schauen und Nachbarorte in die Planung mit einbeziehen. Die Fläche, die Bozen zur Verfügung steht, ist und bleibt begrenzt. Die Situation ist eine völlig andere, als zum Beispiel in Trient. „D“: Welche Projekte sind für Sie im neuen Jahr besonders wichtig?</b><BR />Caramaschi: Es gibt sehr viele. Wenn ich einige nennen muss, dann ist das sicher die Tiefgarage am Siegesplatz, für die in Kürze die Ausschreibung veröffentlicht wird und die Wiedereröffnung des Stadthotels. Uns ist es gelungen, mitten in der Pandemie die Ausschreibung für die Sanierung und Verpachtung eines Hotels über die Bühne zu bringen. Es wäre wunderbar, wenn das Hotel bis Mai oder Juni saniert werden und dann wieder aufsperren könnte. <BR /><b>Sind Sie wirklich so zuversichtlich, dass die Impfung bereits im Frühsommer genügend Personen erreicht hat?</b><BR />Caramaschi: Ich hoffe stark, dass wir im Juni wieder durchstarten können. Viel hängt davon ab, ob wir eine ansehnliche Impfquote erreichen. Wenn die Bürger zur Impfung gerufen werden, müssen sie diese Gelegenheit wahr nehmen. <BR /><BR /> Noch einmal zurück zum Thema Wohnbau. Sie haben die Verbauung des Bahnhofgeländes zur Chefsache erklärt. Wie weit ist dieses Projekt gereift?<BR />Caramaschi: Neben der Nutzung von leer stehenden Wohnungen wird das Bahnhofgelände neuen Wohnraum schaffen. Derzeit wird an der internationalen Ausschreibung gearbeitet, die bis zum September fertig sein sollte. Mit dieser Ausschreibung wird dann auf internationaler Ebene nach einem Investor gesucht, der die Verbauung übernehmen kann. Eine solche Ausschreibung zu entwickeln, geht nicht von heute auf morgen, es ist eine sehr komplexe Angelegenheit. <BR /><BR /><b>Gleich zu Beginn des neuen Jahres mussten Sie die Wogen innerhalb ihrer Koalition glätten. Während Stadtrat Stefano Fattor vom PD des Tunnels von St. Jakob nach Norden als vorrangig ansieht, setzen sie weiterhin auf die Verlegung der Autobahn. Landeshauptmann Arno Kompatscher hat vor 3 Jahren angekündigt, dass es bald soweit sein könnte, getan hat sich seither wenig. Warum halten Sie immer noch an diesem Vorhaben fest?</b><BR />Caramaschi: Wer die Tunnellösung für die SS12 fordert, der muss auch die Finanzierung absichern. Derzeit gibt es dafür keine Zusagen. Sollen diese kommen, bin ich sicher nicht gegen das Projekt. Die Autobahnverlegung hingegen ist Teil der Agenda Bozen und kann mit der Übernahme der Autobahnkonzession finanziert und verwirklicht werden. Sicher, die Konzessionsvergabe wurde auf römischer Ebene nun jahrelang verzögert, doch am 7. Jänner gibt es in dieser Sache ein weiteres Treffen. Sollte die Autobahngesellschaft A22 die Konzession erhalten, stehen im Investitionsplan der Gesellschaft Milliarden zur Verfügung, die für Bauprojekte verwendet werden können. Nicht nur für die Autobahnverlegung, sondern auch für den Bau einer Brücke über den Eisack auf Höhe der Einsteinstraße. Diese Brücke würde die Verkehrsbelastung für Bozen deutlich senken.<BR />