Die Verkehrsbeschränkungen auf Nordtiroler Seite will Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini mit der gerichtlichen Brechstange auf EU-Ebene knacken. Landeshauptmann Mattle räumt ein, dass auch die Europäische Kommission einige Schwachpunkte in den Nordtiroler Bestimmungen sieht. Hat die Klage also Chancen?<BR /><BR /><b>Der Bau der Luegbrücke wirft ihre Schatten voraus, auch von Südtiroler Seite wird eine zeitweise Lockerung des Nachtfahrverbots vorgeschlagen. Wird es beim Nordtiroler Nein bleiben oder gibt es da Spielraum?</b><BR />Landeshauptmann Toni Mattle: Wir haben durchaus Verständnis dafür, dass sich unsere Nachbarn in Zusammenhang mit der Luegbrücke Sorgen machen. Das machen wir uns ja auch. Aber ich habe gerade jetzt wieder festgestellt, dass wir hier in Tirol beste Ingenieurinnen und Ingenieure haben. Die ASFINAG hat die Generalinspektion durchgeführt, die finale Ausarbeitung des Papiers wird im September vorliegen. Sorgen bereiten vor allem die reisestarken Tage. Daher wurden Testläufe durchgeführt, damit es möglich ist, den Verkehr an diesen reisestarken Tagen zweispurig zu halten. Und das nicht eingeschränkt auf Fahrzeuge unter 7,5 Tonnen, sondern je nach Bewertung der Techniker auch darüber hinaus. <BR /><BR /><b>Was wurde konkret getestet?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Die ASFINAG arbeitet darauf hin, dass der Verkehr ausgekreuzt wird: Die schweren Fahrzeuge sollen auf der Innenseite der Fahrbahn fahren, also die linke Spur nehmen, wo Lkw sonst nichts verloren haben. Damit ist die stärkste Belastung für die Brücke nahe bei den Pfeilern und das ist statisch eine große Entlastung für das Bauwerk. Das wird schon seit Ende Juli erprobt und die ersten Erfahrungen sind beeindruckend gut. Die Techniker haben eigene Piktogramme entwickelt, damit Lkw-Fahrer auch verstehen, um was es da geht – und es sind nur ganz wenige, die sich nicht daran orientiert haben. Das wird alles noch verfeinert und ich bin überzeugt, dass die Einschränkungen durch den Bau der Luegbrücke nicht größer sind als bei anderen Baustellen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063635_image" /></div> <BR /><BR /><b>Eine Lockerung der Lkw-Fahrverbote, etwa in der Nacht, ist also aus Ihrer Sicht nicht notwendig?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Mit Blick in Richtung Frächter sage ich: Man wollte offensichtlich dieses Momentum nützen, um irgendwie noch mehr Fahrten über den Brenner zu erzwingen. Wir werden ja tatsächlich unter Druck gesetzt, es sind aber dringend notwendige Baumaßnahmen. Jetzt stellen wir fest, dass sich tatsächlich Lösungen abzeichnen. Und ich möchte schon ausdrücklich betonen, dass dieses Nachtfahrverbot ausschließlich im Bundesland Tirol gilt, aber auch dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung südlich des Brenners dient. Auch dort ist der Schadstoff-Ausstoß in der Nacht für die Bewohnerinnen und Bewohner hoch - und gleich gesundheitsschädlich wie bei uns. Denn bei Tag gibt es eine Thermik, die die Schadstoffe verteilt, bei Nacht gibt es diese nicht. <BR /><BR /><b>Trotz allem verlangt die Situation an der Brennerroute eine langfristige Lösung. Sie haben sich kürzlich im Hamburger Hafen über das Slot-System informiert, das ja auch bei uns von der Politik regelmäßig angekündigt wird. Wann könnte es auf der Brennerachse starten?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Eigentlich ist dieses System eine Idee, die Landeshauptmann Arno Kompatscher in die Gruppe der Anrainerstaaten an der Brennerachse eingebracht hat. In Südtirol hat man bei der Zufahrt zum Pragser Wildsee ja ein ähnliches System installiert. Am Hafen von Hamburg gibt es auch ein solches System, hier werden ähnlich viele Lkw abgewickelt wie über den Brenner fahren. Im Grunde ist es auch dort so: Es gibt eine Einfahrt und es gibt eine Ausfahrt, was ja auch bei der Strecke über den Brenner so ist. Daher wird dieses Modell auch bei uns funktionieren.<BR /><BR /><embed id="dtext86-66199878_quote" /><BR /><BR /><b>Wie funktioniert es in Hamburg?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Man hat in Hamburg 3 Tage im Voraus Zeit, um ein Zeitfenster zu buchen, in dem man in den Hamburger Hafen einfahren kann. Dieses Zeitfenster beträgt eine Stunde mit einem gewissen Puffer. In Hamburg wurde das Slot-System im Jahr 2017 eingeführt, bis dahin hatte man in der ganzen Stadt und im Hafen zu den Tagesspitzen immer Stau. Man hat durch diese Lösung Wartezeiten vermieden reduziert und die Verkehrsbelastung wesentlich verringert. Dieses Modell wird auch bei uns funktionieren. Uns ist es aber ein großes Anliegen, dass nicht nur Tirol dieses Modell umsetzt, sondern auch Bayern und Südtirol. Daher brauchen wir Rom und Berlin – und damit einen Staatsvertrag, damit wir das System von München bis Verona ausrollen können. <BR /><BR /><b>Staatsvertrag klingt nach sehr viel Zeit…</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Das klingt nach sehr viel Zeit, könnte technisch aber rasch umgesetzt werden. Wir bleiben dran, weil es uns dringend notwendig erscheint, Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Wir wissen aus unseren Berechnungen: Der anstehende Lkw-Verkehr hat auch bei Beibehaltung des Nachtfahrverbots in den Tagesstunden Platz. Das Slot-System könnte die Blockabfertigung ersetzen, man hätte dann nicht mehr die großen Staus Richtung Bayern. Und die Lkw-Fahrer müssen nicht stundenlang herumstehen, sondern sie haben ein Zeitfenster und sie wissen, wann sie ohne Probleme durchfahren können. Damit würden wir die Verkehrsspitzen kappen, viel Arbeitszeit einsparen, die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt besser schützen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063638_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie haben das Modell Pragser Wildsee erwähnt. Da ist ab einer gewissen Zahl von gebuchten Fahrten einfach Schluss, es gibt eine Obergrenze. Auch beim Slot-System?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir haben viel gelernt mit der Blockabfertigung. Am Montag in der Früh um 6 Uhr stehen beispielsweise ganz viele Lkw an der Grenze zu Tirol. Aber das ist genau auch die Zeit, in der 65.000 Einpendler nach Innsbruck wollen. Und unser Problem war der Stau rund um Innsbruck, und der war 60 Kilometer lang. Mit dem Slot-System könnten wir den Verkehr gezielt aufteilen, die Spitzen kappen auch andere Faktoren wie das Wetter berücksichtigen. Und diese Vorteile hätten wir nicht nur in Tirol, sondern auch in Südtirol und im bayerischen Inntal. Und wir wissen, dass sich die Bevölkerung entlang dieser Route solche Lösungen wünscht. <BR /><BR /><b>Ohne Obergrenze bei der Zahl der Fahrten wird das aber nicht funktionieren.</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Die Obergrenze orientiert sich an den Kapazitäten auf der Straße: Es werden pro Stunde eine Anzahl von Slots definiert, damit feststeht, wie viele Lkw ohne einen Stau zu verursachen, über den Brenner kommen. Bei viel Pendlerverkehr oder schlechtem Wetter sind es weniger, bei ruhiger Verkehrslage mehr Lkw.<BR /><BR /><b>Italien hat vor dem Europäischen Gerichtshof die angekündigte Klage gegen die Maßnahmen zur Einschränkungen des Transits eingereicht. Wie geht es für das Bundesland Tirol weiter?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir haben mit dieser Klage gerechnet – und uns gut vorbereitet. Wir haben Juristen in der Bundesregierung, in der Landesregierung, und private Experten. Aus dem Antwortschreiben der Europäischen Kommission wissen wir, dass die Maßnahmen selbst nicht angezweifelt werden, aber wo es Knackpunkte gibt. Diese betreffen hauptsächlich den Ziel- und Quellverkehr. Damit soll die Versorgung der Landkreise in Bayern, Bezirke in Tirol und Südtirol bis ins Trentino sichergestellt werden. Das wird kritisch gesehen. Es braucht die Mobilität in der eigenen Region. Zudem: Wenn es saubere oder emissionsfreie Lkw sind, dürfen sie auch in der Nacht fahren. In Summe sind 250.000 Lkw pro Jahr auch in der Nacht unterwegs. <BR /><BR /><b>Und mit diesem Argument wollen Sie die Transitklage aushebeln?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Es geht um eine klare Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes: Stehe ich hinter der Gesundheit der Bevölkerung oder stehe ich hinter immer mehr Transit? Auch der Klimawandel zeigt überdeutlich, dass es eine Energie- und Verkehrswende braucht. Wir müssen aber auch die bestehenden Möglichkeiten auf der Schiene endlich ausschöpfen. Wir sind gesprächsbereit und ersuchen zum Beispiel immer wieder, dass der Interporto in Trient und Verona endlich ausgebaut werden, damit wir mehr Ware auf der Schiene transportieren können. <BR /><BR /><embed id="dtext86-66201508_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Der Europäische Gerichtshof beschäftigt Ihr Bundesland auch an anderer Stelle. Im Juli hat er bestätigt, dass Wölfe streng geschützt bleiben. Wie sieht die künftige Strategie des Bundeslandes aus?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir waren überrascht von diesem Spruch. Es ist eine recht theoretische Meinung, wenn hier gesagt wird, dass die Artenvielfalt gefährdet ist. Dabei wissen wir, dass der Wolf flächendeckend in EU wieder vorkommt und nicht mehr im Bestand bedroht ist. In dicht besiedelten oder von Alpwirtschaft genutzten Gegenden muss aber entsprechend Sorge getragen werden. Wir haben im Großraum Innsbruck, in Mutters, die Situation gehabt, dass ein Wolf im Siedlungsraum herumgestreift ist. Das ist ein Risiko! Auch von den Bauern wird zu Recht eingefordert, dass ihre Tiere auf der Alm nicht vom Wolf gerissen werden. <BR /><BR /><b>Was machen Sie also konkret?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Wir werden den vom Landtag beschlossenen Weg der Verordnungen weitergehen. Wölfe, die Schafe und andere Tiere reißen, können erlegt werden. Das werden wir beibehalten. Für uns zählt der Schutz der Bevölkerung und der Nutztiere. <BR /><BR /><b>Persönliche Frage: Bald 2 Jahre als Landeshauptmann: Wie erleben Sie dieses Amt?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Es geht mir gut, es ist eine schöne Aufgabe. Man muss allerdings auch das Talent haben, das Schöne im Alltag zu erkennen. Natürlich gibt es jeden Tag Sorgen und Herausforderungen. Aber wenn ich durch Tirol fahre und dann erlebe, wie engagiert unsere Bürgerinnen und Bürger sind, wie viele darauf schauen, dass sich das Land positiv entwickelt – dann geht es mir definitiv gut. Zudem habe ich ein gutes Team und vor allem meine Frau, mit der ich mich spät in der Nacht noch austauschen kann – und das hilft mir definitiv. Ich brauche nicht viel Schlaf, aber ich kann immer gut schlafen. Das ist auch ganz wichtig. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063641_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie pendeln täglich von Galtür nach Innsbruck, sind also gut 3 Stunden im Auto. Wie sieht ein „normaler“ Arbeitstag bei Ihnen aus?</b><BR />Landeshauptmann Mattle: Ich pendle fast täglich. Es ist ja bekannt, dass ich ein Kleinstlandwirt bin, der mit einem Kollegen gemeinsam eine Kuh-Wohngemeinschaft, eine Kuh-WG betreibt. Und so wie andere vielleicht in der Früh auf den Hometrainer steigen, gehe ich in der Früh in den Stall, um die 5 Kühe, die 5 Kälber und 2 Haflinger zu versorgen. Dann die Körperpflege, ein gutes Frühstück mit meiner Frau, um halb 8 steige ich ins Fahrzeug ein. Früher macht nicht viel Sinn, weil ich mit kaum mit jemandem telefonieren kann. Die Zeit bis Innsbruck kann ich wunderbar nützen zum Telefonieren. Dann folgt der Tag mit vielen Terminen. Dann gegen 17 oder 18 Uhr geht es hinaus in die Gemeinden, zu den Menschen. Am Abend bin ich aber durchaus sehr diszipliniert: Gegen 10 oder halb 11 steige ich wieder ins Auto, gegen halb 12 komme ich zu Hause an. Dort ist meine Frau, die zwar vielleicht im Wohnzimmer schon geschlafen hat, aber definitiv auf mich wartet. Und das Gespräch mit ihr tut mir sehr sehr gut.