Die Landtagswahlen 2023 haben in Südtirol zumindest ein mittleres politisches Erdbeben ausgelöst. Die SVP hat einen historischen Tiefpunkt erreicht, während die Süd-Tiroler Freiheit einen historischen Höhenflug erlebt. Das Team K ist auf dem Boden der Realität gelandet, für die Grünen ist der erhoffte Ausschlag nach oben ausgeblieben. Überraschend schwach schnitten die italienischen Parteien ab, überraschend stark hingegen das Lager der Corona-Kritiker. 12 Parteien werden im neuen Parlament vertreten sein und die Regierungsbildung dürfte schwieriger denn je werden. <BR /><BR />Dafür sind wir verantwortlich. Wir - 277.124 Wählerinnen und Wähler, die am vergangenen Sonntag zwischen 7 und 21 Uhr ihre Stimme abgegeben haben. Doch was bedeutet dieses Wahlergebnis jenseits der Parteipolitik und der persönlichen Abschneiden der Kandidaten für uns Wähler? Und was sagt es über die Südtiroler Wählerschaft aus? Begeben wir uns auf die Suche nach einigen Antworten.<h3> Wähler wollten Erneuerung – und bekommen sie</h3>Eine Botschaft haben die Wähler bei dieser Landtagswahl ganz deutlich an die Politik gerichtet: „Kein weiter so – wir wollen Erneuerung.“ Und genau die haben die Wähler auch bekommen – in mehrfacher Hinsicht.<BR /><BR />Die Regierungsmannschaft der SVP und Lega wurde bei dieser Wahl abgestraft. Durch die Bank gab es für Landeshauptmann und Landesräte starke Verluste bei den Vorzugsstimmen. Gleich 3 Landesräte (Massimo Bessone, Giuliano Vettorato und Maria Hochgruber Kuenzer) und die Landtagspräsidentin Rita Mattei verpassten die Wiederwahl. Stark abgeschnitten haben innerhalb der SVP hingegen Newcomer (Hubert Messner, Pater Brunner, Luis Walcher oder Rosmarie Pamer). Das Signal der Wähler ist klar: Wir wollen neue Gesichter in tragenden Rollen. Diese Botschaft dürfte und sollte bei der Bildung der neuen Landesregierung berücksichtigt werden.<BR /><BR />Apropos Landesregierung: Südtirol wird nach dieser Landtagswahl eine Landesregierung bekommen, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Erstmals muss die SVP ihren Alleinvertretungsanspruch für die deutsche Sprachgruppe aufgeben und mindestens eine – vielleicht sogar 2 - weitere deutsche Parteien mit ins Boot holen. Die Bildung einer neuen Landesregierung wird dadurch sicherlich schwieriger als in der Vergangenheit. Schließlich muss die SVP einen Teil ihrer Macht abgeben. Echte Kompromisse müssen wohl mühsam gesucht und hoffentlich auch gefunden werden. Darin liegt aber auch eine Chance für mehr Demokratie und Ideenpluralismus in Südtirol. Mehr Bürger aus unterschiedlichen Lagern dürften sich von so einer künftigen Regierung vertreten fühlen. Und auch die SVP kann davon profitieren, wenn sie nicht mehr die gesamte Regierungslast auf ihren Schultern tragen muss: Erstmals steht auch eine der Oppositionsparteien in der Pflicht und wird dem Land ihren Stempel aufdrücken. Und vielleicht verleiht eine solche Zusammenarbeit der geschwächten SVP sogar ungeahnte neue Kräfte.<BR /><BR />Und apropos neue Gesichter: Davon gibt es 15 im Landtag – 12 Abgeordnete haben die Wähler hingegen nach Hause geschickt. Völlig neu ist auch die Zusammensetzung des Südtiroler Landtages: 12 Parteien sind künftig darin vertreten. So viele wie noch nie zuvor. 4 davon hatten bislang noch keinen Sitz im Hohen Haus. In Sachen Kompromissfindung wird das in der kommenden Legislaturperiode mitunter für Schwierigkeiten sorgen, die Debattenkultur wird aber sicher belebt, wenn mehr unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen im Landtag vertreten sind. Der Landtag könnte in Zukunft als Ort der echten Auseinandersetzung wieder an Bedeutung gewinnen.<h3> Die Mitte als großer Verlierer</h3>In der vergangenen Woche wurde viel darüber geschrieben, wer denn nun der große Verlierer dieser Wahl sei. Ist es die gesamte SVP? Ist das Duo Achammer-Kompatscher an der Spitze der SVP? Sind es die italienischen Parteien, die deutlich schlechter abgeschnitten haben, als erwartet? Darüber lässt sich streiten. <BR /><BR />Verloren hat bei dieser Wahl auf jeden Fall die Mitte: Die SVP und das Team K mussten mehr oder weniger drastische Verluste hinnehmen, die Widmann-Liste – die der Spitzenkandidat immer wieder als Kraft der Mitte beworben hatte – blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Wirklich zugelegt haben in der Wählergunst nur Parteien an den Rändern: Links sind es die Grünen, rechts sind es die Süd-Tiroler Freiheit und die Liste JWA.<BR /><BR />Das macht deutlich, was schon seit geraumer Zeit spürbar ist: Die Gesellschaft in Südtirol driftet zusehends auseinander. Auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen wird immer schwieriger. Das gilt nicht nur für die Parteien, die unterschiedliche politische Programme verfolgen, sondern auch für ihre Wählerschaft. In Zukunft wird es wichtig sein, dass wir bei aller Distanz nicht verlernen Kompromisse zu schließen, offen für andere Positionen zu bleiben und dass wir den Blick für das Verbindende schärfen, sonst wird unser Zusammenleben in Südtirol immer schwieriger.<h3> Populismus als Gewinner</h3>Während die Mitte als Verlierer dasteht, ist der Populismus der große Gewinner dieser Wahl. Damit reiht sich Südtirol in eine Entwicklung ein, die in ganz Europa zu beobachten ist. In Krisenzeiten, profitieren jene, die für komplizierte Probleme einfache Lösungen anbieten und den Wählern so das Gefühl geben, dass man sie ernst nimmt und dass ihre Sorgen gehört werden. Und es gewinnen jene, die lauthals gegen die politische Elite schimpfen, die diese Krisen zu bewältigen hatte.<BR /><BR />Das zeigt: Viele Menschen sind von den großen Herausforderungen und Problemen unserer Zeit überfordert. Sie wollen nicht hören, dass Südtirol als Teil eines großen Ganzen mit seiner Autonomie nicht alles alleine regeln kann. Sie wollen sich abschotten, die Augen vor globalen Krisen verschließen und sie wählen jemanden, der ihnen verspricht, sich um ihre Sorgen und Probleme zu kümmern. Meistens reicht dieses Versprechen allein, wie es umgesetzt werden soll, wollen viele dann schon gar nicht mehr wissen.<BR /><BR />Diese Entwicklung birgt Gefahren und hier muss die Politik in Zukunft gegensteuern. Indem sie ganz klar kommuniziert, was geht und was nicht geht. Wenn es ihr gelingt, populistische Versprechen zu entzaubern, dann gelingt es hoffentlich auch Unzufriedene vom Rand wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen.<h3> Der Corona-Stachel sitzt noch tief</h3>Die Corona-Pandemie spielt in unserem Alltag keine Rolle mehr. Für die meisten wirken Lockdown und das Tragen der Maske wohl längst wie ein ferner Albtraum. Bei der Wahlentscheidung war die Pandemie trotzdem ein wichtiger Faktor. <BR /><BR />Mit JWA, Vita und Enzian traten bei den Wahlen 3 Listen an, die Impfkritik und Aufarbeitung der Coronamaßnahmen zu einem zentralen Thema im Wahlkampf gemacht haben. JWA und Vita gelang der Einzug in den Landtag. Auch Kandidaten der Süd-Tiroler Freiheit verkündeten bei Podiumsdiskussionen vor den Wahlen stolz, nicht geimpft zu sein.<BR /><BR />Obwohl Corona aus dem Alltag verschwunden ist, polarisiert das Thema weiter. Die Pandemie hat einen Riss durch die Gesellschaft getrieben, der tiefer geht, als auf dem ersten Blick ersichtlich ist. Bestimmt nicht alle Wähler von JWA oder Vita aber zumindest gar einige von ihnen haben wir während der Pandemie verloren. Sie haben nicht mehr den selben Blick auf die Realität, stützen sich auf alternative „Fakten“ und wollen „das marode System abschaffen“. Dass mit diesem System unsere Demokratie gemeint ist, macht Angst. Die Politik muss in den kommenden Jahren alles dafür tun, damit sie nicht noch mehr Menschen verliert; damit alle das Gefühl haben, mitgenommen zu werden.<h3> Die Politikverdrossenheit ist groß</h3>Die Erfolge von JWA und Vita zeigen auch, dass die Politikverdrossenheit im Land groß ist. Mit einem Kreuz bei diesen Listen, haben 8,5 Prozent der Wähler „gegen die da oben“ gestimmt. <BR /><BR />Die Politikverdrossenheit zeigt sich auch in der Wahlbeteiligung, die 2023 erneut gesunken ist: von 73,9 Prozent auf 71,5 Prozent. Vor allem die italienische Sprachgruppe hat auf den Gang zur Urne verzichtet und damit auf Vertretung im Landtag. Nur 5 Italiener schafften den Sprung ins Hohe Haus. Das entspricht einem Siebtel der Abgeordneten, obwohl ein Viertel der Einwohner Südtirols der italienischen Sprachgruppe angehören. <BR /><BR />Dass bei 16 Parteien, die zur Wahl standen, so viele Menschen kein Angebot gefunden haben, dass sie dazu bewegen konnte, wählen zu gehen, ist bezeichnend. Auch hier verbirgt sich eine Gefahr: Wenn die italienische Sprachgruppe das Gefühl hat, nicht ernst genommen zu werden und bei den Entscheidungen, die das Land betreffen, keine Rolle zu spielen, dann kann das Ressentiments zwischen den Sprachgruppen schüren. In einem ein modernen und mehrsprachigen Südtirol sollte das aber keine Rolle mehr spielen.<BR /><BR />Der Politik muss es gelingen, die Menschen abzuholen: Den Bürgern das Gefühl vermitteln, dass sie gehört werden, dass Politik für sie gemacht wird und dass ihre Stimme zählt. Derzeit ist die Politik in Südtirol so spannend wie selten zuvor. Schon mal ein guter Anfang, um die Politikverdrossenen wieder ins Boot zu holen.<BR />