Die Abstimmung über den Rechenschaftsbericht, die normalerweise eine reine Formsache ist, galt als entscheidend für Berlusconi, da er im Vorfeld die Vertrauensfrage an sie geknüpft hatte.Deutliches Ergebnis: Nur 308 Stimmen für PdL-Lega309 Abgeordnete gaben ihre Stimme ab: 308 Parlamentarier stimmten - bei einer Enthaltung - mit Ja. Die restlichen 321 Abgeordneten fanden sich zwar in der Aula ein, drückten jedoch keinen der drei entsprechenden Knöpfe und nahmen damit nicht am Votum teil. Das gilt auch für die beiden SVP-Abgeordneten Siegfried Brugger und Karl Zeller.Damit hat der Rechenschaftsbericht zwar grünes Licht erhalten, gleichzeitig hat die Regierungskoalition eine herbe Niederlage einstecken müssen, da die Mehrheit nicht mehr gegeben ist.Das Kalkül der OppositionGenau das war das Kalkül der Opposition: Die linken Oppositionsparteien und eine Reihe von Abtrünnigen aus dem PdL-Lager hatten vor der Abstimmung entschieden, beim Votum zwar dabei zu sein, ihre Stimme aber nicht abzugeben, um den Rechenschaftsbericht durchzubringen.Damit sollte einerseits der wichtige Rechenschaftsbericht grünes Licht erhalten, andererseits der Regierung das Vertrauen entzogen werden.Ein Schachzug, der aufging, wenngleich der Ausgang der Abstimmung bis zuletzt ungewiss blieb, da man nicht wusste und abschätzen konnte, wie die Abtrünnigen tatsächlich abstimmen würden.Konsequenzen noch ungewissIn Kürze wird sich zeigen, wie Regierungschef Silvio Berlusconi darauf reagieren wird. Er hatte kurz vor der Stimmabgabe die Aula betreten und dann das - für ihn bittere - Ergebnis zur Kenntnis nehmen müssen. Nur kurze Zeit später ließ er verlautbaren, dass er sich verraten fühle und dass er Jagd auf die Verräter aufnehmen werde.Die Minister haben sich nun zu einer Ministerratssitzung getroffen, um weitere Entscheidungen zu treffen. Berlusconi kündigte an, diese sehr bald zu verkünden.Opposition: Gehen SieDie Opposition fordert indes nur mehr eines: Dass Berlusconi Platz macht und die Macht abgibt.Unmittelbar nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses, drängte PD-Chef Pier Luigi Bersani Berlusconi, seinen Rücktritt einzureichen, um Staatspräsident Giorgio Napolitano den Weg für eine Übergangsregierung zu ebnen. "Das Votum zeigt, dass die Regierung in der Kammer keine Mehrheit mehr hat", so Bersani.Berlusconi bereits in Kürze bei Napolitano? Vieles deutet daraufhin, dass sich Berlusconi nun tatsächlich auf den Weg zu Staatspräsident Giorgio Napolitano machen wird: Verteidigungsminister Ignazio La Russa meinte, dass niemand innerhalb des PdL und der Lega Nord das Ergebnis der Abstimmung geringschätze. Berlusconi werde Napolitano aufsuchen und mit ihm alles weitere besprechen, so La Russa. Inoffiziellen Angaben zufolge ist ein Treffen mit Napolitano für 18.30 Uhr anberaumt.Vor der Abstimmung hatte Lega-Chef Umberto Bossi Berlusconi aufgefordert "beiseitezutreten", um Platz für seinen Parteichef, Angelino Alfano, als neuen Regierungschef zu machen.Andererseits: Berlusconi hat bisher alle Rücktrittsforderungen zurückgewiesen und seit 2008 über 51 Vertrauensabstimmungen überstanden. Das Berlusconi-Blatt "Il Foglio" zeigte den Regierungschef unmittelbar vor und nach der Abstimmung als Jesus und abtrünnige PdL-Politiker mit Judas.Das heißt: Noch ist alles ungewiss. In welche Richtung sich das politische Karussell in Rom drehen wird - man weiß es (noch) nicht.Märkte reagieren sofortDie Möglichkeit eines Regierungswechsel ließ an den europäischen Börsen und an der Wall Street die Kurse nach oben schnellen. Der Dax gewann – gestützt auf solide Geschäftszahlen einiger europäischer Großkonzerne – bis zum frühen Nachmittag 2,2 Prozent auf 6.057 Punkte. „Jeder wartet auf Neuigkeiten aus Rom und aus Athen“, sagte ein Händler.Die weiter sehr skeptisch gesehenen italienischen Staatsanleihen unterbrachen ihre Talfahrt. Die zehnjährigen Papiere stiegen um 30 Ticks auf 87,22 Zähler und rentierten mit 6,641 Prozent. Am Morgen waren es noch 6,742 Prozent.joi