Was wurde erreicht? Wo gibt es Nachholbedarf? Und welche politischen Entscheidungen stehen an? Der erfahrene Politiker nimmt Regierungsparteien und Opposition genau unter die Lupe und hat auch einige eigene Vorschläge parat.<BR /><BR /><b>Herr Peterlini, während die Opposition der Landesregierung Stillstand vorwirft, ist diese von sich und ihrer Arbeit sehr überzeugt. Was also: Stillstand oder solide Regierungsarbeit?</b><BR />Peterlini: Ein Jahr Regierungsarbeit mit einem einzigen Stichwort oder einer Schulnote zu bewerten, scheint mir zu simpel. Es gibt positive Aspekte, die man anerkennen soll und das ehrliche Bemühen, dass ich allen Landesräten zugestehe. Es gab innovative Ansätze. Aber es gibt auch Punkte, die es zu kritisieren gilt, um wichtige Impulse für die Zukunft zu setzen.<BR /><BR /><b>In welchen Bereichen hat die Regierung gute Arbeit geleistet?</b><BR />Peterlini: Diese kann man nicht sofort messen – zum Beispiel im Gesundheitswesen: Wartezeiten lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen reduzieren. Man muss also die Realität mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen messen. Die Lösungen müssen nun in Angriff genommen werden. Oder bei der Sicherheit: Guter Einsatz, jetzt sind die Parlamentarier gefordert, in Rom verschärfte Gesetze gegen die Kriminalität durchzusetzen, auch zum Ansehen der friedlichen Einwanderer.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1126149_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wo gibt es Schwachstellen?</b><BR />Peterlini: Bei den strategischen Entscheidungen. Die Koalition mit den „Fratelli d’Italia“, der Nachfolgepartei der Faschisten, war ein Schlag ins Gesicht all jener, die unter dem Faschismus gelitten haben. Das hat viel Glaubwürdigkeit gekostet. Der Landeshauptmann begründete diesen geschichtlichen Bruch mit der Erwartung, in Rom ein neues Paket für die Autonomie zu erwirken. Es war tatsächlich beachtlich, was er der Regierung vorlegte, vom Einvernehmen für Änderungen der Autonomie, der Aufwertung von sekundären Kompetenzen zu primären, bis zur Wiedergewinnung verlorener Zuständigkeiten. Ich stand dieser Erwartung von Beginn an kritisch gegenüber, da ich weiß, wie langsam und unzuverlässig die römischen Mühlen mahlen. Inzwischen sind die gesteckten Termine längst überschritten, der Inhalt wird immer magerer. Wir werden womöglich mit einigen Brosamen abgespeist und man wird sich die Frage stellen müssen, ob der Preis dafür gerechtfertigt war.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68457495_quote" /><BR /><BR /><b>Die Koalition mit den Fratelli d’Italia wurde von Kritikern als „Pakt mit dem Teufel“ bezeichnet. War die Empörung in der Rückschau gerechtfertigt?</b><BR />Peterlini: Giorgia Meloni hat ein freundliches Lächeln, ist eine nette Person, man kann sich gut mit ihr unterhalten. Davon darf man sich aber nicht täuschen lassen und muss sich die Pläne ihrer Partei anschauen. Die sind brandgefährlich. Besonders alarmierend ist die Justizreform: Nach dem Vorbild von Orban in Ungarn will man Staatsanwälte unter die Kontrolle der Regierung bringen. Das ist ein direkter Angriff auf die Demokratie und die Gewaltenteilung. Die geplante Direktwahl des Ministerpräsidenten führt zu einem Präsidialsystem, das in den meisten Staaten der Erde in autoritäre Regime und Diktaturen ausgeartet ist. Auch Trump macht es uns nun vor, wohin das führen kann. <BR /><BR /><b>Ein Dauerthema war die soziale Frage: niedrige Löhne, Wohnraummangel. Hat die Regierung hier versagt?</b><BR />Peterlini: Die Nachkriegsgeneration hat aus einem armen Land eine der reichsten Regionen Europas geschaffen. Der Tourismus hat viel dazu beigetragen, nicht nur für einige Hoteliers, sondern breit gestreut. Nun muss man aber die Grenzen erkennen. Genug ist genug. Ich halte aber nichts vom Bettenstopp, da er zukünftigen Generationen jede Möglichkeit versperrt. Die Situation sollte über wirtschaftspolitische Maßnahmen, Abgaben und Umschichtung von Finanzierungen gesteuert werden. Dazu braucht es Mut! Die Einkommensverteilung stimmt nicht mehr. Wir sind ein Billiglohnland geworden. Viele Familien kommen kaum noch über die Runden, denen hilft es nichts, wenn wir eine der höchsten Prokopfeinkommen Europas haben, wenn es schlecht verteilt ist. Die Preise sind bei uns viel höher als im restlichen Italien, die Löhne kaum. Wir müssen attraktiver werden, sonst verliert Südtirol seine jungen Köpfe zunehmend ans Ausland. Das geht zum Schaden der Wirtschaft. Damit das gelingt, muss die öffentliche Hand bei den Löhnen vorangehen, dann wird auch der Privatsektor nachziehen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-68457499_quote" /><BR /><BR /><b>Und zur Wohnungsnot?</b><BR />Peterlini: Machen wir das Vermieten an Einheimische attraktiver als an Gäste, durch einen Garantiefonds für die Miete, durch Steuerumschichtungen. Es bringt nichts, die Nachfrage nach Wohnungen durch gutgemeinte Beiträge noch zu steigern und so die Wohnungspreise weiter nach oben zu treiben – das Angebot muss erhöht werden. Ich schlage vor: Kubatur erhöhen! Lassen wir die Menschen dort erweitern, wo sie bereits gebaut haben, in die Höhe, anstatt auf der grünen Wiese kostbare Natur zu verbrauchen. Der Landeshauptmann hat gut daran getan, Nachhaltigkeit zum Leitfaden zu machen – die Verbauungen der jüngsten Jahre kotzen leider dagegen. Das Problem: Sozial und ökologisch ausgerichtete Kräfte sind in der SVP immer weniger vertreten, weil die starken Wirtschaftsverbände sich bei Wahlen sehr gut organisieren und als Lobbys starken Einfluss nehmen. Die Stimme der breiten Bevölkerung, der sozialen Kräfte ist zu leise. Damit fehlt oft die soziale und ökologische Seele in der Politik.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68457973_quote" /><BR /><BR /><b>Erstmals war im vergangenen Jahr eine 5er-Koalition an der Arbeit, erstmals saß neben der SVP mit den Freiheitlichen eine zweite deutsche Partei auf der Regierungsbank. Hat man davon etwas gespürt oder lief letztlich doch alles wie immer?</b><BR />Peterlini: Als ich im Landtag war, hatte die SVP 22 Mandate – heute sind es nur noch 13. Viele kritische, sozial und ökologisch engagierte junge Menschen haben die SVP längst verlassen. Die SVP hat sich von der ehemaligen Sammelpartei weit entfernt, hat an Glaubwürdigkeit verloren. Die Arbeitnehmer sind sehr schwach. Die ungelösten Probleme, Einkommen, soziale Verteilung, Wohnung, Umweltsünden haben ihren Preis. In der SVP versucht man nun, alle auf eine Linie einzuschwören und jene an den Pranger zu stellen, die abweichen. Damit erzielt man das Gegenteil. Man kann der Vielfalt der Meinungen in einer modernen Gesellschaft nicht mit einer geschlossenen Front begegnen. Eine Sammelpartei sollte ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer unterschiedlichen Meinungen sein. Dafür könnte man im Landtag nach dem Konsensprinzip ruhig auch Vorschläge der Opposition berücksichtigen, sie vertritt schließlich auch die Menschen in unserem Land.<BR /><BR /><b>Wie haben Sie die Opposition in diesem ersten Regierungsjahr erlebt?</b><BR />Peterlini: Heute sitzen im Landtag viele Einzelkämpfer als Ein-Mann-Fraktionen, die sich bemühen, aber allein kaum etwas weiterbringen können. Deshalb wäre ich für eine Mindestklausel für den Einzug in den Landtag, nicht um Opposition abzuwürgen, sondern zum Zusammenschluss anzuregen und der demokratischen Vertretung so mehr Gewicht zu verleihen. Die Grünen setzen ich mit viel Einsatz für die Umwelt ein – ich bin voll für die Gleichberechtigung, aber ein bisschen weniger Zeit mit Gendern und noch mehr für die Umwelt würde gut tun. Das Team K macht gute Arbeit – zum Schaden für die Volkspartei - weil sein Team auffängt, was Letztere falsch macht. Die STF spricht viele junge Menschen an. Das ist positiv, wenn sie die junge Generation wieder an die Politik und an die Werte der Heimat heranführt. Radikale Töne sollte sie vermeiden, Eva Klotz sollte als glaubwürdige Leitfigur dienen. Der PD ist in einer starken Krise: Es bräuchte dringend ein Konzept für die italienische Sprachgruppe und eine ausgewogene Politik der Mitte. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wie sich die italienische Sprachgruppe im Land entwickelt. Ich habe mich jahrelang mit dem Vertrauen beider Sprachgruppen erfolgreich darum bemüht.<BR /><BR /><b>Was war ihr politisches Highlight im vergangenen Jahr? Was der politische Tiefpunkt?</b><BR />Peterlini: Der Tiefpunkt ist klar: Der Pakt der SVP mit den radikalen Rechtsparteien. Politisches Highlight? Da muss ich nachdenken…<BR /><BR /><b>Kurz und bündig: Welche sind die zentralen Themen, die die Landesregierung im nächsten Jahr angehen muss?</b><BR />Peterlini: Die niedrigen Löhne, die Wohnungsknappheit, die Stärkung unserer politischen Eigenständigkeit und eine Politik, die den Menschen wieder Vertrauen schenkt.