Südtirol steht vor einer wachsenden Herausforderung: Die Gesellschaft altert, und damit steigt auch der Bedarf an Pflege. Doch die stationären Pflegeeinrichtungen im Land stoßen längst an ihre Kapazitätsgrenzen – sowohl was Plätze als auch Personal betrifft. Die Folge: Die Pflege zuhause gewinnt zunehmend an Bedeutung. <h3> „Dieses Gesetz wird dem demografischen Wandel nicht mehr gerecht“</h3>Ein zentrales Instrument zur Unterstützung häuslicher Pflege ist das sogenannte „104er-Gesetz“ (Legge 104/1992), das Angehörigen etwa drei bezahlte Pflegefreistellungstage pro Monat oder bis zu zwei Jahre bezahlten Sonderurlaub ermöglicht. <BR /><BR />Doch genau hier ortet Soziallandesrätin Rosmarie Pamer dringenden Reformbedarf: „Dieses Gesetz wird dem demografischen Wandel nicht mehr gerecht“, betont sie. Denn das Gesetz sieht vor, dass der bezahlte Sonderurlaub von maximal zwei Jahren nur einmal pro pflegebedürftiger Person gewährt wird. Hat ein Familienmitglied diese Leistung bereits in Anspruch genommen, können andere Angehörige später nicht mehr davon profitieren – selbst wenn die Pflegebedürftigkeit weiterhin besteht.<BR /><BR /> Angesichts einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 84,6 Jahren – bei Frauen sogar 86,6 Jahren – und einer zunehmenden Zahl an pflegebedürftigen Menschen sagt auch Pamer, dass bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen an die Realität einer alternden Gesellschaft anzupassen sind. Ein Gespräch mit der Soziallandesrätin.<BR /><BR /><b>Frau Pamer, die Südtiroler Bevölkerung wird immer älter – und damit wird auch die Pflege zu Hause immer wichtiger. Das sogenannte Staatsgesetz 104 (umgangssprachlich „104er-Gesetz“), das genau für solche Fälle gedacht ist, stammt aus dem Jahr 1992 – also ist es über 30 Jahre alt. Ist es Ihrer Meinung nach noch zeitgemäß, gerade mit Blick auf die demografische Entwicklung?</b><BR />Rosmarie Pamer: Es stimmt: Das Gesetz ist veraltet und müsste dringend überarbeitet werden, da es der alternden Gesellschaft nicht mehr gerecht wird. Dass eine pflegebedürftige Person mit diesem Gesetz nur ein einziges Mal für zwei Jahre zu Hause gepflegt werden darf – und danach nicht mehr –, widerspricht der Realität, dass die häusliche Pflege immer wichtiger wird.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199046_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gibt es Pläne, dem entgegenzusteuern? Man müsste als öffentliche Hand ja froh sein, wenn jemand seine Angehörigen zu Hause pflegen möchte …</b><BR />Pamer: Das stimmt. Die Alten- und Pflegeheime hätten weder die nötige Kapazität noch das Personal, um alle Pflegebedürftigen angemessen zu versorgen. Auf staatlicher Ebene ist derzeit ein neues Gesetz in Ausarbeitung, das sogenannte Dekret 62. Momentan werden die entsprechenden Durchführungsbestimmungen erarbeitet. Mit diesem Dekret sollen die Pflegeeinstufung sowie die Pflege für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf neu geregelt werden – angepasst an die demografische Entwicklung.<BR /><BR /><b>Und was genau wird in diesem Gesetz stehen – und wann tritt es in Kraft?</b><BR />Pamer: Der genaue Inhalt des Dekrets wird noch ausgearbeitet, daher kann ich dazu aktuell nichts Konkretes sagen. Klar ist: Es wird erst 2027 in Kraft treten.<BR /><BR /><b>Und was passiert bis dahin? Die Gesellschaft altert ja weiter, der Pflegebedarf steigt laufend…</b><BR />Pamer: Das ist richtig. Die Zahlen in Südtirol zeigen das deutlich: 15.869 Menschen haben im Vorjahr mindestens einmal im Monat Pflegegeld bezogen. Das 104er-Gesetz wurde 2023 von 12.177 Personen in Anspruch genommen – Tendenz steigend. Insgesamt werden in Südtirol rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause betreut.<BR /><BR /><b>Das 104er-Gesetz ist also überholt. Was unternimmt das Land konkret, um die Pflege zu Hause zu stärken?</b><BR />Pamer: Wir haben im Vorjahr sowohl die Stunden für die Hauspflege als auch die Anzahl der Tagespflegeplätze deutlich erhöht – vor allem, um pflegende Angehörige zu entlasten. Denn diese kommen oft an ihre physischen und psychischen Grenzen.<BR /><BR /><b>Die Tagespflege war während der Corona-Pandemie ja komplett zum Erliegen gekommen. Gibt es dieses Angebot jetzt wieder verstärkt?</b><BR />Pamer: Genau – und darin sehe ich großes Potenzial.<BR /><BR /><b>Noch einmal zurück zum 104er-Gesetz: Viele Angehörige würden ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder gerne über zwei Jahre hinaus zu Hause betreuen. Sollte das Land hier nicht ein eigenes Gesetz schaffen, um diese Möglichkeit auszuweiten?</b><BR />Pamer: Das Land Südtirol bietet bereits die rentenmäßige Absicherung von Pflegezeiten für öffentlich Bedienstete an. Allerdings ist diese Möglichkeit noch zu wenig bekannt.<BR /><BR /><b>Was genau bedeutet das?</b><BR />Pamer: Wenn ich jemanden zu Hause pflege, übernimmt die öffentliche Hand für diese Person die Einzahlung in die Rentenversicherung. Zusammen mit dem Pflegegeld, das der pflegebedürftigen Person ausbezahlt wird, soll es so ermöglicht werden, dass ein Angehöriger zu Hause pflegen kann – und gleichzeitig rentenversichert ist.<BR /><BR /><b>Gilt das nur für öffentlich Bedienstete?</b><BR />Pamer: Ja, leider. Und es ist, wie gesagt, noch wenig bekannt. Im Vorjahr haben in Südtirol nur rund 600 Personen um diese Absicherung angesucht.<BR /><BR /><b>Warum nur für öffentlich Bedienstete? Warum nicht auch für Beschäftigte in der Privatwirtschaft?</b><BR />Pamer: Da haben Sie recht. Dieses Angebot muss auf alle Bürger ausgeweitet werden – sonst werden wir die demografischen Herausforderungen auf Dauer nicht bewältigen können.<h3> So viele Südtiroler nehmen die verschiedenen Pflegemöglichkeiten in Anspruch</h3> Die Nachfrage nach Unterstützungsleistungen für pflegebedürftige Menschen bleibt in Südtirol auch 2024 hoch. Wie aktuelle Zahlen zeigen, haben im vergangenen Jahr insgesamt 12.177 Personen um Leistungen laut dem sogenannten 104er-Gesetz angesucht. Besonders viele Anträge wurden im Gesundheitsbezirk Bozen verzeichnet (5.339), gefolgt von Meran (3.567), Brixen (1.819) und Bruneck (1.452).<BR /><BR />Ein bedeutender Aspekt der Pflegearbeit betrifft auch die rentenmäßige Absicherung von Pflegezeiten. Im Jahr 2024 wurden dazu 600 Anträge gestellt. Das Land Südtirol hat für diese Form der sozialen Absicherung 1,7 Millionen Euro bereitgestellt.<BR /><BR />Noch umfassender ist die finanzielle Unterstützung durch das monatlich ausbezahlte Pflegegeld, das Menschen zugutekommt, die zu Hause betreut werden. Im Jahr 2024 bezogen 15.869 Südtirolerinnen und Südtiroler mindestens einmal im Monat diese Leistung. Dafür wurden vom Land insgesamt 137,4 Millionen Euro ausbezahlt.