Im ausführlichen Interview erklärt der Landeshauptmann auch, womit sich das Bundesland Tirol gegen den Ausverkauf der Heimat wehrt, wie seine Volkspartei die Populisten auf Distanz hält und worum er seinen Südtiroler Amtskollegen Arno Kompatscher beneidet. <BR /><BR /><b>Die Verkehrssituation auf der Brennerachse hat sich in diesem Sommer zugespitzt. Auch von Südtiroler Seite wird der Ruf nach Lockerung des Nachtfahrverbots für Lkw immer lauter. Warum bleibt das Bundesland beim Nein?</b><BR />Landeshauptmann Toni Mattle: 210.000 Tirolerinnen und Tiroler wohnen direkt an einer Autobahn. Das Nachtfahrverbot ist keine Verhandlungsmasse. Es geht hier um den Schutz von Menschen und Natur auf Basis von wissenschaftlichen Daten. Schadstoffe und Lärm wirken sich in der Nacht viel stärker aus als untertags. Es ist bittere Realität, dass der Brenner der meistbefahrene Alpenübergang ist. Es fahren dreimal so viele Lkw über den Brenner wie über alle Schweizer Übergänge zusammen. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der Lkw über den Brenner auf 2,5 Millionen angewachsen, während in der Schweiz die Lkw-Fahrten auf 800.000 zurückgegangen sind. Die Antwort auf die enorme Verkehrsbelastung untertags, kann also nicht zusätzlicher Verkehr in der Nacht sein.<BR /><BR /><b>Italiens Verkehrsminister Salvini klagt gegen die österreichischen Maßnahmen vor dem europäischen Gerichtshof. Wie sehen Sie die Lage?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Die Straßen in Tirol und Südtirol werden nicht breiter und mehr Lkw sind auch der Infrastruktur nicht mehr zumutbar. Wir sollten uns also nicht darüber unterhalten, wie man noch mehr Lkw über den Brenner bekommt, sondern mit welchen Lösungen man die Verlagerung auf die Schiene vorantreiben und die Verkehrsbelastung reduzieren kann. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Europäische Gerichtshof die Notwendigkeit von Notmaßnahmen bestätigen wird und wir uns künftig am Verhandlungstisch über neue Lösungen unterhalten werden. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1208361_image" /></div> <BR /><BR /><b>Derzeit ist also nichts mit Verhandlungstisch, man sieht sich lieber vor Gericht...</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Klagen lösen keine Probleme und bringen uns nicht weiter. Tirol ist immer gesprächsbereit, wenn es darum geht, neue innovative Lösungen, wie ein intelligentes Verkehrsmanagement, voranzutreiben. Das könnte zum Beispiel die Dosierung in Kufstein an der deutsch-österreichischen Grenze ersetzen. Der Ball liegt also in Rom.<BR /><BR /><b>Dieses intelligente Verkehrsmanagement wäre das Slot-System. Das wird schon lange angekündigt, kommt aber nicht vom Fleck.</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Die Regionen haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind bereit für die Umsetzung. Die Idee, die federführend von Landeshauptmann Arno Kompatscher vorangetrieben wurde, hat im Bundesland Tirol und dem Freistaat Bayern rasch Unterstützer gefunden. Die österreichische Bundesregierung hilft uns bereits bei der Umsetzung. Aus Berlin erhalten wir von der Regierung Merz erstmals positive Signale und auch die Blockadehaltung von Matteo Salvini scheint zu bröckeln. Wenn die Nationalstaaten zustimmen, können wir bereits morgen die nächsten Schritte einleiten.<BR /><BR /><b>Noch mehr Entlastung soll der Brennerbasistunnel bringen. Wann fahren dort die ersten Züge?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir werden demnächst den ersten grenzüberschreitenden Durchschlag erleben und damit gibt es erstmals eine durchgängige unterirdische Verbindung zwischen Tirol und Südtirol. Das sind echte Fortschritte beim Bau des Brenner Basistunnels. Die Vorstände haben bestätigt, dass die Inbetriebnahme des BBT im Jahr 2032 stattfinden wird. <BR /><BR /><embed id="dtext86-71283014_quote" /><BR /><BR /><b>Die Frage bleibt dann, ob der Tunnel tatsächlich für den Güterverkehr genutzt wird oder ob die Straße der günstigste Weg über den Brenner bleibt. Was tut die Politik, damit der Güterverkehr auf den Tunnel umsteigt?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Der Basistunnel wird die Mobilität in Mitteleuropa revolutionieren: Bis zu eine Million Lkw können auf die Schiene verlagert werden und die Zugfahrt zwischen Innsbruck und Bozen verkürzt sich von über zwei Stunden auf rund 45 Minuten. <BR /><BR /><b>Sie sagten „können verlagert werden“. Müssen sie das denn auch?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Es gibt dafür zwei Möglichkeiten. Die eine wäre eine Verlagerungsverpflichtung, die von der EU durchgesetzt wird. Schließlich finanziert sie den Tunnel wesentlich mit. Vorerst ist eine solche Verpflichtung aus Brüssel wohl Wunschdenken. Eine andere Möglichkeit sind gute Angebote für die Wirtschaft. Ich denke, für Frächter ist es attraktiv, wenn sie mit dem BBT rund um die Uhr und unglaublich schnell die Güter unter dem Brenner hindurch transportieren können. Wir verbinden hier die wichtigsten europäischen Wirtschaftsräume. Dazu braucht es auch einheitliche und einfachere Regeln auf der Schiene. Das europäische Pilotprojekt „Brenner ohne Grenzen“ setzt sich genau dafür ein. Bis zu 20 Minuten und länger wartet aktuell ein Zug am Brenner, bevor er fertig für die „Einreise“ ist. Und das nur, weil sich die Nationalstaaten auf keine gemeinsamen Regeln und Standards für die Eisenbahn geeinigt haben. Jede Harmonisierung, die jetzt angegangen wird, hilft den neuen Tunnel möglichst effizient zu nutzen. <BR /><BR /><b>Noch ein Thema dieses Sommers: Macht sich auch in Tirol der Overtourism bemerkbar, wie reagieren Sie darauf?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Die Frage ist immer, ob sich die Anzahl der Gäste auf das ganze Land verteilt oder auf ein paar wenige Hotspots konzentriert. Wir haben in Tirol glücklicherweise ein sehr breites touristisches Angebot mit vielen unterschiedlichen Regionen. Ich breche eine Lanze für den Tiroler Tourismus. Er ist ein Garant dafür, dass die Menschen eine Arbeit haben, die Täler weiterhin bewohnt werden und in die Infrastruktur investiert wird. <BR /><BR /><b>Weil viele Menschen in unseren Ländern nicht nur Urlaub machen, sondern auch eine Ferienwohnung haben wollen, kommt es zum Ausverkauf der Heimat, in Südtirol neuerdings der Bauernhöfe. Wie ist die Situation im Bundesland Tirol?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir haben auf der einen Seite das Interesse, dass unsere Bevölkerung leistbaren Wohnraum hat. Auf der anderen Seite müssen wir respektieren, dass die EU eine Niederlassungs- und Kapitalfreizügigkeit vorsieht. Ich möchte auch nicht alle, die sich Tirol als neue Heimat aussuchen, in einen Topf werfen. Es darf aber zu keinem Ausverkauf zulasten der einheimischen Bevölkerung kommen. In Tirol gilt die Regel, dass nur acht Prozent der Hauptwohnsitze in Gemeinden auch Zweitwohnsitze sein dürfen. Wir kämpfen vor dem Landesgericht gegen Freizeitwohnsitze und Schein-Hauptwohnsitze, also Personen, die die Situation auszunützen versuchen.<BR /><BR /><b>Die ÖVP Tirol feiert im Oktober 80. Geburtstag, seit 1945 ist sie „staatstragend“ in Tirol. Wie schaffen Sie es, die in vielen Ländern erfolgreichen Populisten nicht recht aufkommen zu lassen?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Der Weg der Tiroler Volkspartei wurde bislang bei allen Tiroler Wahlen mit den meisten Stimmen belohnt. Wir müssen uns aber eingestehen, dass die Zustimmung in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen hat. Deshalb konzentrieren wir uns wieder auf unsere Stärken: Die Tiroler Volkspartei versteht Tirol und seine Menschen wie keine andere Partei. Wir geben Tirol Selbstbewusstsein, schauen auf den sozialen Frieden und den wirtschaftlichen Erfolg in unserem Land. Anstatt links und rechts zu spalten, verbinden wir in der Mitte. Bei uns kommt das Land an erster Stelle, denn wir sind die TIROL-Partei.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1208364_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie treten bei der Landtagswahl 2027 wieder an. War das eine schwierige Entscheidung?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Mir bereitet die Arbeit als Landeshauptmann von Tirol große Freude und es motiviert mich, wenn ich tagtäglich Menschen treffe, die meinen Weg unterstützen und mich in meiner Arbeit bestärken. Deshalb ist mir die Entscheidung leichtgefallen.<BR /><BR /><b>Wer politische Verantwortung übernimmt, wird immer öfter zur Zielscheibe. Wie erleben Sie das?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Der politische Wettbewerb ist rauer geworden. Als Politik tragen wir große Verantwortung und erfüllen auch eine Vorbildfunktion. Deshalb ist es mir wichtig, auf eine verbindende Sprache zu setzen, anstatt zu hetzen und zu spalten wie es die extremen linken und rechten Ränder machen. Insgesamt spüre ich großen Rückhalt in der Bevölkerung. Mir ist aber auch bewusst, dass es Menschen gibt, die unsere Politik der Leistungsbereitschaft, des Eigentumsgedankens und der Heimatverbundenheit ablehnen. <BR /><BR /><b>Wie gehen Sie mit solchen Attacken um?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Ich sehe mich als Landeshauptmann aller Tirolerinnen und Tiroler und habe das Talent, das Positive im Alltag zu sehen. Negative Erfahrungen lasse ich emotional nicht zu nahe an mich heran.<BR /><BR /><b>Um was beneiden Sie Ihren Südtiroler Amtskollegen Arno Kompatscher – und vielleicht wissen Sie es – um was beneidet er Sie?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Ich beneide Arno und damit Südtirol um die starke autonome Rolle gegenüber Rom. Ich sehe die Reform des Südtiroler Autonomiestatuts als großen Fortschritt. Auch ich würde mir in Österreich mehr Gestaltungsspielraum für die Regionen wünschen, damit wir Probleme aus eigener Kraft heraus lösen können. Wir haben das Ohr näher an den Bürgern als die Nationalstaaten. Aus Südtiroler Sicht ist sicher die politische Stabilität in Tirol interessant. Wir haben mit sechs Parteien klare Verhältnisse im Landtag, während die politische Landschaft in Südtirol mit zwölf Parteien sehr zersplittert ist. <BR /><BR /><b>Wo finden Sie Ruhe und Erholung?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Einerseits bei ein paar Urlaubstagen in den Tiroler Bergen und mit der Familie. Andererseits aber auch in der politischen Sommerarbeit. Während der Sommermonate hat man als Landeshauptmann mehr Zeit für Veranstaltungen, Zeltfeste, Betriebsbesichtigungen und Gemeindebesuche. Im Gespräch mit den Tirolerinnen und Tirolern hole ich mir Inspiration für den politischen Herbst. <BR /><BR />Interview: Martin Lercher<BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>