<b>STOL: Herr Kurz, der Titel Ihres Buches lautet „Reden wir über Politik“. Wollen Sie wirklich noch über Politik reden? Sie haben einen kometenhaften Aufstieg geschafft wie nur wenige andere Politiker, sind dann aber tief gefallen. Will man nach so einer Erfahrung wirklich noch über Politik reden?</b><BR />Sebastian Kurz: Mein ganzes Berufsleben war bisher von der Politik geprägt. Es hat mir große Freude gemacht, Österreich dienen zu dürfen und 10 Jahre der Bundesregierung anzugehören. Diese Zeit ist mit vielen Begegnungen, Momenten und persönlichen Höhepunkten und auch Rückschlägen verbunden.<BR /><BR /><BR /><b>STOL: Im Vorwort Ihres Buches heißt es, dass Sie noch immer von vielen Menschen mit „Herr Bundeskanzler“ gegrüßt werden. Wie oft haben Sie sich nach Ihrem Rücktritt gewünscht, noch Bundeskanzler zu sein?</b><BR />Kurz: Wenn ich Entscheidungen getroffen habe, wurden sie umgesetzt und nicht auf halbem Weg in Frage gestellt. Ich stehe bis heute zu jeder meiner politischen Entscheidungen und ich glaube, die waren in vielen Bereichen auch richtig, besonders wenn ich an die Migrationskrise 2015/16 denke, als ich gegen die Willkommenskultur und die unkontrollierte Zuwanderung von Migranten war. Heute bin ich unternehmerisch und privatwirtschaftlich tätig. Und verbringe viel Zeit im Ausland, besonders in den USA und dem Mittleren Osten. Jeden Tag lerne ich Neues dazu. Das Letzte was mir abgeht, ist der innenpolitische Kampf und Streit. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56477478_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: 2011 wurden Sie Staatssekretär für Integration, 2013, im Alter von 27 Jahren, Außenminister und im Jahr 2017 standen Sie vor dem nächsten Karriereschritt: Sie galten als Favorit für den Posten des ÖVP-Obmanns. Sie wirkten schon damals – trotz Ihres jungen Alters – erfahren und äußerst selbstsicher. Im Buch schreiben Sie aber, dass Sie sehr wohl von Selbstzweifeln geplagt wurden und Rat bei Niki Lauda suchten. Er sagte Ihnen, dass Sie die ÖVP übernehmen sollten. Ein Schlüsselerlebnis in Ihrer politischen Karriere?</b><BR />Kurz: Niki Lauda ist ein großer Österreicher, der zuerst im Sport und dann in der Wirtschaft Höhepunkte und Tragödien wie kein anderer erlebt hat. Seine direkte Art, sein Wesen und sein Zugang haben mich immer beeindruckt. Es hat mich gefreut, dass zwischen uns ein guter Kontakt aufgebaut wurde und er mir sehr oft als Gesprächspartner und Ratgeber zur Verfügung stand und mich auch ermutigt hat, um das Kanzleramt zu kämpfen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="821675_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: 2017 wurden Sie erstmals zum österreichischen Bundeskanzler gewählt und wurden fortan „Sozialistenfresser“ genannt – etwa vom ehemaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Herr Kurz, ein strammer Konservativer, ohne Sinn für sozial Schwache?</b><BR />Kurz: Ich bin christlich-sozial geprägt und habe ein klares Menschenbild. Wenn Sie sich meine politische Bilanz anschauen, dann sehen Sie, dass unter meiner Kanzlerschaft besonders jene in den Mittelpunkt gerückt sind, die wenig verdienen. Wir haben die Steuerlast gesenkt, die kleinen Pensionen stärker erhöht als unter sozialistischen Kanzlern und auch die Familien wurden massiv entlastet durch die Einführung des Familienbonus von 1500 Euro pro Kind. Wenn ich Sozialistenfresser genannt werde, dann hat es eher damit zu tun, dass die SPÖ seit Bruno Kreisky eine Art Erbpacht auf das Kanzleramt gesehen hat und ich aber mit der Volkspartei zweimal die Wahl gewonnen habe. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56477479_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Ihnen und Ihrem Team wurde immer wieder vorgeworfen, die Medien kontrollieren zu wollen, Sie würden „Message Control“ betreiben, also kontrollieren, welche Nachrichten in den Medien verbreitet werden. Überraschenderweise bestreiten Sie dies in Ihrem Buch auch nicht, ganz im Gegenteil…</b><BR />Kurz: Es war vor allem eine Kontrolle von uns selbst. Nichts verwirrt die Menschen mehr, als eine Regierung, die jeden Tag unterschiedlich und diametral kommuniziert. Mir war es daher wichtig, dass zuerst innerhalb der Regierung die Probleme und Fragen geklärt werden und dann alle mit einer Stimme nach außen kommunizieren. Das war schlicht und ergreifend eine professionelle Arbeit, wie sie in jedem Unternehmen oder Konzern erfolgt. Natürlich haben es Medien lieber, wenn es Konflikte gibt und sie darüber schreiben können, aber mein Job war es, für die Menschen im Land die besten Lösungen zu erarbeiten und professionell zu kommunizieren. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="821678_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Im Mai 2019 wurde Österreich durch den sogenannten „Ibiza-Skandal“ erschüttert: Auslöser war eine Videoaufnahme, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte zeigte. In der Folge trat Strache als Vizekanzler zurück und Sie beendeten die türkis-blaue Koalition. Jetzt schreiben Sie in Ihrem Buch, dass Sie sich nicht mehr sicher sind, ob das die richtige Entscheidung war. Glauben Sie wirklich, Sie hätten diese Regierung trotz des Ibiza-Skandals weiterführen können? Eine solche Regierung wäre doch kaum noch handlungsfähig gewesen.</b><BR />Kurz: Selbstverständlich stehe ich zu meiner Entscheidung auf Basis des damaligen Wissensstandes. Insgesamt hat die Regierung aus ÖVP und FPÖ dennoch dem Land gutgetan und wir konnten viel weiterbringen. Die große Koalition aus SPÖ und ÖVP hatte weder das Vertrauen der Bevölkerung, noch ging im Land etwas weiter. Der Wunsch der Menschen nach Veränderung war groß. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56479560_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Im Jänner 2020 wurden Sie zum zweiten Mal Bundeskanzler Österreichs – dieses Mal in einer Koalition mit den Grünen. Ganz ehrlich: Welcher Koalitionspartner war Ihnen lieber, die FPÖ oder die Grünen?</b><BR />Kurz: Es geht nicht um „lieber“, sondern darum, mit welchen Mehrheiten man bei einer Wahl ausgestattet wird. Koalitionen sind nie eine Liebesheirat. Mit beiden Parteien habe ich versucht ein gutes Regierungsprogramm für Österreich auszuarbeiten und in der Regierung professionell zusammenzuarbeiten. <BR /><BR /><b>STOL: Im Zuge der Ermittlungen wurden auch Chats zwischen Ihnen und Ihrem Team öffentlich, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurden. „Bei all dem, was auch ich in den Chats geschrieben habe, gibt es in meinen Augen eigentlich nur eine einzige Nachricht, die man mir vorwerfen kann. Und zwar, dass ich über meinen Vorgänger Reinhold Mitterlehner bestätigend geschrieben habe, er sei ein ,Oarsch'“, schreiben Sie im Buch. Sonst bereuen Sie nichts?</b><BR />Kurz: Natürlich habe auch ich nicht alles richtig gemacht und im Rückblick würde ich heute vielleicht die eine oder andere Nachricht nicht mehr so formulieren. Jeder Mensch zeigt gelegentlich Emotionen und ich glaube, ich bin nicht der einzige, der schon mal das eine oder andere falsche Wort in einer SMS geschrieben hat. Und, es waren private Konversationen – kein Interview und keine öffentliche Rede.<BR /><BR /><embed id="dtext86-56479561_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: In Südtirol sind in den vergangenen Monaten ebenfalls Telefonate zwischen Politikern und Unternehmern an die Öffentlichkeit gelangt. In der Folge ist eine Diskussion entbrannt, ob solche Gespräche in den Medien veröffentlicht werden dürfen. Gab es diese Diskussion auch in Österreich, was die Chats anbelangt?</b><BR />Kurz: Ich bitte um Verständnis, dass ich die Vorgänge in Südtirol nicht kommentiere oder bewerte. Generell lässt sich aber ableiten, dass sich das politische Klima immer mehr verschlechtert und mit Mitteln gearbeitet wird, die es bisher nicht gab. Es steht die politische Debatte über ein Für oder Wider zu einzelnen Themen nicht mehr im Vordergrund, sondern es geht oft nur noch ums gegenseitige Runtermachen, Diskreditieren bis hin zu anonymen Anzeigen, die dann Ermittlungen der Justiz zur Folge haben. Ob das insgesamt für die politische Kultur und ein Land gut ist, sollte jeder selbst entscheiden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56479562_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Vor fast genau einem Jahr, am 9. Oktober 2021, sagten Sie in einer Pressekonferenz: „Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen.“ Mit diesen Worten begann Ihr Rückzug aus der Politik. Der Grund waren Vorwürfe der Bestechlichkeit und der Korruption. Warum ist es so weit gekommen?</b><BR />Kurz: Ich bin immer mit Begeisterung und Leidenschaft die Dinge angegangen und habe mit großer Freude für Österreich gearbeitet und unser Land international vertreten. Für manche haben sich die politischen Werkzeuge, wie ich oben schon erwähnt habe, leider geändert. Meine Neugier nach Neuem ist ungebrochen und ich habe nun ein neues Kapitel in der Wirtschaft als Unternehmer, Berater und Investor aufgeschlagen. <BR /><BR /><b>STOL: Politische Beobachter glauben, mit diesem Buch wollen Sie Ihre Rückkehr in die Politik anbahnen. Gibt es ein Comeback von Sebastian Kurz in der Politik?</b><BR />Kurz: Nein. Es war eine sehr schöne Zeit. Jetzt bin ich Unternehmer. <h3> Das Buch</h3><div class="img-embed"><embed id="821657_image" /></div> <BR />Heute erscheint das Buch „Reden wir über Politik“. Darin spricht der zweimalige Bundeskanzler Österreichs, Sebastian Kurz, über die hellen und die dunklen Seiten der Spitzenpolitik. Das Buch ist auch in Südtirol erhältlich.<BR /><BR /><BR />