Dabei wird klar, dass gerade heute der Austausch von Argumenten und die Fähigkeit zum Kompromiss wichtiger denn je sind. <BR /><BR /><b>Herr Frenzel, dass etwas mit unserer Streitkultur im Argen liegt, können wohl die meisten Menschen nachvollziehen. Warum aber sind die Debatten defekt, um Ihren Buchtitel zu zitieren?</b><BR />Korbinian Frenzel: Es kommen hier mehrere Dinge zusammen. Am besten fasst man das Phänomen wohl mit der Feststellung zusammen, dass unsere Gesellschaft insgesamt dünnhäutiger geworden ist. Mehrere Krisen finden gleichzeitig statt, es gibt kaum noch Verschnaufpausen, und das überträgt sich auf die Menschen. Viele neigen dazu, schärfer zu reagieren und nicht mehr offen gegenüber anderen Meinungen zu sein. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1130550_image" /></div> <BR /><b>Wenn wir derzeit die Koalitionsgespräche in Österreich oder den Wahlkampf in Deutschland verfolgen, dann bleibt hängen: Schuld sind immer die anderen. Gibt es aus diesem Reflex einen Ausweg?</b><BR />Frenzel: So ist es. Die Parteien sind sich einig, dass es nicht so sein sollte und kommen zu ähnlichen Aussagen, was sich in der politischen Diskussionskultur ändern sollte: Zuhören und sich auf Argumente einlassen anstatt pauschal alles abzulehnen. In der Theorie sind wir dabei alle sehr gut, in der Praxis hingegen wird der Finger immer auf die anderen gezeigt. Die Formel könnte hingegen lauten: Erst dann tut sich etwas, wenn es weh tut. Richtiges Zuhören ist auch mit einer Art Grenzüberschreitung bzw. mit der Grundhaltung verbunden: Was wäre, wenn der andere recht hätte? <BR /><BR /><b>Wäre das eine Handlungsanleitung für besseres und klügeres Streiten? Gibt es weitere?</b><BR />Frenzel: Ja, es gibt dazu noch viele Vorschläge und Ideen. Einerseits geht es darum, zu schauen, was jeder Einzelne beitragen kann. Andererseits leben wir auch in einer medialen Welt mit schwierigen Strukturen. Dazu tragen die digitalen Medien bei, denn dort werden die lauten, schrillen und extremen Inhalte belohnt. Das wird durch unser Nutzungsverhalten angetrieben, aber auch durch die Algorithmen unterstützt. Wenn man sich auf sachlicher Ebene mit einer gegensätzlichen Position einlässt, so ist das auch anstrengend. Man muss sich mit Argumenten beschäftigten.<BR /><BR /><b>Eine konstruktive Streitkultur ist also anstrengend, vor allem heutzutage in einer Gesellschaft, die zunehmend diverser und vielschichtiger wird. Inwiefern lohnt sie sich aber?</b><BR />Frenzel: In jedem Fall lohnt sie sich. Gerade weil die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht diverser wird, sei es was die politischen Einstellungen oder die Herkunft der Menschen angeht, müssen wir lernen, besser zu streiten als das früher der Fall war. Denn diese Frage taucht auch immer auf: War es früher besser? <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1130553_image" /></div> <BR /><b>Und was sagen Sie dann? War es tatsächlich besser?</b><BR />Frenzel: Oft heißt es, früher hatten die Debatten mehr Niveau. Die Erinnerung ist hierbei oft etwas trügerisch. Gewiss war die Debatte einfacher, weil das Leben übersichtlicher war. Gerade weil wir heute eine so große Unübersichtlichkeit haben, sollten wir besser und klüger streiten.<BR /><BR /><b>Weil sonst die Gefahr einer noch größeren Polarisierung besteht?</b><BR />Frenzel: Wir sehen in den USA, dass sich Menschen mit unterschiedlicher politischer Gesinnung möglichst aus dem Weg gehen. Ich habe den Eindruck, dass das europäische Ideal von Gesellschaft noch ein anderes ist und dass man hier noch mehr Begegnungspunkte hat. Man kommt nicht immer zu einer gemeinsamen Meinung, aber doch zu gemeinsamen Ergebnissen, die letztlich von allen akzeptiert werden, auch von den Unterlegenen. Gerade das ist ein wichtiges Prinzip einer funktionierenden Demokratie: Es soll nicht darum gehen, nur die eigenen Vorstellungen durchzusetzen, sondern der Meinungsprozess beruht auf der Grundlage, dass auch die Unterlegenen sich in ihren Positionen und Meinungen berücksichtigt fühlen. Mehrheitspositionen achten auf Minderheitspositionen. Das ist ein Ideal, das wir hochhalten sollten und das voraussetzt, dass wir wertschätzend und offen miteinander diskutieren.<BR /><BR /><b>Nun gibt es genug Akteure, die gezielt die Gesellschaft spalten wollen und das Ringen um die besten Ideen in der Demokratie schwächen wollen. Wie kann man damit umgehen?</b><BR />Frenzel: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. In der Tat gibt es immer mehr Debattenteilnehmer, die nicht an Lösungen interessiert sind, sondern an der Eskalation. Ich würde hier auf die Vorbildfunktion von guten Debatten hoffen. Wenn wir gut und konstruktiv miteinander streiten, dann entsteht daraus etwas Produktives und es gibt eine Weiterentwicklung. Das drängt populistische Kräfte zurück.<BR /><BR /><b>Fallen Ihnen Beispiele ein?</b><BR />Frenzel: Im Prinzip könnte man hierbei unterschiedliche Politikertypen aufzählen. Mir fällt etwa der ehemalige US-Präsident Barack Obama ein, der sehr wohl polarisiert hat, aber immer für den Blickwinkel der anderen Seite geworben hat. Oder schauen wir derzeit auf den österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Er ist ein gutes Beispiel für eine Moderation in schwierigen politischen Zeiten, denn seine eigene klare politische Meinung stellt er nach hinten, um mit der Regierungsbildung voranzukommen.<BR /><BR /><b>Sie werden am heutigen Montag in Bozen bei einer Podiumsdiskussion der „Büchwelten“ mitwirken. Was verbindet Sie mit Südtirol?</b><BR />Frenzel: Ich freue mich auf Südtirol, vor vielen Jahren war ich einmal zum Skifahren in Sexten. Mich verbinden aber insofern wunderbare Erinnerungen mit Südtirol, weil mein mittlerweile verstorbener Vater in den Nachkriegsjahren häufig dort war zum Wandern. Später, als wir für so manchen Familienurlaub mit dem Zug in Bozen einfuhren, erklärte er uns immer wieder die erstaunliche Entwicklung Südtirols. Es handle sich um ein Paradebeispiel, wie man einen lange schwelenden Konflikt befriedet. Damals hätte man sich kaum vorstellen können, dass aus Südtirol mal ein so wunderbares und auch wohlhabendes Stück Land werden könne. Diese Erinnerungen verbinde ich ganz stark mit Südtirol.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Hinweis:</b> Korbinian Frenzel sowie Buchautor Tareq Sydiq sind Gäste der Diskussionsrunde „Reden – streiten – protestieren“, die heute um 18 Uhr im Bozner Waltherhaus stattfindet. Es handelt sich um eine Veranstaltung im Rahmen der „Bücherwelten“.