<b>STOL: Frau Mastrobuoni, kurz und knapp: Wie steht es um Europa?</b><BR />Tonia Mastrobuoni: Es steht schlecht um Europa. Donald Trump war ja schon einmal US-Präsident, aber Europa scheint daraus nicht gelernt zu haben. Schon damals hatte Trump die NATO an den Rand des Zerfalls gebracht und seine ganze Verachtung für Europa der Welt gezeigt. Man hätte meinen können, dass sich Europa danach rüsten würde auf eine weitere Amtszeit von Trump. Dem war aber nicht so. Europa hat einfach weitergeschlafen, das rächt sich jetzt. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69180523_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Bislang war Deutschland das starke Land in Europa, seit ein paar Jahren nicht mehr. Mittlerweile ist Italien erstarkt. Welche Auswirkungen hat das auf das Gefüge der Europäischen Union?</b><BR />Mastrobuoni: Ich glaube, das könnte sich wieder ändern. Die Chance ist groß, dass Italien und Deutschland künftig mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz konvergieren. In seiner Wahlkampagne hat Merz ja immer wieder das Meloni-Modell zitiert, wenn es um Migration, aber auch um Aufrüstung geht. Es wäre gut für Europa, wenn Italien und Deutschland enger zusammenarbeiten würden, auch um der französischen Übermacht im Industriebereich ein wenig entgegenzuarbeiten. Italien muss aber aufpassen, dass es nicht für zu viel Misstrauen sorgt in Europa. Italien vollzieht derzeit eine Gratwanderung zwischen Treue zu Europa und Treue zu Donald Trump. Das kann nicht lange funktionieren. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69180524_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Das Erstarken der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich, der Fratelli d’Italia in Italien, des Front National in Frankreich – wie verfolgen Sie den Rechtsruck in Europa?</b><BR />Mastrobuoni: Das besorgt mich sehr. Wir haben ja gesehen, was in Polen unter der Regierung von Jarosław Kaczyski passiert ist, oder unter Viktor Orbán in Ungarn. Da ist die Rechtsstaatlichkeit völlig zerstört worden. Wir reden hier von Autokratien, in denen die Richter unter der Fuchtel der herrschenden Politiker waren und sind. Diese Entwicklung könnte auch anderen Ländern passieren, etwa in der Slowakei. Aber auch in Italien muss man innenpolitisch sehr aufpassen, obwohl die Richter hierzulande sehr stark und unabhängig sind. Nichtsdestotrotz: Man muss auf der Hut sein. <BR /><BR /><b>STOL: Großbritannien ist nicht mehr Mitglied der EU, Russland führt seit 3 Jahren Krieg gegen die Ukraine, auf die USA kann man sich auch nicht mehr wirklich verlassen. Hat Europa, so wie wir es kennen, eine Zukunft?</b><BR />Mastrobuoni: Europa hat eine große Zukunft, wenn es jetzt den historischen Moment erkennt und versteht, dass es endlich an der Zeit ist, den Artikel 7 zu ziehen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69180525_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Die EU sollte also weg vom Einstimmigkeitsprinzip?</b><BR />Mastrobuoni: Genau. Länder wie Ungarn werden zu trojanischen Pferden für andere, Europa nicht wohlgesonnene Mächte, wie zum Beispiel Russland oder China. Es kann nicht sein, dass wir diesen Ländern nach wie vor das Veto-Recht anerkennen. Europa muss flexibel sein und schnell entscheiden können. Das geht nicht mit dem Einstimmigkeitsprinzip, sondern nur mit dem Mehrheitsprinzip. <BR /><BR /><b>STOL: Viele befürchten mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine Ausweitung des russischen Krieges gegen die Ukraine und in der Folge einen 3. Weltkrieg. Sind auch Sie pessimistisch?</b><BR />Mastrobuoni: Russland ist eine realistische Bedrohung, Russland ist eine imperialistische Macht mit einem Autokraten als Präsident. Und die Wahl von Donald Trump hat die Ausgangslage für Europa nicht besser gemacht, ganz im Gegenteil.<BR /><BR /><i>*Tonia Mastrobuoni war Gastreferentin beim Raiffeisen Pressempfang in Bozen und referierte zum Thema: „Die neue geopolitische Lage: was kommt auf Europa zu?“</i>