Drei Jahre Giorgia Meloni – und kein Ende in Sicht: Mit 1.096 Tagen im Amt hat die italienische Ministerpräsidentin Bettino Craxi überholt und führt damit die am drittlängsten amtierende Regierung in der Geschichte der Republik Italien. Nur Silvio Berlusconi führte zweimal Regierungen, die länger im Amt waren. <BR /><BR />Meloni selbst wertet diesen Rekord als Zeichen politischer Stabilität. Der langjährige Landtagsabgeordnete und ehemalige Senator Oskar Peterlini sieht darin jedoch auch eine Entwicklung, die kritisch zu betrachten ist: Meloni habe gelernt, ihre Koalition zusammenzuhalten und politische Kompromisse zu suchen – auch, wenn das mitunter im Widerspruch zu früheren Wahlversprechen und der Haltung ihrer Partei stehe. Diese Wandlungsfähigkeit mache sie aus Peterlinis Sicht „gefährlich gut“.<BR /><BR />Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler, warum Meloni heute als berechenbare Partnerin in Europa gilt, welche Spannungen ihre geplante Verfassungsreform auslösen könnte – und warum Italien trotz Stabilität vor einem politischen Balanceakt steht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1229262_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Die Regierung Meloni belegt nun Platz drei der langlebigsten Regierungen in Italien. Hätten Sie ihr das zugetraut, als sie vor drei Jahren antrat?</b><BR /><b>Oskar Peterlini:</b> Ja, eigentlich schon. Die Mehrheiten waren klar. Und obwohl die Regierungsparteien – Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia – inhaltlich in vielen Fragen gespalten sind, gelingt es Meloni, sie zusammenzuhalten. Das unterscheidet sie von den Mitte-Links-Parteien, die sich wegen kleiner Differenzen oft selbst zerlegen.<BR /><BR /><b>STOL: Ist ihre Stärke auch ein Resultat der Schwäche der Opposition?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Ganz sicher. Seit dem Ende der Ersten Republik hat sich Italien de facto in zwei Lager geteilt. Das Wahlgesetz begünstigt Koalitionen. Die Rechten halten zusammen – Meloni, Salvini und Forza Italia präsentieren sich bei Wahlen geeint, auch wenn die Differenzen vor und nach der Wahl groß sind. Die Mitte-Links-Parteien dagegen zerstreiten sich wegen Kleinigkeiten. Die Fünf Sterne Bewegung und der Partito Democratico schaffen es nicht, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Außerdem bewegen sie sich nicht in Richtung Mitte – und verlieren dadurch die Mehrheit der gemäßigten Wähler.<BR /><BR /><b>STOL: Lediglich Silvio Berlusconi ist es gelungen, länger an der Spitze einer Regierung zu bleiben als Giorgia Meloni. Sehen Sie Parallelen zwischen den beiden?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Ja, durchaus. Beide hatten den Zusammenhalt in ihren Koalitionen im Griff. Berlusconi hatte zusätzlich die Medienmacht – ein Vorteil, den Meloni nicht hat. Aber beide verstehen es, politische Gegner einzubinden. Berlusconi zog Fini in seine Partei, Meloni hält Salvini und Tajani geschickt bei Laune. Außerdem spielt sie das „Frau-sein“ sehr gut: erfolgreich, sympathisch, selbstbewusst – das kommt an, auch international.<BR /><BR /><b>STOL: Worin liegt das Geheimnis von Melonis Beständigkeit?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Meloni wurde wie viele vor ihr als Hoffnungsträgerin gewählt. Wir beobachten in Italien seit Jahrzehnten, dass politische Sterne schnell aufsteigen – und ebenso schnell wieder verglühen. Matteo Renzi ist so ein Beispiel, auch die Lega: von vier auf 34 Prozent bei den Europawahlen 2019 – und dann wieder abgestürzt. Meloni hat sich bisher gehalten, erstens wegen der Solidarität innerhalb der Koalition und zweitens – etwas provokant gesagt – weil sie oft das Gegenteil dessen tut, was sie im Wahlkampf versprochen hat.<BR /><BR /><b>STOL: Sie meinen, sie setzt viele ihrer Ankündigungen gar nicht um?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Ja, dadurch ist sie „gefährlich gut“ geworden. Ihre Partei ist im Inneren europafeindlich. Doch Meloni betont zwar die Souveränität Italiens, bewegt sich gleichzeitig aber sehr geschickt auf europäischer Ebene. Das hat ihr internationale Anerkennung eingebracht. Sie weiß genau, dass viele sie anfangs als rechtspopulistische Gefahr sahen – und wollte das Gegenteil beweisen. Das hat sie geschafft. Aber hinter ihr steckt eine Ideologie, die durchaus gefährlich sein kann.<BR /><b><BR />STOL: Was überwiegt bei ihr – Ideologie oder Opportunismus?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Das ist die große Frage. Genau deshalb erleben wir einen den großen Vertrauensverlust in die Politik: Viele Politiker versprechen etwas und tun dann das Gegenteil. Bei Meloni würde ich sagen: Sie ist lernfähig. Aber hinter ihr stehen Figuren wie Senatspräsident La Russa, ein bekennender Altfaschist, der die ideologische Basis klar vertritt. Und ihre Projekte – etwa die angestrebte Präsidialrepublik – halte ich für gefährlich.<BR /><BR /><b>STOL: Warum?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Präsidialsysteme geben Einzelpersonen enorme Macht und schwächen die Volksvertretung. Den Präsidenten direkt zu wählen, klingt zwar demokratisch, führt aber zu einem Ungleichgewicht der Staatsgewalten. In vielen Ländern sind diese Systeme gescheitert und führten zu Diktaturen. Wenn man den Premierminister direkt wählt, wie es Meloni vorschlägt, besteht diese Gefahr. Dazu kommt die geplante Justizreform, die die Unabhängigkeit der Staatsanwälte gefährden würde. Das wäre fatal, denn das italienische Justizsystem funktioniert ohnehin schon langsam und ineffizient.<BR /><BR /><b>STOL: Glauben Sie, dass Meloni diese Verfassungsreform durchbringen wird?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Ich glaube nicht, dass sie durchkommt. Die Lega wird sich querstellen, weil sie Regionalautonomie fordert – also das Gegenteil von Melonis Zentralismus. Außerdem ist die Reform schon konzeptionell eine Fehlgeburt: In der Regel wird in einem Präsidialsystem das höchste Amt im Staat direkt gewählt. In Italien wäre das der Staatspräsident, nicht der Ministerpräsident. Man sieht also, dass es bei dieser Reform rein um die Personalie Meloni und die Stärkung ihrer Position geht. Die geplante Direktwahl des Premierministers würde das Machtgleichgewicht stören und könnte den Weg zu einer autoritären Regierungsform ebnen.<BR /><BR /><b>STOL: Was hat Meloni Ihrer Meinung nach in diesen drei Jahren gelernt?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Sie hat verstanden, dass man Politik für die Mitte machen muss. Die meisten Bürger wollen keine Extreme – weder links noch rechts. Eine vernünftige Wirtschaftspolitik kombiniert mit sozialer Verantwortung – das ist der Schlüssel. Meloni hat diese Balance gefunden, was die Linke unter Elly Schlein bisher nicht geschafft hat. Und sie versucht, auch gegenüber Südtirol moderat aufzutreten – obwohl sie früher sagte: „Wenn es den Südtirolern in Italien nicht passt, sollen sie gehen.“ Nach der Wahl hat sie versprochen, die Autonomieverluste wieder gut zu machen, auch wenn der ursprüngliche Entwurf von Landeshauptmann Kompatscher deutlich abgeschwächt wurde.<BR /><BR /><b>STOL: Wie beurteilen Sie die geplanten Änderungen der Autonomie?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Es ist ein kleiner Schritt nach vorn, aber kein großer Sprung. Das Statut sollte nur im Einvernehmen mit dem Landtag geändert werden können. Dazu gab es vom Parlament genehmigte Entwürfe sogar unter Berlusconi sowie Renzi, die genau das vorsahen. Jetzt steht zwar „Einvernehmen“ im Text, aber wenn keine Einigung erzielt wird, entscheidet doch wieder das Parlament allein. Das ist besser als bisher, aber weit entfernt von echter Mitbestimmung. Trotzdem nutzt Meloni das Thema, um zu zeigen, dass sie europäisch und minderheitenfreundlich ist – und das gelingt ihr. Deshalb sage ich ja: Sie ist gefährlich gut.<BR /><BR /><b>STOL: Italien gilt inzwischen nicht mehr als „Sorgenkind Europas“. Ist das Melonis Verdienst?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Nicht allein. Finanzminister Giorgetti, ein erfahrener Mann aus der Lega, macht einen guten Job. Er versucht, den Haushalt stabil zu halten, ohne zu viele neue Schulden zu machen. Das schafft Vertrauen. Meloni profitiert davon und positioniert sich damit als pragmatische Regierungschefin. Trotzdem darf man die ideologischen Risiken ihrer Politik nicht vergessen.<BR /><BR /><b>STOL: International schafft es Meloni, mit allen Seiten gut auszukommen – egal ob mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder Donald Trump. Wie macht sie das?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Das ist in meinen Augen diplomatische Schlaumeierei. Sie nutzt geschickt das Machtvakuum in Europa, sucht Nähe zu den USA und Trump, ohne Brüssel offen vor den Kopf zu stoßen. Aber diese Strategie ist riskant: Trump will Europa schwächen, einzelne Staaten gegeneinander ausspielen. Wenn jeder EU-Staat seine eigene Agenda verfolgt, verlieren wir als Europa an Gewicht. Meloni nutzt das kurzfristig zu ihrem Vorteil, langfristig ist es kontraproduktiv.<BR /><BR /><b>STOL: Wie wird das in Italien wahrgenommen?</b><BR /><b>Peterlini:</b> In Italien ist man stolz, wenn die Regierungschefin international eine gute Figur macht. Viele sehen nicht die feinen Unterschiede zwischen Taktik und echter Staatskunst. Meloni kommt in Europa gut an – auch, weil sie es geschafft hat, das Image der radikalen Rechten abzustreifen. Doch man darf nicht vergessen: hinter der Fassade steht weiterhin eine schwarze Partei, deren Jugendorganisation offen faschistische Parolen benutzt.<BR /><BR /><b>STOL: Abschließend: Wird Meloni bis 2027 im Amt bleiben – und darüber hinaus?</b><BR /><b>Peterlini:</b> Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, hält ihre Regierung auf jeden Fall bis 2027 – Italien ist allerdings ein Land voller politischer Überraschungen. Darüber hinaus hat Meloni gute Chancen, wiedergewählt zu werden, solange die gemäßigten und demokratischen Kräfte keine gemeinsame Strategie finden. Politisch bewegt sie sich ohnehin zunehmend in die Mitte – was zwar Stabilität bringt, aber auch das Risiko, dass ihre ideologischen Wurzeln übersehen werden.