Im Interview spricht der deutsche Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) über Clint Eastwood, warum alles anders bleiben muss und wieso guter Wille alleine dafür nicht reicht.<BR /><BR /><b>Ihr neues Buch „Alles muss anders bleiben“ beginnt mit der Frage „Wieso Clint Eastwood?“ Dessen Porträt hing in Ihrem Büro im Bundestag. Also: Wieso Clint Eastwood?</b><BR />Jürgen Trittin: Der Italo-Western der 1960er hat den klassischen amerikanischen Western uminterpretiert – und mit einer politischen Botschaft versehen. Clint Eastwood alias Joe ist in „Für eine Handvoll Dollar“ ein Auftragskiller, der seinen Lohn nicht bekommt. Er ist kein Guter. Um an sein Geld zu kommen, befreit er das Dorf von zwei Gangsterbanden. Er hat ein egoistisches Motiv – aber er schafft etwas Gutes, indem er handelt und Strukturen verändert. Es zeigt: Guter Wille allein reicht nicht.<b><BR /><BR />Das könnte so auch für den Klimaschutz gelten? Sie schreiben in Ihrem Buch an einer Stelle: „Die Idee ,Wenn wir alle Leute überzeugen, dann funktioniert das neue System, ist naiv‘“. </b><BR />Trittin: Auf mich würde ich das nicht münzen. Als wir 1998 die erste rot-grüne Mehrheit im Bund auf die Beine gestellt haben, haben wir gehandelt. Wir haben in den folgenden Jahren den Atomausstieg und den Einstieg in die erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung eingeleitet. Mein Ziel war damals ein Anteil der Erneuerbaren von 20 Prozent an der deutschen Stromproduktion bis 2020. Man hat mir entgegengehalten, das sei grüne Ökoträumerei und technisch gingen nie mehr als acht Prozent. Wir haben unser Ziel schon 2012 erreicht, und heute liegt der Anteil bei über 60 Prozent. Wir haben Strukturen verändert und das Oligopol der vier großen Energieerzeuger gebrochen. Aber genau daran kann man auch sehen, warum Überzeugung alleine eben nicht ausreicht: Es zeigt sich, dass die fossile Lobby ihren Widerstand gegen den Klimaschutz jenseits der Stromerzeugung eben nicht aufgegeben hat. Und gerade aktuell scheinen die fossilen Verliererbranchen wieder einen guten Zugang ins Wirtschaftsministerium zu haben. <BR /><BR /><b>Sie sagen: Anstatt mit bei den Vorreitern zu sein, bremst die Wirtschaft, um hinterherzuhinken?</b><BR />Trittin: Nehmen wir die Automobilindustrie in Europa als Beispiel. Derzeit versucht sie, das Aus für den Verbrennermotor weiter nach hinten zu verschieben, angeblich weil man mit den Verbrenner-Gewinnen die Umstellung auf die E-Auto-Produktion bezahlen will. Das haben sie vor zehn Jahren auch schon gesagt. Tatsächlich wurde nicht in bezahlbare E-Autos investiert, sondern Milliardenbeträge an Dividenden ausgekehrt. Doch den Siegeszug der E-Autos wird das nicht aufhalten, es wird nur dazu führen, dass wir in Europa dann eben E-Autos aus China fahren. Ein anderes Beispiel, wie der Zug an uns vorbeigefahren ist, ist die Produktion von Photovoltaikanlagen. Als ich Bundesumweltminister war, boomte der Sektor bei uns. Dann kam Schwarz-Rot und der Solardeckel [Beschränkung des Photovoltaik-Ausbaus auf 52 Gigawatt, EEG-Novelle 2011; Anm. D. Red.] und die gesamte deutsche Produktion ist zusammengebrochen. Heute hat China ein de-facto-Monopol. Und Lobbyinteressen haben zuletzt auch Robert Habecks Heizungsgesetz verzögert. <BR /><BR /><b>Wie ein roter Faden zieht sich der Begriff Gerechtigkeit – oder das Gegenstück, die Ungerechtigkeit – durch Ihr Buch, zum Beispiel wenn es um die Teilhabe an Demokratie, die globale und nationale Reichtumsverteilung oder die Auswirkungen der Klimakrise geht. Der Antrieb der Grünen-Gründer sei ein auf Gerechtigkeit fokussierter Ökologiebegriff und ein auf Ökologie fokussierter Gerechtigkeitsbegriff gewesen, schreiben Sie. Klingt gut, dennoch tut sich Grüne Politik nicht nur bei der Wirtschaft schwer, sondern zuletzt auch bei den Wählern. </b><BR />Trittin: Wo die Grünen im politischen Spektrum stehen, steht außer Frage. Ökologie muss dem Markt einen Rahmen geben, das gilt als links. Dennoch hat sich die Perzeption der Grünen geändert. Lange Zeit konnten wir davon ausgehen, dass Klimaschutz breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Die Stoßrichtung rechter, offen faschistischer Bewegungen gruppiert sich global gesehen aktuell in drei Elemente: gegen Menschen anderer Herkunft, gegen die queere Community und gegen den Klimaschutz. Auf rechte Mobilisierungsthemen lässt sich aber nicht mehr mit dem Verweis auf den gesellschaftlichen Konsens antworten. Damit tun wir uns schwer und müssen uns selber verändern. Wir müssen heute sicher härter sein als in den vergangenen Jahren.<BR /><BR /><b>Bleiben wir beim Begriff der Gerechtigkeit, der für Sie frei jeglicher Sozialromantik kein Selbstzweck ist?</b><BR />Trittin: Sie ist in der Tat kein Selbstzweck. Es geht mir gerade nicht darum, zu moralisieren. Gerechtigkeit hält Gesellschaften zusammen, fehlt sie, fallen Gesellschaften auseinander. Unsere westliche Gesellschaft spaltet sich zunehmend und die Schere klafft immer weiter auseinander zwischen einer Art Parallelgesellschaft völlig abgehobener Superreicher, die diesen Reichtum meist einfach vererbt bekommen haben, einerseits und echter Armut andererseits. Die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard ist heute aktueller denn je. Dabei sprechen sich selbst wirtschaftspolitische Studien gegen zu viel Ungleichheit aus. Im Gegenteil: Mehr Gleichheit schafft mehr Wohlstand. Konzentrierter, gehorteter Reichtum hingegen entzieht dem Konsum Geld. <BR /><BR /><b>Wie sehen denn Grüne Lösungen aus?</b><BR />Trittin: Der Staat muss hier schon die Herausforderung annehmen, Anhäufung von großen Vermögen ein Stück weit auch zu begrenzen. Deutschland etwa ist eine Steueroase für Vermögen, die Vermögenssteuer ist seit 1997 ausgesetzt. In meinem Buch greife ich die Idee von Anthony Atkinson „Erben für alle“ beim 18. Geburtstag auf, die über die Erbschaftsteuer finanziert werden könnte. Sagen wir 20.000 Euro für jeden jungen Menschen als eine Art Anfangsfinanzierung etwa fürs Studium oder als Hilfe bei der Wohnung. Das würde ein Stück mehr Gleichheit, mehr Chancengerechtigkeit bedeuten. Ich denke, Reichen ist es zuzumuten, von ihrem leistungslosem Einkommen etwas abzugeben, statt alles steuerfrei in das nächste Aktienpaket zu stecken.<BR /><BR /><b>In Deutschland diskutiert man stattdessen aber lieber über das Bürgergeld ... </b><BR />Trittin: Mit der Finanzkrise 2007/2008 hat ein Teil der Gesellschaft den Gerechtigkeitsbegriff für sich neu definiert. Gerechtigkeit ist nicht mehr, wenn alle die gleichen Chancen haben, sondern, wenn es Menschen gibt, denen es schlechter geht als einem selbst. Das ist übrigens kein deutsches, sondern ein globales Phänomen. Es geht dann nicht mehr um eine bessere Zukunft für alle, sondern darum, den eigenen Status, den man in Gefahr sieht, nach unten abzusichern. Zusätzlich befeuert wird das von Faschisten wie Neoliberalen, die gleichermaßen den Staat, dessen Aufgabe es wäre, Gesellschaft gerecht zu gestalten, verächtlich machen. Zeitungen wie die „Bild“ tragen diese Kampagne mit, der politische Konsens rutscht nach rechts. Es muss als Versagen der Parteien der linken Mitte gewertet werden, dass sie dem Neoliberalismuskurs nicht entschieden genug entgegengetreten sind. <BR /><BR /><b>Spätestens seit der Wahlkampfhilfe eines Elon Musk für die AfD ist ein Schulterschluss dieser Strömungen offenkundig. Müssen wir uns Sorgen machen um die Demokratie?</b><BR />Trittin: Wir erleben gerade in den USA, einst Demokratie-Vorreiter und Vorbild für viele Staaten, wie schnell eine demokratische Gesellschaft Richtung Autokratie ins Rutschen geraten kann. <BR /><BR /><b>Kommen wir zurück zu Klimawandel, Energiewende und Ihrer Rolle als Bundesumweltminister. Unter Ihnen wurde nicht nur das Atomausstiegsgesetz verabschiedet, sondern auch das bereits angesprochene Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, das als „Herzstück der rot-grünen Energie- und Klimapolitik“ gilt, das aber in der Ära Merkel wesentliche Veränderungen erfahren hat. Eine Erfolgsgeschichte – mit oder ohne Happy End?</b><BR />Trittin: Das EEG bleibt trotz aller Bremsversuche ein Erfolg und wurde mittlerweile von 100 weiteren Ländern übernommen. Wie gesagt, wir waren mit dem Ziel gestartet, bis 2020 ein Fünftel des Stroms aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Schon 2012 war das geschafft und heute liegt der Anteil bei zwei Dritteln. Wir haben allerdings das Problem, dass es kein wirkliches europäisches, tragfähiges Stromnetz gibt. Ein neues Netz müsste jetzt gebaut werden, das den Anforderungen einer volatilen Grundlast – Wind und Sonne sind ja nicht konstant verfügbar – gerecht wird und Vorstellungen neuer Marktmodelle aufnimmt: Über Batterien und Wasserstoff lässt sich Strom speichern. Das sind die Herausforderungen, die jetzt in Europa vor uns liegen. Die erneuerbaren Energien sind nicht mehr aufzuhalten. Neben dem Ausstieg aus der Atomenergie war unser Ziel damals, mit dem Emissionshandel die fossilen Kraftwerke aus dem Markt zu drängen. Wir haben uns gegen massiven Lobbydruck durchgesetzt. Jetzt zeigt er Wirkung. Und die Entwicklung wird weitergehen, bis alle Gas- und Kohlekraftwerke stillstehen. <BR /><BR /><b>Reden müssen wir zu guter Letzt auch über den neuen europäischen Emissionshandel, also die CO2-Bepreisung ...</b><BR />Trittin: ... und das Klimageld. Wir müssen im Bemühen, über einen höheren CO2-Preis klimaschützende Veränderungen insbesondere in den Bereichen Verkehr und Gebäudeausbau zu erreichen, auch Sorge tragen, dass diejenigen, die ihren CO2-Eintrag nicht beeinflussen können oder zu arm sind, zu investieren, nicht unter die Räder kommen. Und gerade deswegen ist es so katastrophal, dass das Klimageld nicht umgesetzt wurde. Bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel war die FDP noch dafür – später hat sie geblockt. Die aktuelle CDU/SPD-Regierung weiß nicht, ob sie es einführen will. <BR /><BR /><b>Wie erklären Sie sich den Schwenk der FDP?</b><BR />Trittin: Wenn Bürger Klimaschutzmaßnahmen als Zumutung erleben, sinkt die Akzeptanz. Das war von der FDP beabsichtigt – nicht ohne Hintergedanken.<BR /><b><BR />Klimaschutz, dessen Lasten ökonomisch als ungerecht verteilt empfunden werden, ist das eine. Haben Sie auch Verständnis, wenn Bürger das Gefühl haben, die Verantwortung für den Klimaschutz werde ebenfalls sozial ungerecht verteilt? Vom viel zitierten Otto Normalverbraucher und -verdiener wird erwartet, dass er dem Klima zuliebe auf Flugreisen verzichtet, Öffis und den Drahtesel benutzt statt das eigene Auto, den Fleischkonsum zumindest reduziert, Kleidung Secondhand kauft und zum Heizen eine Wärmepumpe nutzt – und dann fliegt Katy Perry zum Spaß mal schnell ins Weltall ...</b><BR />Trittin: Ja, natürlich. Aber eben deswegen bin ich gegen eine moralische Argumentation beim Klimaschutz und plädiere für eine Politik, die die Vorteile einer Transformation greifbar macht. Unser Start mit den Erneuerbaren Energien war so erfolgreich, weil alle etwas davon gehabt haben. Für den Verkehr heißt das: Was hat man von einer Stadt, in der man bequem unterwegs sein kann, ohne im Stau zu stehen. Mit dem Einbau einer Wärmepumpe muss man unterm Strich Geld einsparen, weil man nicht so viel Geld für teures Öl und Gas ausgibt. Das ist auch der Grund, warum wir darüber reden müssen, wie durch ein Klimageld die Lasten gerecht verteilt werden. Und auch der Emissionshandel, der ja den CO₂-Ausstoß verteuert, schafft genau hier einen gerechten Ausgleich. Es ist eine einfache Idee und eine einfache Praxis: Die obere soziale Schicht verbraucht mehr, also zahlt sie über den hohen Verbrauch mehr. In meinem Buch ist diesem wichtigen Instrument ein ganzes Kapitel gewidmet. <BR /><BR /><b>Apropos Buch: Am 31. Juli stellen Sie es auch in Südtirol vor. Wie ist es dazu gekommen?</b><BR />Trittin: Ich sitze mit Rudi Rienzner unter anderem im Beirat des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM). Darüber hat sich eine Freundschaft gebildet und seiner Anregung, das Buch auch in Südtirol vorzustellen, bin ich gerne nachgekommen.<BR /><BR /><b>Herr Trittin, ich bedanke mich für das Gespräch.</b>