Das Land will gemeinsam mit den Gemeinden familienfreundliche Betreuungszeiten für Kinder erreichen. Mittelfristig sind Mittelpunkt-Kindergärten und -Schulen angedacht. Geplant ist auch eine landesweite, einheitliche Bedarfserhebung. Eine „allgemeine Lösung“ wird es nicht geben – es brauche Lösungen vor Ort, umgesetzt von Land und Gemeinden, sagen die Verantwortlichen. <a href="https://www.stol.it/artikel/politik/zeitpolitische-massnahmen-sollen-familien-entlasten" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">STOL hat berichtet.</a><BR /><BR />„Für Grundschüler bin ich mit der Kooperation zwischen Schule und Sport- und Freizeiteinrichtungen etc. einverstanden“, sagt Christa Ladurner von der Allianz für Familie. „Aber zwischen den ganz kleinen Kindern und größeren ist in meinen Augen zu unterscheiden. Ein Dreijähriges kann ich nicht zum Fußball schicken.“<BR /><BR /><BR /><b>STOL: Die Ganzjahresöffnung der Kindergärten sei nicht leicht umzusetzen, heißt es. Stattdessen sollen die Kinder im Sommer im Rahmen von Projekten betreut werden, die die Gemeinden organisieren. Wie sehen Sie das?</b><BR />Christa Ladurner: Speziell im Kindergarten braucht es ein strukturierteres Vorgehen. Wir sind nicht einverstanden, dass man für kleine Kinder alles über Projekte abwickelt. Wir sehen große Schwierigkeiten. Man muss weg von der Idee, dass das über Projekte viel billiger zu machen sei. Warum stärken wir nicht den Kindergarten, der super funktioniert, damit dieser sein zeitliches Angebot erweitern kann? Die Kinder wären dort im gleichen Kontext mit ähnlichen Leuten – das wäre für alle viel besser.<BR /><BR /><b>STOL: Welche Schwierigkeiten sehen Sie?</b><BR />Ladurner: Allein die Einschreibungen für die Sommerwochen sind ein organisatorisches Hin und Her. Man weiß nicht, ob das eigene Kind einen Platz kriegt oder nicht. Das gilt auch für die verlängerten Öffnungszeiten im Kindergarten: Die Eltern wissen nicht, ob sie im Herbst eine Nachmittagsbetreuung kriegen. Das ist nicht verlässlich. Wir bekommen viele Anrufe von Eltern, die Probleme damit haben, dass die Altersgrenze im Kindergarten angehoben worden ist. Kinder müssen teilweise bis 3,5 oder 4 in der Kita bleiben. Alle, die nach Jänner geboren sind, können nicht in den Kindergarten. Die drücken auf die Kita, die Wartelisten dort sind lang. <BR /><BR /><b>STOL: Begründet hat man das bei der Einführung vor ein paar Jahren damit, dass Dreijährige besser in der Kita aufgehoben wären…</b><BR />Ladurner: Für einige mag das zutreffen. Aber es gibt viele Dreijährige, die reif für den Kindergarten sind. In diesen Altersspannen gibt es riesige Entwicklungsunterschiede: Der Kindergarteneintritt muss dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst sein. Der Schuleintritt ist ja auch flexibel. Die Eltern beklagen diese Unsicherheiten.<BR /><BR /><b>STOL: Es bräuchte mehr Flexibilität seitens der Kindergärten?</b><BR />Ladurner: Ein Blick ins Trentino genügt. Dort ermöglicht man den Kindergarten-Eintritt im September und im Jänner, zweimal im Jahr. Auch das wäre eine Forderung unsererseits. Dann könnten die Kinder, die 3 werden, auch aufgenommen werden. Unser Vorschlag ist es, die Kindergärten zu potenzieren, mit mehr Personal auszustatten. Wenn es zu wenig ausgebildete Kindergärtnerinnen gibt, muss man übergangsmäßig weniger ausgebildetes Personal aufnehmen. In unseren Augen muss der Kindergarten Sommerbetreuung und Verlängerungen koordinieren, damit diese flächendeckend angeboten werden können.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58126321_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Die 11-monatige Öffnung der Kindergärten ist in Südtirol zum Thema geworden, nachdem das Trentino sie eingeführt hat. Dagegen ist ins Feld geführt worden, dass der Kindergarten keine Betreuungs-, sondern eine Bildungseinrichtung sei…</b><BR />Ladurner: Das ist nicht nachvollziehbar. Ich und viele andere haben das in vielen Sitzungen betont. Dieses Projektdenken gewährleistet keine Zuverlässigkeit. Es geht nicht darum, dass alle Kinder 11 Monate in den Kindergarten müssen. Es geht darum, flexibler zu werden: Damit man die Kinder dann schicken kann, wenn man es braucht. Wenn Eltern im Juni frei haben, warum können sie dann ihr Kind nicht daheim behalten? Und wenn sie im Juli arbeiten müssen, warum können sie es dann nicht im Juli in den Kindergarten schicken? Die ganze Arbeitswelt ist flexibel, unsere Angebote sind es zu wenig. Das macht massiven Druck auf die Familien. Familien haben unterschiedliche familiäre Ressourcen: Eltern, die im Sommer 2 Monate frei haben, oder Großeltern zur Verfügung, können die Kinder ja im Sommer daheim behalten. Es könnte im Sommer ja kleinere Gruppen geben…Das alles ist zu bedenken.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58126322_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Man könnte einwenden, wenn ein Kind während des Kindergartenjahres fehlt, leide die Bildungskontinuität…</b><BR />Ladurner: Bildung geschieht in dem Alter ganz stark über das kindliche Spielen. Das sagen auch Forscher, etwa vom österreichischen Institut für Familienforschung. Bildung bedeutet im Kindergartenalter etwas Anderes als bei den Größeren. Bildung und Betreuung kann man bei den Kleinen nicht so streng auseinanderhalten. In jeder Betreuungsleistung liegt auch eine Bildungsleistung. Kann mir bitte jemand erklären, warum Kinder von 0 bis 3 <i>betreut</i> werden, und sich von 3 bis 6 Jahren Bildung vollzieht? Das, was die Kinder im Sommer tun, ist Betreuung, und das, was sie im Winter tun, ist Bildung? Damit habe ich große Mühe. <BR /><BR /><b>STOL: Kindergärtnerin ist ein akademischer Beruf, der Kindergarten die erste Bildungsstufe. Sehen Sie die Bildungsqualität nicht gefährdet, wenn unqualifiziertes Personal aufgenommen werden muss?</b><BR />Ladurner: Südtirol hat es irgendwann so entschieden und den Kindergarten der Bildung zugeordnet. Für die Kindergärtnerinnen hat das einen Qualitätssprung bedeutet, dagegen will ich nichts sagen. Aber dass das dazu führt, dass man sich verhält, als wäre man im Kindergarten in der Schule, das sehe ich nicht. Die Kinder brauchen keine Ferien vom Kindergarten, sie gehen gern hin. Die Eltern sind durchwegs sehr zufrieden mit der pädagogischen Qualität. Ein Problem ist hingegen, wenn die Kinder im Sommer von einem Projekt zum anderen geschickt werden müssen. Im Kindergarten bietet man eine lange Eingewöhnungszeit, und im Sommer gehen sie von einem Projekt zum nächsten? Ich verstehe die Logik nicht.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58126323_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: In Südtirol gibt es einen enormen Personalmangel. Woher sollen die vielen zusätzlichen Kindergärtnerinnen kommen?</b><BR />Ladurner: Geht man davon aus, dass Personal, das am Nachmittag und im Sommer die Betreuung im Rahmen von Projekten machen soll und etwas taugt, zu Hauf' auf der Straße ist? Ich bin sprachlos: Wir betonen das seit vielen Jahren. Wir reden von Verlässlichkeit, von einem gewissen Maß an Flexibilität. Sind wir uns bewusst, wie viele Frauen Pflegerinnen in Altersheimen sind, Krankenpflegerinnen, Verkäuferinnen, Freiberuflerinnen: Die haben nicht so viele Monate frei. Wollen wir, dass diese Frauen alle daheim bleiben? Wenn wir das zeitliche Angebot der Strukturen nicht verbessern, dann will ich, dass Eltern, die Kinder haben, mehr bezahlten Urlaub bekommen! Es ist müßig, dass die einzige Lösung immer wieder Projekte sind, die einmal stattfinden und einmal nicht. Die Eltern können sich auf nichts verlassen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-58126324_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Das Land plant eine Bedarfserhebung: Was schätzen Sie, wie groß ist der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen? Anträge auf verlängerte Öffnungszeiten im Kindergarten werden ja eher wenige gestellt…</b><BR />Ladurner: Die Kriterien für die Verlängerung sind streng und gebunden an Berufstätigkeit. Es gibt Eltern, die nicht wissen, wie sie im Herbst arbeiten, die Umschulungen machen… Wenn sie lesen, welche Konsequenzen bei Falscherklärungen drohen, bekommen sie es mit der Angst zu tun und stellen keinen Antrag auf Verlängerung. Die Kriterien stammen aus den 70er Jahren und müssen abgeändert werden. Wir haben es bei den Kitas gesehen: Seit es in immer mehr Gemeinden solche Angebote gibt, ist auch die Nachfrage gestiegen. Vielerorts gibt es Wartelisten. Wenn es ein verlässliches Angebot gibt, wird es genutzt. Wir sehen in alarmierendem Maße, dass sich Frauen auf Teilzeitangebote zurückgezogen haben – gerade nach Corona. Wer keine Großeltern zur Verfügung hat, kann sich anders nicht organisieren.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58126325_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Von welcher Größenordnung sprechen wir dabei?</b><BR />Ladurner: Wir haben in Südtirol pro Jahr etwa 5000 Geburten. Und 1000 Frauen, die kündigen. Die Geburtenrate sinkt. 2022 war der Rückgang drastisch. Wenn Eltern das Gefühl haben, dass sie sich nicht organisieren können, dann verzichten sie auf Kinder. Das blüht uns. Nordische Staaten setzen auf Angebote, die eine gewisse Zeitspanne abdecken. Das Trentino tut das auch. Wenn es das Trentino schafft, warum Südtirol nicht? <BR /><BR /><b>STOL: Was wäre Ihre Idealvorstellung?</b><BR />Ladurner: Im Optimalfall gibt es Überlegungen, wie man die Betreuung und Bildung von 0 bis 14 Jahren ordentlich gestaltet. Derzeit sind die Betreuungszeiten beim Übergang von jeder Bildungsstufe zur nächsten anders. Die „mittelfristigen Lösungen“, von denen gesprochen wird, müssen schneller kommen.<BR />