<b>STOL: Der Vorschlag, die Kindergartenbetreuung nach auf 11 Monate zu verlängern, finden vor allem in Wirtschaftskreisen viel Zuspruch. Kein Zuspruch kommt derzeit von den Gewerkschaften. Warum?</b><BR />Karin Wellenzohn: Man muss dieses Thema von allen Seiten betrachten: Eigentlich betrifft es die gesamte Gesellschaft, nicht nur den Kindergarten. Wenn wir dieses Problem nur mit dem Kindergarten lösen wollen, dürfte das kaum möglich sein. Es stehen nämlich weder notwendigen die Ressourcen, noch das Geld zur Verfügung. Wenn im Kindergarten massiv Personal aufgestockt werden soll, müssen andere Sektoren etwas von dem abtreten, was normalerweise für sie zur Verfügung gestellt wird – das will keiner. Das viel größere Problem ist aber, dass schlicht das Personal fehlt. Bereits 2016 haben wir eine Studie in Auftrag gegebenen, mit dem Ergebnis, dass bis 2030 1100 von 2500 Frauen, die im Kindergarten arbeiten, in Pension gehen werden. Bereits heute sind die Rangordnungen nach der Stellenwahl leer gefegt und man ist nicht imstande neues Personal zu finden.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="863048_image" /></div> <BR /><b><BR />STOL: Führen wir derzeit also eine völlig falsche Diskussion?</b><BR />Wellenzohn: Auf jeden Fall. In Zukunft werden wir nicht darüber diskutieren, ob der Kindergarten 10 oder 11 Monate geöffnet bleibt, sondern ob wir überhaupt noch die Betreuung garantieren können. Als ASGB haben wir schon 2016 das Forum Kind genau aus diesem Grund ins Leben gerufen. Dort haben wir alle Verbände und Organisationen an einen Tisch geholt, um gemeinsam über eine Betreuungs- und Bildungswelt der Zukunft nachzudenken. Unsere Vision wurde niedergeschrieben, mehr ist aber leider nicht passiert. Damit sich die Situation verbessern kann, müssen alle bereit sein, auf etwas zu verzichten und auch die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen. Ich kann nicht immer nur sagen „Ich will“ und „Wir brauchen“ und dabei die Realität im Bildungssektor außer Acht lassen. Problematisch ist vor allem, wenn die Wirtschaft nicht einbezogen wird. Dieses Problem darf nicht nur bei den Kindergärten selbst und bei der öffentlichen Hand bleiben. Auch die Wirtschaft muss ihren Teil dazu beitragen.<BR /><BR /><b>STOL: Wie könnte so ein Beitrag der Wirtschaft konkret aussehen?</b><BR />Wellenzohn: Wir wünschen uns die Einrichtung eines runden Tisches, an dem konstruktiv diskutiert werden kann. Es sollte möglich sein, über die Zukunft der Kinderbetreuung nachzudenken, ohne dass jeder seine Scheuklappen vor den Augen hat. Dabei sollte nicht nur nach schnellen und langfristigen Lösungen gesucht werden, sondern es müssen auch Grenzen anerkannt werden: Weil einfach das Personal fehlt. Die Kündigungen im Kindergarten haben in den vergangenen Jahren sehr zugenommen, weil viele sagen: „Wir schaffen es nicht mehr“. Die psychophysische Belastung der Kindergärtnerinnen ist sehr hoch: Es sind 25 Kinder im Raum, für die sie die volle Verantwortung tragen. <BR /><BR /><b>STOL: Wie erlebt das Kindergartenpersonal die aktuelle Diskussion um den Kindergarten?</b><BR />Wellenzohn: Wir hatten kürzlich Versammlungen mit dem Kindergartenpersonal, an denen rund 900 Frauen teilgenommen haben. Von der hohen Teilnehmerzahl waren wir sehr überrascht, teilweise mussten wir auf größere Säle ausweichen. Was bei diesen Versammlungen klar geworden ist: Die Kindergärtnerinnen sind sehr enttäuscht und vor allem verletzt. Dass ihre Arbeit so wenig Anerkennung in der Gesellschaft findet, trifft sie sehr. Immer noch wird das, was sie täglich leisten, als einfacher Job abgetan. Aus zahlreichen Rückmeldungen haben wir entnommen, dass die Frauen keine Kraft mehr haben, sich ständig zu erklären, sich zu rechtfertigen, was sie bei ihrem Job machen oder warum sie freihaben. Immer mehr wollen dem Kindergarten den Rücken kehren, sollte sich an dieser Situation nichts ändern. Der schlechte Ruf dieses Berufes führt auch dazu, dass sich bereits jetzt die meisten Studienabgänger dafür entscheiden in die Grundschulen zu gehen und nicht in den Kindergarten (für beides wird dieselbe Ausbildung benötigt, Anm. d. R.). Als Gesellschaft tun wir keinen Gefallen, wenn vor allem in sozialen Netzwerken so negativ über die Arbeit im Kindergarten diskutiert wird.<BR /><BR /><i>Bevor Sie weiterlesen, stimmen Sie ab:</i><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="228383" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><b><BR />STOL: Wie können wieder mehr Menschen für die Arbeit im Kindergarten gewonnen werden?</b><BR />Wellenzohn: Schnelle Lösungen zu finden, ist ein großes Problem. Wir wissen seit 2017 Zeit, dass wir auf ein immenses Problem beim Personal zusteuern. Dagegen ist weder von der Politik noch von der Verwaltung etwas unternommen worden. Jetzt ist es schon zu spät. Meine große Sorge ist also, wie wir in Zukunft überhaupt noch die Stellen besetzen sollen. Solche Diskussionen, wie wir sie derzeit erleben, sind kein auch positives Signal für junge Menschen, um sich für die Arbeit mit Kindern zu entscheiden.<BR /><BR /><b>STOL: Der Bedarf an einer erweiterten Kinderbetreuung auch in den Sommermonaten scheint dennoch hoch zu sein, auch wenn dem Kindergarten dafür die Mittel fehlen. Gibt es eine Alternativlösung?</b><BR />Wellenzohn: Teilweise werden hier Forderungen gestellt, die fernab der Realität sind. Wir hören vor allem von Müttern, dass ihre Kinder durchgehend von derselben Bezugsperson betreut werden sollen. Diese Forderung kann aber von vornherein nicht gestellt werden. Die Kinder werden um 7.30 Uhr abgegeben und teilweise erst nach 17 Uhr wieder abgeholt. Soll also eine einzige Kindergärtnerin die Betreuung über 10 Stunden und mehr übernehmen und das über das ganze Jahr hindurch? Deswegen ist die gesamte Gesellschaft gefordert, einen Weg zu finden, der eine optimale Verbindung von Beruf und Familie ermöglicht. Immer mehr Kindergärten öffnen am Nachmittag für Vereine und Genossenschaften. Das ist eine gute und schnelle Lösung, um auf das akute Problem einzuwirken. Langfristig braucht es aber bessere Lösungen. Das Problem bleibt immer dasselbe: Wir finden keine Leute. Das können wir nicht schönreden und müssen uns dieser Herausforderung stellen.<BR /><BR /><b>Alle Artikel zur Diskussion um die Verlängerung des Kindergartens auf 11 Monate, <a href="https://www.stol.it/tag/11%20Monate%20Kindergarten" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">finden Sie hier.</a></b>