<b>von Senem Aydın-Düzgit, Professorin für Internationale Beziehungen an der Sabancı -Universität und Direktorin des Istanbul Policy Center</b><BR /><BR />Der heftige Angriff von US-Präsident Donald Trump auf US-Institutionen in den letzten neun Monaten ist ein äußerst unheilvolles Symptom des weltweiten Niedergangs der Demokratie. Trump hat sich jedoch lediglich einen Prozess zunutze gemacht, der bereits vor seiner Rückkehr ins Weiße Haus in vollem Gange war.<h3>Ursachen des weltweiten Demokratierückgangs</h3>Mehrere Faktoren haben zu diesem weltweiten Rückzug der Demokratie beigetragen. Autoritäre Regime festigten ihre Macht durch die Verschärfung ihrer Kontrollmethoden, von Wahlmanipulationen und digitaler Überwachung bis hin zu Manipulationen im rechtlichen und institutionellen Bereich. <BR /><BR />Darüber hinaus unterstützen sich Autokraten oft gegenseitig in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, wie die engen Beziehungen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen. Und die Unzulänglichkeiten einiger renommierter Demokratien – nicht zuletzt der Vereinigten Staaten – haben das Modell wohl weniger attraktiv gemacht.<BR /><BR /><BR />Oft übersehen wird jedoch, in welcher Weise tiefgreifende Veränderungen der internationalen Ordnung autoritäre Regime stärken. In der zunehmend multipolaren Welt von heute erweist sich die steigende Zahl regionaler geopolitischer Konflikte als Glücksfall für kompetitive autoritäre Systeme, in denen zwar Wahlen abgehalten werden, die politischen Spielregeln jedoch zugunsten dieser Systeme verzerrt sind.<h3> Ungarn: Orbán nutzt den Krieg für seine Macht</h3>Ein Paradebeispiel ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der dazu beigetragen hat, die innenpolitische Legitimität des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Vorfeld entscheidender Wahlen zu stärken.<BR /><BR />Die russische Invasion in der Ukraine ereignete sich etwas mehr als einen Monat vor den Parlamentswahlen in Ungarn am 3. April 2022. Orbán hämmerte der Wählerschaft die Botschaft ein, nur er könne Ungarn schützen. Im Gegensatz zur Opposition, die von Orbán als rücksichtslose Kriegstreiber dargestellt wurde, weil sie die Verteidigung der Ukraine unterstützen wollte, versprach er, Ungarn vor dem Krieg zu bewahren.<BR /><BR />Von Meldungen regierungsfreundlicher Medien bombardiert, sahen viele Menschen in Ungarn Orbán als Garant des Friedens – selbst Anhängerinnen und Anhänger der Opposition befürchteten, ein Regierungswechsel könnte Ungarn in den Konflikt hineinziehen.<h3> Propaganda und Machtspiele in Brüssel</h3>Orbán nutzte den Krieg auch in Brüssel und drohte, die Bemühungen der Europäischen Union zur Unterstützung der Ukraine zu blockieren, sollte die Europäische Kommission die eingefrorenen Gelder für Ungarn nicht freigeben. Im eigenen Land stellte er dies als Triumph über die europäischen Eliten dar, die darauf aus seien, „ungarisches Geld für die Ukraine auszugeben“.<BR /><BR />Regierungsnahe ungarische Medien griffen die Darstellung des Kremls auf und machten die EU-Sanktionen – und nicht die Invasion Russlands – für die wirtschaftlichen Probleme Ungarns verantwortlich. Orbáns Fidesz-geführte Koalition gewann zwei Drittel der Parlamentssitze, behielt ihre qualifizierte Mehrheit im Parlament und festigte damit Orbáns Machtposition.<h3>Türkei: Erdogan inszeniert sich als Garant der Stabilität</h3>Eine ähnliche Dynamik vollzog sich in der Türkei. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 betonte Erdogan seine persönliche Diplomatie im Ukraine-Krieg und hob dabei das Schwarzmeer-Getreideabkommen hervor. Gegen einen einzigen von einem breiten Oppositionsbündnis unterstützten Herausforderer stellte sich Erdogan als der einzige Anführer dar, der in der Lage sei, die Türkei aus dem Konflikt herauszuhalten und gleichzeitig ihren globalen Einfluss zu stärken.<BR /><BR />Regierungsnahe Medien warnten, dass ein Sieg der Opposition eine vollständige Ausrichtung auf die Kriegsbestrebungen des Westens bedeuten würde. Das Rennen war knapp und erforderte eine Stichwahl, aber Erdogan setzte sich durch.<h3> Wirtschaftliche Vorteile durch Nähe zu Russland</h3>Auf wirtschaftlicher Ebene nutzte Erdogan die Weigerung der Türkei, westliche Sanktionen zu mitzutragen: Der Handel mit Russland stieg sprunghaft an, russische Touristen und Unternehmen strömten in das Land, und der Kreml gewährte der Türkei Aufschub für Gaszahlungen in Millionenhöhe. Auch der russische Staatskonzern Rosatom überwies Milliarden für den Bau des Kernkraftwerks Akkuyu – kurz vor der Wahl eingeweiht.<BR /><BR />All dies trug dazu bei, den wirtschaftlichen Druck zu verringern, der durch Erdogans unorthodoxe Politik entstanden war. So konnte er sich als unentbehrlich für den Wohlstand der Türkei darstellen.<BR /><BR />Darüber hinaus werden türkische Drohnen, die auf den ukrainischen Schlachtfeldern zum Einsatz kommen, als Symbole für Nationalstolz und technologische Kompetenz gefeiert. Die militärische Unterstützung der Türkei für Aserbaidschan im Krieg um Bergkarabach 2020 trug ebenfalls zur Stärkung von Erdogans innenpolitischer Legitimität bei.<h3> Drei Lehren aus den Fällen Ungarn und Türkei</h3>Die politischen Entwicklungen in Ungarn und der Türkei nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lassen drei Lehren zu:<BR /><BR />Erstens: Internationale Krisen legen nicht unbedingt die Schwächen eines autoritären Regimes offen, sondern können ebenso Gelegenheiten schaffen, dessen Macht zu festigen.<BR /><BR />Zweitens: Die öffentliche Haltung ist entscheidend – eine gespaltene Gesellschaft lässt sich leichter manipulieren.<BR /><BR />Drittens: Auch externe Akteure wie Russland tragen mit finanzieller und propagandistischer Unterstützung zum Machterhalt autoritärer Systeme bei.<h3> Fazit: Multipolare Welt stärkt Autokraten</h3>Ungarn und die Türkei dienen als Mahnung, dass veränderte globale Dynamiken das Überleben kompetitiver autoritärer Regime begünstigen können. Da sich die Welt in Richtung Multipolarität bewegt und Mittelmächte an Einfluss gewinnen, werden regionale Konflikte wohl zunehmen – und Autokraten durch diese Krisen eher gestärkt als geschwächt.