Ihre Grundpfeiler bedroht, ein Kampf an vielen Fronten, eine gnadenlose Welt: Das Szenario, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern vor dem Europäischen Parlament gezeichnet hat, war ein düsteres. S+ hat den Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann nach seiner Meinung zu von der Leyens Einschätzung gefragt.<BR /><BR /><b>Herr Dorfmann, Ursula von der Leyen hat die EU auf einen Kampf eingeschworen. Sehen Sie die Weltlage auch so dramatisch?</b><BR />Herbert Dorfmann: Über Jahrzehnte haben wir gut damit gelebt, dass die internationale Zusammenarbeit funktioniert hat. Und wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, die ins Auge gefassten Ziele realistisch anpeilen zu können.<BR /><BR /><b>Wo muss man da ansetzen?</b><BR />Dorfmann: Die Kommissionspräsidentin hat ein paar wichtige Punkte angesprochen, darunter eine starke europäische Verteidigungsordnung und Schutzschilde nach Osten. Auch die Abschaffung der Einstimmigkeit in der EU-Außenpolitik wäre ein wichtiger Schritt.<BR /><BR /><b>Qualifizierte Mehrheiten würden die EU jedenfalls handlungsfähiger machen.</b><BR />Dorfmann: Genau. Wenn die EU-Außenbeauftragte die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten zu einem Thema braucht, ist dieses schon wieder aus der weltpolitischen Agenda verschwunden, sobald sie die Zustimmung hat. <BR /><BR /><b>In Sachen Gaza hat Ursula von der Leyen jedenfalls schon einmal deutlich Position bezogen.</b><BR />Dorfmann: Das hat sie, und zwar wohl auch, um die linken Fraktionen im Parlament bei Laune zu halten. In der Sache stimme ich der Kommissionspräsidentin durchaus zu. Die Situation in Gaza ist nicht mehr tragbar. Die Marschrichtung von der Leyens wäre eine radikale Abkehr von dem, was wir als Europa bisher gemacht haben. Es ist das erste Mal, dass die Europäische Union sich in aller Deutlichkeit gegen die Regierung in Israel stellt und mit Sanktionen droht.<BR /><BR /><b>Neben der Geopolitik hat sich von der Leyen ausgiebig mit der Wettbewerbsfähigkeit Europas beschäftigt ...</b><BR />Dorfmann: … und zig neue Projekte und Initiativen angekündigt. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, für eine vernünftige Marktwirtschaft zu sorgen und Unternehmen arbeiten zu lassen. Das heißt: Nur ist es bis dato bei Lippenbekenntnissen geblieben. <BR /><BR /><b>Und in Sachen Lebensmittel?</b><BR />Dorfmann: Was die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit betrifft, liegt derzeit einiges im Argen – ein völlig unbefriedigender Finanzvorschlag für die Agrarpolitik etwa. Leider hat sich die Kommissionspräsidentin in diesem Bereich nicht bewegt. Ich hätte mir mindestens ein, zwei Zusagen erwartet, das war aber eine Nullnummer.<BR /><BR /><b>Gilt das auch für die Migration?</b><BR />Dorfmann: Nein. Es ist wichtig, dass die EU-Rückführungsverordnung so schnell wie möglich umgesetzt wird. Zum Glück ist der zuständige österreichische Kommissar Markus Brunner sehr aktiv. Schließlich erwarten sich die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass der Rechtsstaat auch in Sachen Migration wiederhergestellt wird.<BR /><BR /><b>„Wiederherstellen“: Ist das auch die Losung, wenn es um die Demokratie geht?</b><BR />Dorfmann: Wir sehen deutlich, wie die Demokratie auch in Europa systematisch unterwandert wird. Hier Regelungen zu finden, auch für die klassischen und neuen Medien, wie sie von der Kommissionspräsidentin angesprochen wurden, ist notwendig, damit Populisten mit Hilfe gut gemachter Kommunikation und Fake News nicht die Überhand gewinnen. Dass die Schaffung neuer Institute aber der richtige Weg dafür ist, halte ich für mehr als fraglich.<BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>