„Das Gefühl des großen Zusammenhalts gibt es nicht mehr“, sagt der Gewerkschaftschef. <BR /><BR /><BR /><i>Von Johannes Vötter</i><BR /><BR /><BR /><b>Kein Fest, kein gemütliches Gespräch, aber auch keine Möglichkeit, die aktuellen Probleme der Südtiroler zu thematisieren. Faust aufs Arbeitnehmer-Herz: Wie sehr schmerzt es, heute am Völser Festplatz nicht am Rednerpult stehen zu können?</b><BR />Tony Tschenett: Schon sehr, weil wir heuer zum zweiten Mal darauf verzichten müssen, diesen Tag gemeinsam mit den ASGB-Mitgliedern, Sympathisanten und vor allem ihren Familien beim ASGB-Fest in Völs zu feiern. Ich selbst bin schon seit 27 Jahren dabei und schätze die Atmosphäre dieser traditionellen 1.-Mai-Feier nicht zuletzt aus persönlichen Gründen sehr. Doch auch heuer wäre das organisatorisch schwierig und aus epidemiologischer Sicht nicht möglich, weshalb wir diesmal einen anderen Weg gehen: So gibt es ab 10 Uhr eine kleine Zeremonie, bei der wir am Bozner Rathausplatz 57 Luftballons mit Wunschkärtchen aufsteigen lassen. Eine bescheidene Aktion in Erinnerung an das ASGB-Gründungsjahr 1964, womit zu mehr Optimismus im Land aufgerufen werden soll. Ich denke, das brauchen wir nach diesen 15 schwierigen Monaten.<BR /><BR /><BR /><b>Wobei vor genau einem Jahr die Lage nicht so viel anders war. Durch Südtirol ging ein erstes, verfrühtes Aufatmen, gleichzeitig keimte aber auch schon die Sorge um die Zukunft auf. Was ist seither grundlegend falsch gelaufen?</b><BR />Tschenett: Die Kommunikation von Seiten der Politik. Und das auf allen Ebenen. Siehe die Wintersaison: Da heißt es noch, die Skilifte sollen aufgehen. Die Betreiber stellen Leute ein, die Gastwirte kaufen die notwendige Ware – und plötzlich heißt es: „Nein, doch nicht. Verschieben wir die Öffnung um 14 Tage! Äh, nein doch nicht, wir lassen zu.“ Die Schwierigkeit der Kommunikation ist zwar nachvollziehbar, doch das ändert nichts daran, dass es so jedenfalls falsch war. Und was heute vor dem Hintergrund der aktuellen Öffnungsschritte vergessen wird: Es gibt einige Sektoren, die können immer noch nicht arbeiten. Allen voran im Tourismus. Da helfen die 2400 Euro vom Staat gar nichts – und wir müssen davon ausgehen, dass genau diese Leute abspringen und sich beruflich umorientieren. Zumal die Ungewissheit groß ist, was passiert, wenn der Kündigungsschutz früher oder später fällt.<BR /><BR /><BR /><b>Bleiben wir zunächst aber noch beim angesprochenen Hin und Her zwischen all den Maßnahmen und Verordnungen: Es gab laufend umzuschreibende Sicherheitsprotokolle einerseits, mit Testpflicht und Impfkampagne hadernde Arbeitgeber andererseits. Die Tonalität zwischen den Sozialpartnern hat sich verschärft. Wie würden Sie die Stimmung stand jetzt umschreiben?</b><BR />Tschenett: Sie sagen es: Das Gefühl des großen Zusammenhalts – wie noch vor einem Jahr – gibt es nicht mehr. Jeder Verband bzw. jeder Unternehmer versucht, die Interessen „seiner Leute“ durchzubekommen. Und das hat man zuletzt auch bei der Überarbeitung der Sicherheitsprotokolle hinsichtlich der Coronatests gesehen. Nur die vier Gewerkschaften sind hier geschlossen aufgetreten, wenn auch eine diese Protokolle nicht unterzeichnet hat.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-48851540_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Die Neiddebatte ist gestartet?</b><BR />Tschenett: Sagen wir so: Es ist furchtbar aufzupassen, dass wir nicht darin enden. Schon jetzt wollen die einen alles möglichst viel öffnen, während die anderen besorgt auf die Lockerungsbremse steigen. Dieser Riss zwischen den Sozialpartner lässt sich nicht mehr leugnen, genau wie jener in der Bevölkerung. Das hat mit der Impfdiskussion angefangen, war auch bei den Nasenflügeltests in den Schulen zu beobachten und zeigt nun auch vermehrt im Alltagsverhalten.<BR /><BR /><BR /><b>Ist es nicht irgendwie zweifelhaft, dass die heimische Wirtschaft vor dem „Tag der Arbeit“ heuer auch den „Tag der Arbeitgeber“ zelebriert und damit einen weiteren Keil in diesen Riss treibt?</b><BR />Tschenett: Allerdings. Die Botschaft ist komplett die falsche. Wir brauchen jetzt den Zusammenhalt und kein Ausspielen von Arbeitgebern und Angestellten. Letztere leiden massiv unter den wirtschaftlichen Folgen, waren über Monate oder sind noch immer im Lohnausgleich. Und im Tourismus haben die Betroffenen kein Arbeitslosengeld bekommen. Da wäre man besser beraten gewesen, ebenfalls auf diesen „Tag der Arbeitgeber“ zu verzichten – und die gemeinsamen Interessen hervorzuheben.<BR /><BR /><BR /><b>Nun sind es genau die genannten Sektoren, wo beide Seiten im selben, ziemlich lecken Boot sitzen. Wie überzeugt sind Sie von der aktuellen Öffnungsstrategie, sprich dem Grünen Pass?</b><BR />Tschenett: Ganz ehrlich: Überhaupt nicht. Die vorgestellten Pläne waren das einen, doch die Umsetzung ist eine ganz andere. So hieß es ganz klar und für alle verständlich: „Du kommst nur in eine Lokal, wenn du den Grünen Pass vorweisen kannst!“ Doch jetzt sind wir auf dem Punkt, dass das nicht so gehandhabt wird bzw. die Eigenverantwortung oder Kontrollmoral des Wirtes entscheidet, ob jemand auch wirklich getestet in ein Lokal kann. Darüber hinaus soll demnächst der Impfpass auf EU-Ebene kommen. Da stellt sich die Frage: Warum wurde all das Geld in dieses Projekt investiert, wenn es nicht so wie besprochen umgesetzt wird?<BR /><BR /><BR /><b>Womit wir wieder beim Thema Kommunikation wären. Siehe auch das mediale Hickhack, was die Werktätigen betrifft, die den Grünen Pass brauchen, um überhaupt an ihr Mittagessen zu kommen. Der Landeshauptmann hat hier die Gewerkschaften kritisiert, die sich gegen die Testpflicht stellten …</b><BR />Tschenett: Was so absolut nicht stimmt. Die Testpflicht für Betriebe steht seit Jänner in den Sicherheitsprotokollen. Und wenn man sich die Daten genauer ansehen würde, dann wäre auch zu erkennen, dass ein Großteil der Betriebe die Mitarbeiter wirklich konsequent testet. Sei es große Unternehmen, wie auch Kleinbetriebe – wobei noch immer die Antigentests aus verschiedenen Gründen den Nasenflügeltests vorgezogen werden. Aber das Land als größter Arbeitgeber im Land fängt erst jetzt damit an?! Und das ist jetzt nicht das erste Mal, dass ich darauf hinweisen muss.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-48851541_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Es gibt Berufsfelder, die den Karren von Anfang an durch den Corona-Dreck ziehen mussten. Pflegepersonal oder auch Angestellte in „systemerhaltenden Berufen“ bekamen dafür viel Applaus. Dennoch droht ihnen nun immer häufiger sogar der Lohnausgleich, selbst der Kündigungsschutz wird nicht ewig haltbar sein. Was passiert da?</b><BR /> Tschenett: Nun, es trifft genau die Berufe, die bis heute durchgehalten haben. Siehe die Impfpflicht für das Personal in den Altenheimen. Dort gibt es einige, die sich nicht impfen lassen – ob aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie als „Covid-Genesene“ gelten. Und wie eingangs erwähnt, läuft auch hier die Kommunikation komplett an den Leuten vorbei. Statt zu drohen, sollte man mehr Überzeugungsarbeit leisten. <BR /><BR /><BR /><b>Im Gegenzug fordert der Tourismus eine Vorzugsspur für seine Angestellten…</b><BR />Tschenett: … Und niemand redet von den Handelsangestellten, die etwa in den Lebensmittelgeschäften seit Ausbruch dieser Pandemie dem Virus im Prinzip durchgehend ausgesetzt. Hier braucht es von staatlicher Seite endlich ein Eingreifen und verstärktes Vorausdenken. Siehe auch den schon erwähnten Kündigungsschutz: Wenn der aufgehoben wird, müssen wir mit einer Kündigungswelle in diesen vom Kundenfluss so abhängigen Sektoren rechnen. Seit Monaten wiederholen wir gebetsmühlenartig, dass es schon jetzt Maßnahmen braucht, um dann gerüstet zu sein. Etwa nach dem österreichischen Vorbild der Arbeitsstiftungen – also dass man als Arbeitsloser eine Umschulung machen kann. Dafür brauchte es auf römischer Ebene eine Durchführungsbestimmung, worauf ich unseren Wirtschaftslandesrat schon vor einem Jahr hingewiesen habe. So aber stehen wir hier – und schauen, was kommt.<BR /><BR /><BR /><b>Stellt sich die Frage: Wovor fürchten Sie sich denn derzeit mehr – vor dieser Krise nach der Krise oder doch dem Virus?</b><BR />Tschenett: Ganz eindeutig dem Virus. Denn es gibt so viele Fragezeichen, die hinter der Durchimpfungsrate oder auch den Mutationen und den damit verbundenen Folgen stehen. Wir wissen doch nicht einmal, wie es in einem Monat aussieht. Darüber hinaus ist auch die globale Entwicklung nicht wirklich beruhigend. Umso mehr brauchen wir jetzt etwas Optimismus.<BR /><BR /><BR /><b>Also ein Tag zum Feiern ist dieser 1. Mai 2021 tatsächlich nicht?</b><BR />Tschenett: Nein, das stimmt. Umso größer muss aber die Hoffnung sein, dass wir am 1. Mai 2022 wieder traditionell am Völser Festplatz feiern können.<BR />