von Andreas Schwarz<BR /><BR />Frankreichs einst strahlender Präsident Emmanuel Macron steht zwei Jahre vor Ende seiner zweiten Amtszeit vor den Trümmern seiner Ära: Er verlor vorgestern nicht nur seinen zweiten Premierminister in etwas mehr als einem Jahr – François Bayrou hatte sein Wohl und Wehe und das des Landes von einer Vertrauensabstimmung im Parlament abhängig gemacht, die wie erwartet gegen ihn ausging. <BR /><BR />Mehr noch: Staatschef Macron und die Grande Nation gingen so wohl auch des letzten Funkens Hoffnung verlustig, dass sich Frankreich noch aus der Sackgasse der Unregierbarkeit heraus manövrieren kann, in der es steckt.<h3> Faktische Unregierbarkeit</h3>Nun ist es müßig, im Nachhinein die taktische Fehlentscheidung des Präsidenten zu beklagen, die Frankreich weiter in diese Sackgasse hinein getrieben hat. Eine Fehlentscheidung, die auch von Macrons engsten Vertrauten inzwischen zugegeben wird: Dass der Präsident im Juni 2024 nach der krachenden Niederlage seiner Bewegung bei den EU-Wahlen beleidigt die französische Nationalversammlung auflöste und Neuwahlen ansetzte – ohne Not und ohne Aussicht auf einen Wahlerfolg –, stürzte die Nation erst in das Dilemma der faktischen Unregierbarkeit. <BR /><BR />Drei Blöcke, die Linke, das Zentrum aus Macronisten und Konservativen und die immer stärker anwachsenden Rechtspopulisten der Marine Le Pen, die einander gegenseitig blockieren und keine Mehrheit hinter sich vereinen können, das war das Ergebnis. <h3> Reform-Untauglichkeit</h3>Nicht ganz so müßig ist es, den Anlass des jüngsten Scheiterns eines Premiers anzusehen. Der Anlass ist zugleich Ursache: Frankreich ist Reform-untauglich. Oder anders: Kaum eine andere Nation in Europa ist so reformunwillig, wie es die Franzosen sind. <BR /><BR />Die dramatischen Warnungen Premier Bayrous, Frankreich stehe mit einem Defizit von 3,3 Billionen Euro am Abgrund und brauche dringend einen Defizitabbau (konkret: Einsparungen von 43,8 Milliarden Euro), verfingen ebenso wenig wie gut ein Jahr zuvor die Warnungen des damaligen Premiers Michel Barnier. <BR /><BR />Eingriffe beim Rentenantrittsalter (62!), bei der 35-Stunden-Woche – in Frankreich doch nicht! Und jetzt gar noch, wie es Bayrous Plan war, zwei der 13 Feiertage im Jahr streichen, um die Produktivität im Land zu erhöhen? Ja wo kommen wir denn da hin im Land der Gewerkschaften und der traditionell aufständischen Linken, dem Land der historischen Proteste und des Krawalls gegen alles und jedes, die „Gelbwesten“ sind in guter Erinnerung. Nicht zufällig hat eine Protestbewegung „Blockieren wir alles“ („Bloquons tout“) für heute, Mittwoch, zu einem Generalstreik aufgerufen.<BR /><BR />Gegen dieses „Mit uns nicht“ hatte das Regierungslager, das aus drei Parteien der Mitte und den konservativen Republikanern bestand, keine Chance. <BR /><BR />Das Dilemma Macrons heißt: Der neue Regierungschef aus dem bisherigen Regierungslager, Sébastien Lecornu, sieht sich vor denselben nicht lösbaren Problemen. Ein Premier aus dem linken Lager, das sich schon angeboten hatte, also eine sogenannte „Kohabitation“, hätte auf die Vermögen der Reichen und der Unternehmen abgezielt, aber keine Reformen durchgezogen. <BR /><BR />Und Neuwahlen, schon wieder, hätten das Le-Pen-Lager, auch wenn Marine Le Pen selbst von Wahlen per Urteil einstweilen ausgeschlossen ist, weiter in die Höhe befördert. Bei den Präsidentenwahlen 2027, die viele schon gerne vorgezogen sähen, erst recht.<h3> Bredouille auch für Europa</h3>Die Bredouille ist aber nicht nur eine für Frankreich. Sie ist eine für Europa. Der Kontinent durchlebt eine Zeit, <BR /><BR /> – in der sich Deutschland mit seinem lahmen Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Europa-Lokomotive aufs Abstellgleis manövriert hat und Friedrich Merz (CDU) erst an Europa-Statur gewinnen muss; <BR /><BR /> – in der sich Großbritannien per Brexit aus der Gestaltung verabschiedet hat; <BR /><BR /> – und in der unsichere Kantonisten wie Polen und Ungarn versuchen, den Ton anzugeben, Italiens Giorgia Meloni tatsächlich den Ton angibt<BR /><BR /> – aber allesamt nie das Gewicht haben, das Frankreich einmal als Führungsnation in Europa hatte. Auch unter Emmanuel Macron.<BR /><BR /> Der hat zwar viele Skizzen für eine Zukunft Europas mit besonderer Theatralik und großer Geste entworfen, deren Umsetzung er dann nie halten konnte – aber immerhin: Frankreich hatte eine Vision für die Zukunft des Kontinents, auch im Wettstreit mit den USA und China.<BR /><BR />Was bleibt, wenn auch noch Frankreich von dieser Bühne abtritt?<BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>