Es ist Fraktionschef Rainer Brüderle, der die verunsicherten Liberalen mit einem leidenschaftlichen Appell von den Sitzen reißt.Der bedrängte Parteichef Rösler hält auf dem Dreikönigstreffen eine nüchtern-programmatische Ansprache. Es ist nicht auszuschließen, dass sie bereits seine Abschiedsrede an die FDP ist.Niebel liest Rösler die LevitenDie Liberalen widerstehen bei ihrem Traditionstreffen der Versuchung, Harmonie zu inszenieren, wo keine Harmonie ist.Dafür sorgt Entwicklungsminister Dirk Niebel. Der sonst so forsche Liberale ist nervös, als er das Wort ergreift, er verhaspelt sich.Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Spitzenpolitiker seinem Parteichef öffentlich die Leviten liest.„Es zerreißt mich innerlich, wenn ich den Zustand meiner Partei sehe“, ruft Niebel. „So wie jetzt kann es mit der FDP nicht weitergehen.“ Niebel fordert eine personelle Neuaufstellung.Rösler übt sich in RuheDer, gegen den diese Äußerungen gerichtet sind, gibt sich in Stuttgart munter und entspannt.Man merkt Parteichef Rösler auf der Rednerbühne nicht an, dass er mit einer happigen Erkältung nach Stuttgart gereist ist.Rösler lässt sich auch dann nicht aus der Fassung bringen, als ein Zwischenrufer ihn als „Arschloch“ tituliert.In großer Ruhe breitet er vor den Gästen die Kernthemen der Liberalen für das Wahljahr 2013 aus, ehe er auf seine Kritiker zu sprechen kommt.Kritisiert werden: „Gehört zur Geschichte der Parteivorsitzenden“Es gehöre „zur Geschichte von Parteivorsitzenden, dass sie kritisiert werden“, sagt Rösler. „Damit habe ich kein Problem.“Die Partei sei nun aber den Wahlkämpfern des Landesverbands in Niedersachsen verpflichtet, die in zwei Wochen eine Wahl zu bestehen haben. „Glaubwürdigkeit ist immer auch eine Frage des Stils, der Fairness, der Solidarität“, mahnt der Parteichef.Damit versucht Rösler, seinen internen Kritiker in die Verantwortung für die Niedersachsen-Wahl am 20. Jänner zu nehmen. Denn Röslers Umfeld hegt den Verdacht, dass die Gegner des Parteichefs den Führungsstreit vor allem deshalb angezettelt haben, um bei der Wahl in Hannover eine satte Niederlage für die FDP einzufahren.Eine solche Schlappe, so das mutmaßliche Kalkül, wäre die eleganteste Art, Rösler als Parteichef loszuwerden.Applaus: Weder Brüskierung noch VertrauensbeweisRösler bekommt in Stuttgart kräftigen Applaus, als er seine Kritiker zu besserem Stil auffordert. Ob sich daraus auch grundsätzliche Zustimmung der Parteibasis zu seiner Führungskunst ablesen lässt, ist indes fraglich.Der Schlussapplaus für Röslers Rede ebbt schnell ab, keine drei Minuten dauert er. Eine Brüskierung ist das nicht, ein Vertrauensbeweis aber auch nicht.Brüderle, der Oberliberale der HerzenDass die FDP Vertrauen zu Brüderle hat, steht in Stuttgart außer Frage. Der Applaus für den Fraktionschef ist lauter als für den Parteichef, längst ist Brüderle der Oberliberale der Herzen.Seiner verunsicherten Partei spricht Brüderle Mut zu: „Wer sich klein macht, wird klein gemacht.“Er stellt sich vor den bedrängten Parteichef, lobt ihn als „Wachstumsminister und Entlastungsminister“. Seine Partei ruft Brüderle auf, für ihre Überzeugungen einzutreten: „Auf in den Kampf!“Wie der Kampf im Wahljahr 2013 aussehen soll, daran lassen Rösler und Brüderle keinen Zweifel. Es geht ihnen darum, mit maßgeschneiderten Themen die klassische FDP-Klientel zu mobilisieren, um sich so noch einmal über die Fünf-Prozent-Hürde heben zu lassen.Mittelstand, Freiberufler, Handwerker – an sie richten sich die Spitzenliberalen in Stuttgart.Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Wachstumsförderung, Bezahlbarkeit von Energie, Ausgleich des Haushalts, mehr Netto vom Brutto für die Bürger – „das ist ganz konkret Politik für die Mitte“, sagt Rösler.afp